Kapitel 46

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Fyodor führte mich durch eine Tür, hinter der es windig und kalt war.
Die Welt war dunkel.
Auf einem Kreis, der auf den Boden gemalt worden war, blieb Fyodor mit mir stehen.
Der Russe hob seinen Arm. In der Hand, die er hochhielt erkannte ich eine Fernbedienung, auf dieser er einen Knopf betätigte.
Der Mechanismus ließ Licht von vier Seiten auf uns scheinen. Es war so hell, dass es in meinen Augen schmerzte. Mit meiner rechten Hand schirmte ich meine Augen ab.
"Wo sind wir hier?", fragte ich mit zitternder Stimme. Eine starke Gänsehaut überzog meine Haut, nicht nur weil ich unsagbar fror.
Ich hatte Angst. Angst, dass etwas Schlimmes auf mich zukam. Der Gedanke daran, zu sterben, tauchte in meinen Gedanken auf. Fyodor würde mich umbringen, wenn ich meinen Zweck erfüllt habe.
"Auf dem höchsten Gebäude Yokohamas."
Natürlich wusste ich, um was für ein Gebäude es sich handelte, war ich erst vor kurzem mit meinen Kollegen hier gewesen. Allerdings hatte ich die Aussicht Yokohamas damals von einem sicheren Punkt aus betrachtet.
Auf dem Dach des Gebäudes zu stehen, war alles andere als sicher für mich, wenn neben mir ein gefährlicher Verbrecher stand.
Sein Arm löste sich von meinem und er trat zwei Schritte nach vorn. Langsam drehte er sich zu mir um. Die feinen Gesichtszüge verändernten sich. Die Kieferpartie wurde kantiger, dass Gesicht immer mehr zu dem eines Japaners. Die Augenbrauen wurden voller und geschwungener. Das dunkle Schwarz seines Haares wurde zu leuchtendem Silber und sein charmantes, wenn auch gruseliges Lächeln, bekam Grübchen und wurde noch düsterer.

"Lang ist es her, Doyle."
Die raue Stimme des Mannes sorgte für ein mulmiges Gefühl in meinem Magen. Mein Herz schlug langsamer in meiner Brust, als würde es bald komplett still stehen. Ich spürte, wie mir das Atmen schwerer fiel. Mein Körper wurde taub, als würde ich in Eiswasser liegen, gefangen unter einer Eisscholle, ohne die Möglichkeit zu entkommen.
"Sie sind nicht Fyodor!"
"Nein, bin ich nicht. Du scheinst dich nicht an mich zu erinnern, aber das wirst du noch."
Meine Beine zitterten, als ich nach hinten taumelte. Ich schnappte nach Luft.
>>Fühlt sich so eine Panikattacke an?<<
Es fühlte sich an, als würde mir der Boden unter den Füßen weggerissen werden und ein tiefes dunkles Loch würde unter mir darauf warten, dass ich fiel.
"Wo willst du denn hin? Es ist gefährlich, am Rand zu stehen, so ganz ohne Geländer, an dem man sich festhalten kann...", sagte er, mit einem gespielt besorgten Ausdruck auf dem Gesicht.
Aber er blieb stehen, während ich am Rande des Daches stehen blieb und ihn nicht aus den Augen ließ. Wieso konnte ich mich überhaupt wieder frei bewegen? Was war aus seiner Gehirnwäsche geworden? Oder war es doch etwas anderes gewesen?

"Der Traum, über Fyodor und mich, dass ich Gefangene des Ministeriums war... Das wars du, nicht wahr?"
In einer nichtssagenden Geste hob er seine Hände und zuckte mit den Schultern.
Mir wurde nun klar, was vor sich ging.
All die Ereignisse, die sich so plötzlich überschlugen, waren nichts weiter als eine Einbildung, ausgelöst von diesem Mann, gewesen. Er hat sich in mein Bewusstsein geschlichen, wie ein Parasit.
"Das war alles nicht real!", rief ich und sah über meine Schulter.
"Glaubst du wirklich?"
Seine Schritte näherten sich mir auf bedrohliche Art.
Schritt für Schritt.
Alles schien so echt gewesen zu sein, doch nichts davon ergab Sinn. Wenn dieser Mann sich als Fyodor ausgeben konnte, war es unmöglich, dass er gleichzeitig mein Bewusstsein manipulieren konnte.
Außer dies wäre alles ein Traum und er wäre derjenige, der ihn steuerte. Natürlich gab es noch die Möglichkeit eines Komplizen, aber dieser Mann kannte mich offenbar. Hätte er einen Komplizen, hätte sich dieser sicher nicht im Hintergrund aufgehalten. Besonders nicht, wenn sich dieser Mann seiner Sache so sicher war. Er strahlte vor Selbstbewusstsein. Wenn er einen so fähigen Komplizen hatte, hätte er mir diesen allein aus Arroganz vorgestellt.

"Wenn man in seinem Traum stirbt, löst dies einen Mechanismus im Gehirn aus, da wir nicht wissen, wie sich der Tot anfühlt und was danach kommt."
Der Mann lachte und nickte.
"Mit dem Gehirn kennst du dich ja sehr gut aus. Aber reicht es soweit, dass du den Unterschied von Wahrheit und Lüge erkennen kannst?"
Ich sah ihn mit zusammen gezogenen Brauen an. Er versuchte mich zu manipulieren, dass erkannte ich.
"Ganz sicher. Aus diesem Grund, wähle ich, die an ihrem Leben hängt, den Freitod. Für unser nächstes Wiedersehen, werde ich ein paar Vorkehrungen treffen müssen."
Ich trat rückwärts über den Rand.
Wind umwehte mich, als ich in die Tiefe stürzte.

Ein bekanntes Gefühl, das mich wieder einmal an mein erstes Treffen mit Ranpo erinnerte. Wieder einmal stürzte ich in die Tiefe. Etwas, das mir in letzter Zeit außergewöhnlich oft passierte.

Als ich meine Augen wieder öffnete, schrak ich hoch. Ich sah mich hektisch um und erkannte, dass ich mich im Krankenzimmer der Detektei befand.
Als ich mir durch mein Haar streichen wollte, bemerkte ich, dass es fettig und meine Stirn schwitzig war. Ich musste hier schon ein paar Tage gelegen haben.
Ich sah zu der Kommode rechts von meinem Bett, auf der mein Handy lag.
Ich nahm es in die Hand und entsperrte es.
>>Keine neuen Nachrichten<<, las ich auf dem Bildschirm und schaltete den Bildschirm wieder aus. Wartend, ob jemand nach mir sehen würde, sah ich zur Uhr an der Wand. Als auch nach einer Stunde niemand kam, stand ich vom ungemütlichen Krankenbett auf und lief Barfuß zur Tür.
Das Büro war Menschen leer.
Diese Tatsache überraschte mich nicht.
Es war nach acht Uhr abends. Zu dieser Uhrzeit war das Büro längst geschlossen.
>>Aber warum lässt man mich dann allein?<<, wunderte ich mich und setzte mich auf meinen Schreibtischstuhl.
Ich war noch so verschlafen, dass ich nicht mitbekam, wie sich die Tür öffnete und jemand herein kam, weswegen ich zusammen zuckte, als die Person mich plötzlich ansprach.
"Wie schön, dass du aufgewacht bist!", sagte eine erfreute Stimme, zu der ich mich überrascht umdrehte.

All I see is you (Bungou stray dogs FF Ranpo)Where stories live. Discover now