Kapitel 27

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Am nächsten Tag betrat ich das Café, zusammen mit meinen Kollegen. Kunikida arbeitete, wie sollte es auch anders sein, weiter.
„Einmal am Tag muss ich einfach herkommen. Es ist nunmal unwiderstehlich, wenn das Gute so nahe liegt“, kam es von Dazai, der sogleich die Tür des Cafés öffnete. Das schockierende: Es lag in Schutt und Asche. Es war, als hätte jemand eine Bombe hinein geschmissen.
„Was ist denn hier passiert?“
Selbst Dazai war entsetzt, so wie es hier aussah und den haute nur schwer etwas um. In der hinteren Ecke des Ladens lag der Geschäftsführer, verletzt und sich seine Hand haltend. Gott sei Dank lebte er noch. Es hätte ihn schwerer treffen können, als die bloße Verwüstung seines Lokals. Atsushi, Dazai, Ranpo, Tanizaki, Yosano und ich rannten zu ihm.
„Was ist hier passiert?“, fragte unsere Ärztin sofort und kniete sich zum Meister. „Sein Finger!“, wies ich darauf hin, dass er blutete. Sein Fingernagel fehlte. Eine bekannte Foltermethode, die früher zu hauf angewandt wurde. Schrecklich! „Ein Glück nur, dass Ihnen allen nichts passiert ist!“, sagte der Mann und bebte vor Schmerzen. Uns allen war bewusst, wer den Laden in Schutt gelegt hatte. Es konnten nur die Verbrecher sein, die auf der Suche nach dem Erbe der Gilde waren. Sofort machten wir uns auf den Weg, nachdem Ranpo, so schnell wie immer, den Unterschlupf dieser Gruppe ausfindig gemacht hat.

Wir standen vor einer riesigen Tresortür, die Kenji ohne großen Aufwand aus ihren Angeln riss. „Das ist unmöglich! Ihr hättet uns in diesem Versteck niemals finden dürfen!“, schrie der Kopf der Bande. Ein Mann mit blondem Haar. „Ranpo hat nur fünf Sekunden gebraucht, um euch aufzuspüren“, schmunzelte Dazai. Ich hielt mich hinter Ranpo, der lässig die Arme in seinen Nacken legte. Tanizaki hatte sich um die Überwachungskameras gekümmert, während Atsushi sich die Wachen zur Brust nahm. Mit seiner Fähigkeit waren selbst Schusswaffen keine Bedrohung für ihn. „Ich glaube wir müssen uns bei euch bedanken. Wir haben wieder Spaß an unserem Job.“ Dazai auf jedenfall, aber er war auch Mitglied der Hafenmafia. Kam sein altes ich etwa doch wieder zum Vorschein? Kenji schulterte die Tresortür und hielt sie problemlos über seinen Kopf. Yosano hingegen drehte völlig durch, mit ihrer geliebten Kettensäge.
„Ich habe gehört, dass du gerne Fingernägel rausziehst! Ich bewundere deinen Geschmack! So einen Spaß hatte ich lange nicht mehr!“, sagte sie und klang dabei schon wie eine Psychopathin. Sie schnitt ihn einfach in zwei Teile und die anderen grinsten nur. Ich war entsetzt. Meine Kollegen waren viel blutrünstiger, als ich je angenommen habe. Wenn ihnen etwas am Herzen lag, gab es keinen Spaß. Mir wurde bewusst, dass wohl niemand in unserem Büro wirklich normal war. War das der Nebeneffekt einer Fähigkeit? Dass man wohl oder übel irgendwann irre werden würde?

*****Etwas spater*****

„Hach… Ist das schön“, schwärmte Dazai, als wir wieder im Café sitzen konnten. Ich hatte dem Ladenbesitzer etwas mit meiner Illusionskunst beim Wiederaufbau geholfen. Der Arme hatte schon genug ertragen müssen und wir waren es schließlich schuld, dass sie es überhaupt auf das Lokal abgesehen hatten. Wir waren die erste Anlaufstelle, die man aufsuchte, wenn man auf der Jagd, nach dem Erbe der Gilde, war. „Ich würde gern wissen, woraus das Erbe der Gilde eigentlich besteht?“, stellte Tanizaki seine Frage laut. „Das gibt es doch überhaupt nicht. Wenn es das gäbe, dann hätte sich das längst jemand unter den Nagel gerissen“, sagte Dazai ruhig. „Ich wette die Leute haben sich durch falsche Informationen an der Nase herum führen lassen.“
Atsushi musterte seinen Kollegen nachdenklich und drehte sich wieder zur Theke um, an der er saß. „Aber da fällt mir ein… Die Überlebenden der Gilde…“ Die Tür öffnete sich und Atsushi wurde vom Meister unterbrochen, der uns jemanden vorstellen wollte. Es war das rothaarige Mädchen aus der Gilde, Lucie. Sie war nun also hier Angestellte, wie der Meister uns verriet. Das Mädchen war ganz rot im Gesicht und Atsushi war überrascht sie zu sehen. Es lag wohl nicht mehr in unserem Zuständigkeitsbereich, dass wir uns um die übrigen Mitglieder kümmern sollten. Ich war mir ziemlich sicher, dass die beiden sich mochten, auch wenn sie ein feuriges Temperament an den Tag legte.

*****Nächster Tag*****

„Geht das auch in Ordnung, wenn du deine Aufgaben an jemand anderen abschiebst?“, fragte ich Ranpo, der seinen Auftrag an Atsushi übergab, weil er lieber Gebäck naschen wollte. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Es war viel zu köstlich um damit zu warten. Nachdenklich biss ich von einem, mit süßer Bohnenpaste, gefülltes Küchlein. „Das geht schon in Ordnung. Es ist besser für ihn, wenn er es selbst sieht.“
Fragend sah ich ihn an.
„Atsushi ist, wie du weißt, im Waisenhaus aufgewachsen. Der Mann, der überfahren wurde, ist der Leiter der Einrichtung und hat sich um ihn gekümmert. Er war hier, weil er Atsushi gratulieren wollte.“
Ranpo hatte doch etwas von einem Blumenladen gesagt, als er ihn weggeschickt hat.
„Deswegen sollte er einen Blumenladen aufsuchen. Der Leiter hat Blumen für Atsushi bestellt.“ Der Detektiv seufzte und stützte seinen Kopf in seine Hand, während er sich den Rest des Teilchens in den Mund schob und nach ein wenig kauen hinunter schluckte.
„Du solltest aufhören, sowas an dich heran zu lassen. Wenn du jedem Toten nachtrauerst und ihn bedauerst, verlierst du dich irgendwann selbst und wirst zu einer leeren Hülle. Der Tod… gehört zum Leben dazu.“ Ich senkte den Kopf. Er hatte ja recht ich dachte zu viel darüber nach. In unserer Branche starben viele. Verbündete, Freunde, Feinde. Alle hatten sie etwas Gemeinsam. Sie sind sich der Gefahr bewusst.
„Was wäre, wenn alle verschwinden würden? Wenn alle, außer dir, diese Welt verließen?“
Ranpo riss die Augen auf.
„Woher kommen diese Gedanken?“, fragte er entsetzt.
„Wir sind ständig vom Tot umgeben. Ständig wird jemand verletzt und hätten wir Yosano nicht…“
Ich schüttelte mich und zuckte zusammen, als etwas warmes meine Hand umfasste. Es war Ranpos Hand. „Bis jetzt hat die Detektei alles überstanden. Keiner unserer Mitarbeiter ist, bis jetzt, gestorben. Das wird auch so bleiben. Also denk nicht über Ereignisse nach, auf die du keinen Einfluss haben wirst. Darüber zu grübeln, macht es dir nur schwerer.“
Sanft drückte er meine Hand. Unsere erste innigere Berührung, die wir seit unserem Gespräch vor zwei Tagen hatten. Noch nicht einmal ein Kuss war zustande gekommen. Es war zum verzweifeln. Natürlich könnte ich einfach den Ersten Schritt machen, aber wer wusste, ob es für ihn nicht zu früh war? Er war ohnehin schon zurückhaltend, was Berührungen anging. „Doyle, denk doch einfach mal an gar nichts“, vernahm ich seine Worte schwach und wie durch Watte.
„An gar nichts… Dafür muss ich woanders hin“, sagte ich hastig und löste mich von ihm, nur um das Büro so schnell wie möglich zu verlassen und mich zurück zu ziehen. Noch länger in Ranpos Nähe und ich würde durchdrehen.

*****Ein weiterer Tag später*****

„Hallo, Ranpo? Steckst du hier irgendwo?“ Vorsichtig steckte Poe, mit dem Waschbär Karl auf seiner rechten Schulter, den Kopf durch die Tür. Verwundert richteten sich alle Blicke zur Tür. „Sie sind doch von der Gilde, oder?“, fragte Atsushi. Ich hatte Poe den Schrecken von letztens immer noch nicht verziehen. Offenbar stirbt man tatsächlich, wenn man in seiner Geschichte stirbt. Etwas schlimmeres konnte ich mir gar nicht vorstellen. Wachsam folgte ich ihm mit meinen Augen, wie er zu Ranpos Schreibtisch lief. Freudig winkte er.
„Hallo, Poe! Komm rein! Sag bloß, du hast deinen neuen Krimi endlich fertig?“, fragte er freudig. Er wollte so schnell schon wieder ins nächste Abenteuer? „Nein, ich bin gekommen, um mit dir ein Kriminal Spiel zu spielen.“ Poe schwebte schon fast zu Ranpos Schreibtisch. Ich ging hinter Dazais Tisch in Deckung. Ich wollte nicht noch einmal so einen Horror erleben. Das war definitiv zu viel für mich gewesen.
„Hast du etwa Angst, Doyle?“, grinste mein Nebenmann. Wenn er wüsste…
„Sei ruhig!“
„Wie? Noch immer kein neuer Roman?“, fragte Ranpo. Poe legte ein paar Papiere auf den Tisch. Das war doch kein Spiel, dass er spielen wollte!
„Das sind Ermittlungshinweise. Der Professor einer Sicherheitsfirma ist dringend verdächtig, einen Kollegen ermordet zu haben“, erklärte Poe. Mit neugierigen Augen warfen auch Dazai und Atsushi einen Blick auf die Papiere. Ranpo setzte seine Brille auf. „Ja, in der tat ein schwieriger Fall. Aber der Professor ist nicht der Mörder.“ Sein Blick wanderte zu mir. „Willst du es versuchen?“, grinste er mich an. Abwehrend hob ich die Hände. Poe wollte ich nicht mehr zu nahe kommen. „Nagut. Der Chef selbst war es“, deckte Ranpo den Täter auf und hielt sein Foto hoch. Ich fand es allgemein schon sehr suspekt, dass er mit sowas zu uns kam. Da steckte sicher mehr dahinter. Etwas später an diesem Tag las ich Berichte darüber, dass die Firma pleite gegangen ist. Schon seltsam, dass ausgerechnet Poe, mit dem Mordfall aus dieser Firma, zu uns kam.
„Ich glaube, mit der Ruhe ist es dann wohl vorbei“, sprach ich meine Gedanken laut aus und erntete fragende Blicke meiner Kollegen. Ich hatte nicht vor, zu erklären wovon ich sprach. Etwas hatte sich verändert, ich konnte es spüren.

All I see is you (Bungou stray dogs FF Ranpo)Where stories live. Discover now