Kapitel 2

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,,Worum genau geht es?", wurde Doyle vom Chef der bewaffneten Detektive gefragt. Wie immer sah er ernst aus. Unter seinem Kimono hatte er die Beine übereinander geschlagen und die Arme vor der Brust verschränkt. Obwohl er sie so eindringlich ansah, bekam er keine Antwort von der Frau. Stattdessen wandte sie sich stur von ihm ab.
Doyle hatte keine Lust mehr zu reden.
,,Wie soll ich jemandem helfen, der keine Hilfe annehmen will?", seufzte er und stand auf. Er hatte weder die Zeit noch die Lust für ein solches Unterfangen.
,,Sie hat mich kontaktiert. Sie wollte, dass ich ihr alleine helfe, aber dafür scheint mir die Sache etwas zu kompliziert zu sein. Natürlich kann ich die Sache allein lösen, aber was ich nicht will, ist mich in eine Schlägerei einzumischen. Wenn ich sterbe, wer löst dann die Fälle? Die Detektei könnte schließen!"
Entnervt atmete die Frau aus.
Seine Arroganz, besser zu sein als alle anderen im Raum, ging ihr auf die Nerven.
,,Sie sind doch in Gefahr, oder? Sollten Sie dann nicht kooperieren?" Fukuzawa, der Chef der Detektei, lehnte sich vor ihr auf die Tischplatte und beugte sich vor.
Ihre Augen waren auf einer Höhe. Ein Schauer überlief sie auf die unangenehmste Weise, so gut er auch aussehen mochte. Mit ihm war wirklich nicht zu spaßen, trotz seiner ruhigen Miene. Es war, als würde sie in die Augen einer Bestie blicken.
,,Eine Drohung?"
,,Eine Bitte."
Skeptisch senkte sie den Blick und wog ihre Möglichkeiten ab.
,,Wir werden dich nicht einfach so gehen lassen. Das wäre unverantwortlich", versuchte Ranpo sie noch einmal umzustimmen. Sie kannten sich doch gar nicht! Sie wollte Hilfe und keine Predigt.

Ranpo konnte nicht riskieren, dass seine Auftraggeberin starb. Jedenfalls nicht, bevor die Sache geklärt war. Was danach passierte, ging ihn nichts mehr an.
,,Ich wollte nur mit Ranpo sprechen. Wenn ich gewollt hätte, dass ihr euch alle einmischt, wäre ich gleich zur Tür hereingekommen."
,,Warum Ranpo?"
Sie konnte nicht antworten.
Aus irgendeinem Grund wollte sie sich nur ihm anvertrauen. Die Artikel, die sie in den Zeitungen gelesen hatte, hatten sie beeindruckt. Er war der beste Detektiv des Landes und hatte im Gegensatz zu den anderen eine angenehme Ausstrahlung. In Fukuzawas Nähe konnte sie jedenfalls nicht still sitzen.
Ranpo hatte sämtliche Morde in Yokohama aufgeklärt. Von seinen Kollegen hatte sie noch nicht viel gehört. Vielleicht waren ihre Fälle einfach untergegangen, weil die Mordfälle an Ranpo gingen? Sie legte den Kopf schief und knabberte an ihrer Unterlippe, die bereits blutete. Der Geschmack von Eisen lag ihr auf der Zunge und die kleine Wunde brannte. Trotzdem kaute sie weiter auf der Wunde herum. Eine schreckliche Angewohnheit, die sie sich nicht abzugewöhnen gedachte.
,,Selbstverständlich, weil ich der Beste bin!", grinste der Detektiv und fuhr sich durchs Haar.
Sie beobachtete ihn dabei, hielt einen Moment inne und kniff irritiert ein Auge zu.
,,Wollen Sie sterben oder leben? Wenn Sie zugeben, dass Sie sterben wollen, können wir uns das gleich sparen. Dann übergebe ich Sie einem Kollegen, der sich gerne mit Ihnen in den Tod stürzt!"
Mit jedem Wort wurde er ernster und kam ihr näher.
Doyles Augen wurden groß.
Sie starrte ihn förmlich an.
Fukuzawas Worte erschienen ihr so fremd, so unglaublich. Sie konnte nicht glauben, was sie hörte.
Doyle wollte unbedingt leben!
Sie lehnte sich immer weiter in ihrem Stuhl zurück, bis sie mit ihm umzukippen drohte, konnte sich aber noch an Ranpos Stuhllehne zurück an den Tisch ziehen.
"Ich habe verstanden!", keuchte sie noch ganz erschrocken und atmete erst einmal tief durch, bevor sie zu einer Erklärung ansetzte.
,,Da ist dieser Mann... Er bedroht mich schon seit einiger Zeit."
Sie atmete noch einmal tief durch.
Es war, als ob sie zu ersticken drohte.
Ihr Herz fühlte sich schwer in ihrer Brust an.
,,Ich habe ihn bei etwas Illegalem erwischt und seitdem verfolgt er mich. Er schickt mir Drohbriefe und ruft mich an."
Ihre Hände begannen zu zittern, und sie krallte sich in ihren Rock, um es unter Kontrolle zu bringen.
,,Einmal ist mir jemand im Dunkeln nach Hause gefolgt. Wann anders... Na ja ..."
Es fiel ihr schwerer als zuvor, weiterzusprechen. Die beiden Männer hörten ihr geduldig zu.
,,Ich hatte einen abgetrennten Finger im Briefkasten..."
Die beiden Männer hielten kurz den Atem an.
,,Er hat mir gedroht, mich umzubringen, wenn ich jemandem davon erzähle. Er hat meine Kommunikation überwacht, also blieb mir nichts anderes übrig, als Ranpo irgendwie zu mir zu locken. Ich brauche wohl nicht zu erklären, dass das, was Ranpo vorhin im Café getan hat, alles andere als gut für mich war. Ich bin mir sicher, dass er es schon gemerkt hat..."
Ihre Stimme zitterte immer mehr, während sie ihre Situation erklärte. Ihr Puls raste, sie begann zu schwitzen und gleichzeitig zu frieren. Schnappatmung setzte ein und sie fühlte sich am Ende ihrer Schilderung ganz benommen.
Eine Gänsehaut überzog ihren Körper. Sie fühlte sich unwohl, wollte sich am liebsten irgendwo verkriechen und nie wieder herauskommen.
,,Sonst noch etwas?"
Sie senkte den Kopf noch weiter, hing fast unter dem Tisch.
,,Jemand war in meiner Wohnung. Als ich... unter der Dusche stand, war ein Schatten vor dem Vorhang. Bevor ich ihm folgen konnte, war er verschwunden. Nachts, wenn ich schlief, dachte ich sogar, nein, ich bin sicher, dass mich jemand beobachtet hat. Ich hörte immer ein Flüstern."
Die beiden Männer senkten die Blicke.
Auf Ranpos Gesicht hatten sich bereits Schweißperlen gebildet. Die Lage war so ernst, wie er vermutet hatte. Vielleicht sogar noch schlimmer.
,,Sie sind sicher erschüttert, und ich frage Sie mit all meiner Sensibilität. Wurden Sie von der Person oder den Personen berührt?"
Sie zuckte zusammen, legte beide Hände in den Nacken und krümmte sich.l, als hätte sie furchtbare Schmerzen.
,,Jemand hat versucht mich zu erwürgen. Ich erinnere mich kaum, wahrscheinlich wegen des Sauerstoffmangels", erklärte sie stotternd und drohte fast vom Stuhl zu fallen. Fukuzawa war jederzeit bereit, sie aufzufangen.
,,Sie hätten viel früher kommen sollen!", bellte der Chef wütend und erschreckte Doyle so sehr, dass sie nach Luft schnappte, aber nicht atmen konnte.
,,Dass Sie noch leben, ist kein Zufall. Der Täter spielt mit Ihnen, um Sie leiden zu sehen", erklärte Ranpo ernst und war aufgestanden. Es war ihm unbegreiflich, wie man eine Frau so behandeln konnte. Niemals würde er so etwas verstehen können. Genauso wenig verstand er, warum jemand so sehr zögerte, um Hilfe zu bitten.
,,Sie können vorerst hier bleiben. Es wäre nicht sehr ratsam, wenn Sie allein blieben."
Fukuzawa führte sie zurück in das Großraumbüro, wo sie sich in die Kundennische zurückzog. Jemand hatte ihr noch eine Decke gebracht, sie achtete nicht darauf, wer es war, und wickelte sich einfach ein. Sie rührte sich nicht mehr und blieb völlig eingehüllt in der Decke liegen. Sie war nur noch ein zitterndes Knäuel. Bis sich jemand vor sie setzte. Vorsichtig schaute sie unter der Decke hervor.

All I see is you (Bungou stray dogs FF Ranpo)Donde viven las historias. Descúbrelo ahora