Kapitel 20

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"Willst du was abhaben?"
Darauf würde ich nicht noch einmal reinfallen. Wenn Ranpo diese komische Knet Süßigkeit essen wollte, sollte er sie sich doch selbst machen und andere nicht damit locken, sie selbst essen zu dürfen.
"Yanagi!"
Ich hielt erschrocken inne.
Bis jetzt hatte mich der Chef noch nicht einmal zu sich bestellt, seit ich hier arbeitete.
Ranpo sah mich ehrfürchtig an.
"Geh weg, bevor er mich noch mitbestraft!" Was für einen tollen Freund ich doch hatte. Seufzend stand ich auf und folgte meinem Chef ins Büro.
"Du weißt um meine Fähigkeit bescheid." Langsam nickte ich und sah ihn geradewegs an.
"Alle Menschen sind gleich", erklärte ich, wusste aber nicht genau was diese Kraft bewirkte. Bis jetzt hatte er noch seine Augen geschlossen.
Immer wenn er sie öffnete, schien er wütend zu sein, weswegen ich mich für alles wappnete, als er mich plötzlich direkt ansah, ohne den Kopf zu senken. Irgendetwas hatte ich definitiv verbockt! Nervös suchte ich in meinen Erinnerungen, konnte aber keinen Grund zur Beschwerde finden.
"Deine Fähigkeit, in wie weit beherrschst du sie?"
Das kam überragend.
Er hatte doch vor kurzem selbst noch betont, dass ich meine Fähigkeit besser beherrschte. Leider kam sie überhaupt nicht zum Einsatz. Ich kam mir irgendwie am überflüssigsten vor. Selbst Kyoka hat etwas großes bewerkstelligt, wo war meine Aufgabe in der Detektei?
Ranpo kam schließlich auch super ohne mich zurecht. Ich war keine Bürokraft, wie Naomi oder Haruno.
"Ich kann sie manifestieren und auflösen. Das was ich erschaffe kann sowohl Illusion, als auch Wirklichkeit werden. Ich habe sie... 'Das Leben in all seinen Farben' genannt."
Der alte Mann nickte und lehnte sich an seinen Schreibtisch.
"Du hast bis jetzt noch keine eigene Aufgabe bekommen."
Er war sich dessen also bewusst. Nicht jeder Auftrag kam von ihm, weswegen es mich doch wunderte, dass er darüber bescheid wusste.
"Ich habe eine Aufgabe für dich."
Betrübt sah ich zu Boden.
"Wenn es um eine simple Ablenkung geht, kann Tanizaki das genauso gut, mit seinem Pulverschnee."

Tanizaki war derjenige, der jedes Mal für Trugbilder eingesetzt wurde, auch wenn ich mittlerweile richtige Kopien erzeugen konnte, eigenständige Wesen.
"Ich bezweifle, dass Tanizaki die Manifestation beherrscht", gab er nur zur Antwort und reichte mir einen großen Briefumschlag, der gefüllt mit einem dünnen Stapel Papier war.
"Dort drin finden Sie alle Informationen. Wenn der Kunde zufrieden mit Ihnen ist, bekommen Sie..."
Fragend sah ich ihn an, als er nicht weitersprach.
"Was hätten Sie gerne? Einen Bonus haben Sie bereits bekommen."
Den hatte ich aber auch allein Ranpo zu verdanken, der ihn mir überlassen hatte.
Ich gab es nicht offen zu, aber ich mochte Geld. Darum kam mir jeder Bonus gerade recht.
"Geld bekomme ich bereits genug. Aber... Es gibt da etwas, was Sie für mich tun könnten, auch im Sinne der Stadt. Nach den ganzen Abenteuern und der Angst, wäre eine kleine Aufmunterung nicht schlecht, oder?", fragte ich nach.
Mein Chef verstand offenbar worauf ich hinaus wollte.
"Ich werde sehen, was sich tun lässt", versprach er mir und scheuchte mich dann auch wieder aus dem Büro.
Wir waren heute ziemlich wenige.

Ranpo und Kyoka.
Wo war denn der Rest?
Ich dachte es würde noch jemand kommen, aber da hatte ich mich wohl geirrt.
"Bist du sadistisch veranlagt?", fragte Ranpo, als er meine gute Laune bemerkte. Er konnte einem aber auch alles verderben.
"Ich habe einen Auftrag bekommen und keine Standpauke", erklärte ich stolz und hielt meinen Umschlag, wie eine Trophäe, in die Höhe.
Mein erster richtiger Auftrag!
"Ach so? Dann kann das ja nicht so besonders sein."
Mein Lächeln verschwand.
Solange Ranpo gelobt wurde, konnte er sich wohl alles erlauben.
"Was ist eigentlich deine Fähigkeit?", fragte Kyoka neugierig.
Als sie im Büro anfing, hatten wir uns knapp verpasst. Ich war im Urlaub, als sie von Atsushi her gebracht wurde und als wir sie suchten, verschwand sie.
"Ich kann das, was Tanizaki kann, nur mit mehr Effekten."
Verständnislos legte sie den Kopf schief. >>Stimmt ja, Tanizakis Pulverschnee unterscheidet sich von meiner Fähigkeit.<<
Er konnte einen gewissen Radius verbergen und ein dreidimensionales Bild erzeugen. Es war unklug, sich ständig mit ihm zu vergleichen.
Er tat es sicher nicht.
"Ich erzeuge Illusionen."
"Echt? Kannst du mir etwas zeigen?", fragte sie mich.
Ihre Wangen waren leicht gerötet.

Kyoka war eben doch noch ein Kind. Schrecklich, was sie für eine Vierzehnjährige bereits hinter sich hatte. Aber Dazai hat ihr wieder Mut gemacht. Auch er dachte einst, dass er das Leben nicht verdient hätte, weil seine schlechten Taten den guten überwiegten.
Es war nie zu spät, sein Leben zu ändern. Ich war erleichtert als ich erfuhr, dass ausgerechnet er sich um Chūya geümmert hat, auch wenn ich solch ein Leben nie für meinen kleinen Bruder gewollt habe. Ihn nun vom töten abzubringen, war unmöglich.

"Sieh her."
Ich hielt ihr meine noch geschlossene Faust hin, die ich langsam öffnete.
Einige Schmetterlinge flogen aus ihr heraus.
Sie lächelte und das war für mich in diesem Moment das Kostbarste. Meine Freunde zum Lachen bringen, dass war es, was ich wollte.
"Früher hast du mir Bonbons gemacht", schmollte Ranpo plötzlich.
War er etwa eifersüchtig?
Weil ich ihm nicht mehr so viel Aufmerksamkeit schenkte?
"Damals... Das klingt nach einer langen Zeit. Es ist nicht einmal eine Woche her, mein Lieber."
"Dein Lieber? Hmp!"
Beleidigt drehte er sich zum Fenster.
Ich hatte mich offenbar geirrt.
Ranpo war und blieb ein Kindskopf, aber das war gut so.

"Wo sind die anderen überhaupt?", wandte ich mich an Kyoka, die immer noch mit den Schmetterlingen spielte.
"Ich weiß es nicht. Atsushi hat gesagt, ich solle hier warten, von dem Rest weiß ich nichts", sagte sie, in Gedanken versunken. Aus Ranpo würde ich wohl auch nichts mehr bekommen, wie ich sah.
"Dazai begeht sicher wieder Selbstmord", hörte ich den Meister Detektiv murmeln und sah zum Fenster hinaus. Sicher war er mit etwas ganz anderem beschäftigt.
"Bitte sehr, Herr Meisterdetektiv."
Ich nahm seine Hand und legte ihn ein Bonbon hinein.
"Du brauchst keine schlechte Laune zu haben. Ich bekomme weder Lob, noch Aufmerksamkeit, oder überhaupt etwas zu tun. Ich beklage mich nie, ganz anders als du, dem immer langweilig ist."
Erschrocken sah er mir nach, während ich auf dem Weg zu meinem Auftrag war.

All I see is you (Bungou stray dogs FF Ranpo)Where stories live. Discover now