21. Hoffnungslos

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Irgendwann – die Sonne war bereits ein ganzes Stück weiter gen Horizont gesunken – riss der Strom der Tiere ab. Liv war es unmöglich zu sagen, wie viele Tiere sich dort auf sie zubewegten. Waren es tausende? Zehntausend? Oder noch mehr…

Es waren Zahlen, die ihre Vorstellungskraft überstiegen. Zahlen, die weit über das hinaus gingen, was Nurvia an Einwohnern besaß. Sie hatten den Tieren nichts entgegen zu setzen. Sie waren ihnen nicht ebenbürtig – weder in der Zahl, noch in der Kampfeskraft. Die wenigen Waffen und Gerätschaften, die ihnen einen Vorteil verschafften, würden den überwältigenden Unterschied nicht wettmachen können.

Das war das Ende. Einen zweiten Angriff konnten sie nicht überleben. Die Stadt würde endgültig sterben in mit ihr vielleicht die gesamte Menschheit.

„Das ist hoffnungslos.“ Livs Stimme war kaum noch ein Flüstern. Ihre Fingernägel krallten sich in die Handflächen vor mühsam unterdrückter Wut. Sie hinterließen tiefe Einkerbungen in der Haut.

Es war alles die Schuld der Hunters! Dieser vollauf verblödete Expeditionstrupp, der sie ohne nachzudenken in ein riesiges Chaos gestürzt hatte. Da kamen sie nicht lebendig wieder heraus. Sie konnten sich bemühen, wie sie wollten – am Ende würde es kein Entrinnen geben.

Es war hoffnungslos.

Hoffnungslos!

„So darfst du nicht denken.“, drang Conecs Stimme in ihr Bewusstsein. Er schaute sie so entsetzt an, als wäre es völlig unmöglich, dass sie überhaupt auf solch einen Gedanken kommen könne.

Liv musterte ihn einen Moment lang wortlos. Alles, was sie in diesem Moment hätte entgegnen können, wäre ein Vorwurf für seine Naivität und den grenzenlosen Optimismus gewesen. Bevor sie etwas Falsches sagen konnte, drehte sie sich zu den anderen Novizen um und gab den Befehl zum Rückzug. Sie würden so schnell wie möglich nach Nurvia zurückkehren und Bericht erstatten, wie es ihr Auftrag war. Dann würden sie auf ihr unvermeidliches Schicksal warten.

Die Gruppe schritt voran, Liv folgte ihr. Mit grimmigem Gesichtsausdruck stapfte sie durch den Wald. Hatte sie noch etwas zu tun, bevor ihr Ende kam? Irgendetwas, das ihr den Tod oder die Gewissheit, dass all ihre Lieben sterben würden, erträglicher machte?

Gab es etwas, das den Tod erträglich machen konnte?

Liv wollte zumindest nichts einfallen.

Noch eine Woche, hallte es in ihrem Kopf nach. Immer und immer wieder.

Conec holte sie ein und schaffte es, mit ihr Schritt zu halten, obwohl sich ihnen immer wieder Bäume in den Weg stellten. „Nichts ist hoffnungslos.“, nahm er das Thema wieder auf. „Noch ist nichts verloren – es sei denn, du behältst diese Einstellung weiter bei.“

Liv seufzte und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Regentropfen flitschten von ihren Fingern und besprenkelten den nassen Boden. „Hast du dir das Heer an Tieren nicht angesehen? Oder verschließt du deine Augen vor der Wahrheit?“ Sie begegnete seinem Blick und hielt ihn fest. „Es gibt keine Möglichkeit, dieser Front zu entkommen. Und selbst, wenn es so wäre: Es gibt sehr viel mehr Tiere auf der Welt als Menschen. Früher oder später werden sie uns erwischen. Wenn schon nicht bei einem Angriff, dann nach und nach. Unsere Bevölkerungsanzahl ist jetzt schon drastisch am Sinken.“ Das hätte sie eigentlich nicht verraten dürfen, doch jetzt – so nah vor dem Tod – war es auch egal. „Was meinst du, warum sie Novizen auf eine Reise wie diese schicken, anstatt ausgebildete Hunter!“

Conec schien verblüfft. Er sagte eine Weile lang nichts, hing seinen Gedanken nach, während sie sich durch das dichte Gestrüpp kämpften. Dann schien ihm ein neuer Gedanke zu kommen und er nahm das Gespräch wieder auf.

Hunters 2 - der Pfad des JägersWhere stories live. Discover now