Kapitel 10- Alte Wunden

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Immer noch fassungslos starrte ich hinaus in die Dunkelheit. Es war einfach schrecklich. Wie konnte ein 'Wolf' bitte ein Fenster öffen beziehungsweise eins in die Luft sprengen?! Was ich auch nicht verstehen konnte war, wie die Glassplitter nach INNEN flogen. Meiner Meinung nach ist das Biest hinausgesprungen, also sollten jetzt die Glassplitter im Garten verteilt sein. Das ist doch einfach nur krank.

Immer noch verstört lief ich in den Flur zurück und kämpfte gegen die Tränen an, als ich den Blutsee unter den Kratzern sah. Ich lief in die Abstellkammer und holte unseren Handfeger und die Müllschippe. Es musste ja nicht gleich so schlimm aussehen.

Wem machst du hier was vor? Da war ein Monster in deinem Haus, hat deine Wand zerkratzt und eine Blutlache hinterlassen, und hat es irgendwie geschafft, das Fenster von außen zu zerstören. Deine einzige Sorge ist doch nicht im Ernst die, ob es hier ordentlich aussieht oder nicht?!, zog mich meine innere Stimme runter. Wo sie recht hat, hat sie recht. Das war alles ein schlimmer Alptraum. Ein Alptraum, aus dem ich nicht mehr aufwachen konnte.

Nachdem ich alle Glassplitter entsorgt hatte, suchte ich mein Handy und wollte Ave anrufen. Irgendwem musste ich davon erzählen. Die Polizei würde mir niemals glauben, meine Mutter würde mich zu einem Psychater schicken und Liam war spurlos verschwunden.

"Justine, bist du das?", fragte meine beste Freundin. "Ja, Ave, du musst bitte unbedingt kommen. Es ist etwas sehr schreckliches passiert, " ich begann wieder zu weinen. Scheinbar hörte sie mein Schluchtzen. "Bist du zu Hause?" "Ja. Oh bitte, komm schnell. Ich halt das nicht meht aus. Das wird mir alles zu viel. Ich kann nicht mehr.", weinte ich.

"Alles klar. Ich bin sofort auf dem Weg. Und tut mir leid, dass du vor meiner Hausttür gestanden hast und niemand geöffnet hat. Wirklich,  -" "Ave, dass ist grade meine geringste Sorge. Bitte. Komm. Schnell. ", unterbrach ich sie. "Okay. Bis gleich, Schatz", verabschiedete sie sich und legte auf.

Ich wischte mir die Tränen weg und lief in die Küche, um mir einen Kakao zu machen. Mir war immer noch unwohl, wenn ich durch mein Haus laufe. Als ich am Badezimmer vorbeikam, stieg wieder die Angst in mir. Ich kontrollierte schnell, ob das Fenster auch zu war.

Mit meinem Kakao in der Hand lief ich in das Wohnzimmer und kuschelte mich in eine weiche Decke ein, während ich gedankenverloren aus dem Fenster sah.

Unwillkürlich musste ich an meinen Vater denken. Genauso hatte ich reagiert, als ich erfuhr, dass er nicht mehr zurückkam. Auch damals hatte ich geweint. Meine alte Wunde fing wieder an zu brennen. Ich zog den Ärmel meines Oberteils hoch und betrachtete meinen Oberarm. Meine Mutter hatte mir erzählt, dass ich damals als Baby von einem Hund ziemlich stark gekratzt wurde. Allerdings trug ich kein Trauma oder ähnliches davon. Ganz im Gegenteil: ich liebte Hunde. Sie sind nur aggressiv und verletzten andere, wenn sie nicht richtig erzogen werden. Ich wollte selber immer einen Hund, habe aber keinen bekommen. Unbewusst begann ich zu lächeln. Ich liebe es in Erinnerungen zu schwelgen. Jedenfalls, die Narben sah man kaum noch. Sie waren stark verblasst, und wenn man nicht wusste, dass es dort Kratzspuren gibt, sieht man sie auch nicht.

Ich wurde von unserer Klingel aus meinen Gedanken gerissen. Vorsichtshalber holte ich wieder ein Messer, ich hab einfach noch viel zu große Angst. Langsam schlich ich mich an die Tür an und öffnete sie zögernd. Sobald sie einen Spalt offen war, stieß jemand sie härter von außen auf, sodass ich kurz quiekte und einen Satz nach hinten machte, dabei aber zitternd das Messer kampfbereit hielt. Ave kam herein und wollte mich umarmen, sah mich aber mit großen Augen an als sie das Messer entdeckte. "Oh mein Gott Justine, was ist denn los? Willst du mich etwa abstechen? Was - ", fragte sie geschockt. Ich hingegen ließ das Messer fallen und umarmte sie, wobei ich sie mitten im Satz unterbrach. Beruhigend strich sie mit einer Hand über meinen Rücken und flüsterte: "Es ist alles okay, ich bin ja da. Beruhig dich erstmal. Komm, wir gehen rein und setzen uns." Ich nickte und schloss die Tür hinter ihr.

Im Wohnzimmer angekommen setzten wir uns auf die Couch und ich begann zu erzählen: "Also... es sind ziemlich viele schreckliche Sachen passiert, und ich weiß einfach nicht mehr weiter. Alles fing an, als ich nach der Schule vor gut einer Woche in den Wald ging. Ich fühlte mich ein wenig beobachtet, habe es aber ignoriert. Auf dem Rückweg habe ich dann Schritte hinter mir gehört und als ich mich umdrehte, war da...", ich begann zu zittern und schluchzte los, "da war ein riesiger W-wolf mit roten Augen. E-er sah so gefährlich aus. I-ich hab total Panik bekommen und bin losgerannt." Die erste Träne floss.

"Jedenfalls, dann habe ich einen Alptraum gehabt und hatte total Angst. Aber ich hasse es, Angst zu haben. Deshalb entschied ich mich, nochmal in den Wald zu gehen. Ich hab meine Mutter über die Wölfe ausgefragt, aber sie... sie hat mir irgendetwas verheimlicht. Das hatte sie noch nie. Sie war immer erhlich zu mir. Dann hast du mir diese Nachrichten geschrieben. Ich hatte natürlich keine Ahnung, was du damit meintest. Im Wald hat mich dann wieder diese Bestie angegriffen, es kam mir vor wie in meinem Traum. Nur mit dem Unterschied, dass ich nicht umgebracht wurde, sondern ein anderer, schwarzer Wolf mich beschützt hat. Jedenfalls glaube ich das. Woran ich mich aber noch gut erinnern kann sind diese blauen Augen. Und ich bin mir ganz sicher, dass es Jacksons waren. Aber wir kann das sein, Jackson ist doch ein Mensch und kein Wolf. Ich wurde aber ohnmächtig und bin bei Jackson aufgewacht. Er meinte, er hätte mich im Wald gefunden und hat sich darüber aufgeregt, dass meine Mutter und mein Bruder mir nichts gesagt hätten. Ich weiß nicht, was er damit meinte. Aber zu dem Zeitpunkt ist mir aufgefallen, dass ich meinen Bruder schon seit langer Zeit nicht mehr gesehen hatte." Ich holte ein paar mal tief Luft, damit ich mich beruhigen konnte. "Als ich dann zu dir kam, hat keiner aufgemacht, wie du sicher weißt. Und obwohl ich trotz der Nachrichten von dir gedacht hatte, es sei einfach alles ein echt beschissener Streich, war ich total verängstigt. Dass mich dann noch ein paar Leute beobachtet und gefolgt sind, hat mir echt den Rest gegeben. Unglücklicherweise haben sie gesehen, wo ich wohne. Zuhause habe ich geduscht, um mich abzureagieren. Leider hat das nicht lange angehalten, denn das Badezimmerfenster stand offen, obwohl ich vorher noch nachgeschaut hatte, ob die Fenster alle geschlossen sind. Und oben im Flur, da -", weiter kam ich nicht, denn ich musste jetzt richtig anfangen zu weinen. "Schau e-einfach selbst nach", stottertr ich schließlich.

Ave nickte nur. Sie war die ganze Zeit ruhig und hat mir zugehört.

Oben im Flur hörte ich sie nach Luft schnappen. Wahrscheinlich war sie genauso geschockt wie ich. "Justine, komm mal her. Es wird Zeit, dir die ganze Wahrheit zu erzählen." Was meinte sie denn jetzt damit?

My Bad-Alpha-BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt