Kapitel 15

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"Was soll ich davon halten?", brummte Doyle und starrte ihren Partner an. Sie war kaum ein paar Stunden bei ihrer Familie, da tauchte Ranpo Edogawa vor ihrer Tür auf. Unnötig zu erwähnen, dass sie ihn weder eingeladen, noch erwartet hat. Grinsend stand er vor ihr, hatte nicht mehr Gepäck zur Hand, als den Beutel Süßigkeiten.
"Dich kann man nicht allein lassen. Hast du schon vergessen, was vor nicht sehr langer Zeit passiert ist?", fragte er unschuldig, aber Doyle hatte ihn bereits durchschaut. >>Dieser Vollidiot. Wenn er mich vermisst, soll er es doch einfach sagen!<<, dachte sie sich enttäuscht, schließlich waren sie Freunde. Es war nur normal, seine Freunde zu vermissen.
Aber das was Ranpo abzog, war schon etwas übertrieben, wenn auch ganz süß. "Na, was soll's. Komm rein", wurde sie dann doch weich und trat zur Seite, um den Schwarzhaarigen hinein zu lassen. Zuerst zog er sich die Schuhe aus und schlüpfte in ein paar Hausschuhe, die ihm Doyle zu Füßen legte.
"Warum bist du eigentlich nach Hause gefahren?", fragte er, offenherzig und nicht auf den Mund gefallen, so wie immer.
"Ich besuche meine Familie", erklärte sie kurzgebunden und hatte ihm bereits den Rücken zugewandt, um ihn ins Wohnzimmer zu führen.
Das Haus war im alt-japanischen Stil eingerichtet. Der Tatamiboden knisterte leise, unter ihren Füßen, als sie darüber liefen. Die Holztür knarrte, als Doyle sie aufschob, um Ranpo den Zutritt ins Wohnzimmer zu gewehren. Mit einem schnellen Blick erkannte er, dass die Familie, dieses Hauses, nichts für elektronische Geräte übrig hatte.
Es fand lediglich ein niedriger, runder Tisch Platz in dem geräumigen Zimmer. Über ihn war eine Decke ausgebreitet, die wärmen sollte, wenn man zu Tisch saß, obwohl es Sommer war.
>>Also besucht sie ihre Großeltern, wie mir scheint.<<
Es war allseits bekannt, dass alte Menschen empfindlicher auf Temperaturen reagierten und selbst im Sommer froren. Um den Tisch herum lagen nur drei Sitzkissen, somit lag seine Theorie nahe, wie er fand. Die Wände waren aus Papier, außer die Außenwände, die aus Holz erbaut wurden.

"Schließ die Tür und setz dich. Ich mache Tee."
Ohne den Detektiv noch einmal anzusehen, wandte sie sich erneut von ihm ab und öffnete eine weitere Schiebetür, die nun sicher den Flur versperrte.
"Komisches Haus.", murmelte Ranpo und setzte seinen Hut ab. Es gehörte sich nicht, einen Hut in einem fremden Haus zu tragen, soviel wusste auch er über die Gepflogenheiten bescheid. Die Wände waren so dünn, dass er hörte, wie Doyle verschiedene Schränke öffnete. Jeder knarrte in einem anderen Ton, oder er quitschte.
Der Teekessel klapperte, als sie ihn auf den Brandheerd stellte, um das Wasser zu erhitzen. Er würde sicher bald auseinander fallen, so wie es sich anhörte. Es dauerte ein paar Minuten, da hörte Ranpo den pfeifenden Teekessel. Es klapperte und klirrte erneut, als Doyle das Wasser in eine Servierkanne umfüllte und dann den Tee dazu gab. Auf ihre, ganz eigene, Art beruhigten diese Geräusche den Detektiv. Zuvor hatte er doch etwas Angst empfunden, als er in den Zug gestiegen war. Es ging so weit, dass er sogar auf halber Strecke aussteigen wollte, als der Zug eine kurze Pause gemacht hat.
Aber als er die vielen, vertrauten, Geräusche vernahm, kam er zur Ruhe. Mit einem Tablett, aus Holz, das sie fest mit beiden Händen am Rand festhielt, kam sie zurück ins Zimmer.
Graziel kniete sie sich ihm gegenüber und stellte alles, auf dem Tisch, ab. Allein an ihren Bewegungen konnte er sehen, dass sie das nicht bloß einfach so tat. Sie hatte es einstudiert, sicher nicht freiwillig. Als sie das Tablett auf den Schoß nahm, war er sich sicher. Seine Partnerin war zu einer Hausfrau erzogen worden.
>>Welch Verschwendung<<, dachte er sich und nahm den Tonbecher in beide Hände. Dabei wusste er noch gar nicht, was wirklich geschehen war.

"Ich bin überrascht, dass du es allein hierher geschafft hast. Ogawa ist etwas schwerer zu erreichen. Mich wundert, dass du ein Taxi bekommen hast."
Ranpo musste lächeln. Sie hatte bereits erkannt, dass er unmöglich zu Fuß hätte her finden können.
"Warum bist du hier?", fragte sie vorwurfsvoll. Ranpo konnte ihren traurigen Blick nicht ganz deuten.
"Urlaub in Ogawa schien mir vielversprechend", log er offensichtlich. Doyle schüttelte den Kopf.
"Du kannst nicht einfach auftauchen, nur weil dir danach ist. Ich bin erwachsen und komme gut zurecht."
Ranpo sah das anders.
Doyle stand mit festen Beinen im Leben und ihr Orientierungssinn war sicher besser, als sein eigener. Trotzdem kam sie nicht allein zurecht. Nicht in Bezug auf Herzensangelegenheiten. Sie war bedrückt, aber bekam noch immer nicht den Mund auf, um nach Hilfe zu fragen.
Ranpo führte den Teebecher an seine Lippen und nahm einen Schluck von dem heißen Getränk.
Die junge Frau ließ ihn dabei nicht aus den Augen.
"Wen besuchst du?", fragte er, obwohl er es schon wusste.
"Meine Großeltern."
Doyle war sich selbst bewusst, dass ihr Partner bereits in Kenntnis lag, dennoch führte sie seine Scharade weiter.

"Sie sind nicht hier, wenn du das wissen wolltest", fuhr sie fort, bevor der Detektiv überhaupt seinen Mund geöffnet hatte. Ranpo presste seine Lippen aufeinander, bis sie nur noch eine dünne Linie waren. So abweisend kannte er, die sonst so aufgeweckte, Doyle nicht.
"Sie sind im Krankenhaus. Darum kümmere ich mich in der Zeit um ihr Haus. Es ist alt und braucht Pflege."
Leise stellte Ranpo die Tasse auf dem Tisch ab und faltete seine Hände in seinem Schoß. Allmählich bereute er, ihr gefolgt zu sein. Doyle log offenbar, konnte nicht darüber sprechen.
Dabei scherte er sich sonst nicht darum, wenn er anderen auf die Nerven ging. Doch dieses Mal war es anders.
Doyle's Laune war definitiv angeschlagen und er bekam das Gefühl nicht los, dass bald jemand sterben würde, oder es vielleicht schon geschehen ist. Obwohl Ranpo schon lange den Blickkontakt unterbrochen hatte, spürte er, immer noch, ihren Blick. Sie saß einfach nur dar, wie eine Statue mit traurigen Augen.
"Du musst nicht allein grübeln", sprach er mit ruhiger Stimme, versucht darauf, sie nicht zu verärgern. Das Mädchen seufzte schwer und ließ den Kopf nach vorn fallen. "Ich grübel nicht."
"Du trauerst", riet er weiter. Sie schüttelte nur den Kopf und sah zum Fenster, hinter dem die Berge zu sehen waren.
"Es gibt Momente, in denen man nicht reden kann."
Verständnisvoll nickte der Meister der Deduktion und sah zu seiner Partnerin, die er nicht mehr wiedererkannte.
War es wirklich so ein großer Fehler gewesen, ihr zu folgen?

All I see is you (Bungou stray dogs FF Ranpo)Where stories live. Discover now