3. Julia

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Es war bereits Nacht, als wir unser Ziel erreichten. Der Mond stand hoch am wolkenlosen Himmel und ließ sein gleißendes Licht auf die Erde nieder rieseln. Er beleuchtete unseren Weg und die weit ausladende Stadt, die sich vor uns erstreckte. Leblos und kantig stachen die Gebäude auf den Horizont ein. Die Straßen waren leer, der Mond das einzige Licht, das die Stadt erhellte.

Wir setzten unseren Weg auf der breiten Hauptstraße fort. Ich musste einigen Schlaglöchern ausweichen, die sich in den spröden Teer gegraben hatten. Die weißen Markierungen, die die Fahrbahnen eingrenzen sollten, waren kaum noch zu erkennen. Eine zerbeulte Metallstange war das einzige, das von der Leitplanke übrig geblieben war.

Es widerstrebte mir, diese Stadt zu betreten, doch uns blieb nichts anderes übrig. Nach dem Anschlag auf den Meteoriten hatten sich die Tiere zunächst zurückgezogen, um ihre Wunden zu lecken, doch die ersten Aggressionen hatten sich bereits bemerkbar gemacht. In weniger als 48 Stunden würde sich der Zorn der Tiere bündeln und gegen ein einziges Ziel richten:

Menschen.

Für mich bedeutete das, dass es nicht klug war, sich weiter in ihrer Nähe aufzuhalten. Ich trug zwar keine Uniform wie die Hunters, die sie angegriffen hatten, doch ich war klar als Mensch erkennbar und würde ein wehrloses Opfer von etwaigen Rachegelüsten werden. Mein linker Arm war noch nicht einmal ansatzweise verheilt und es würde sicher noch lange dauern, bis die durchtrennten Sehnen zusammengewachsen waren. Ich hoffte, dass keine bleibenden Schäden vom Schlag des Tigerbären übrig bleiben würden. Im Moment war mir, als würde ich mich nie wieder von dem Kampf zwischen Mensch und Tier erholen können, der vor wenigen Tagen auf dem Berggipfel stattgefunden hatte. Weder körperlich noch seelisch.

Unruhig drehte ich den Stein in meiner Hand. Seine grau-grüne Musterung war meinen Fingern so vertraut wie die Oberfläche meiner eigenen Haut. Er hätte genauso gut ein Teil von mir selbst sein können. Und obwohl ich nicht mehr oft an ihn dachte, flimmerte bei jeder Drehung des unregelmäßigen Minerals Conecs Gesicht vor meinem inneren Auge auf.

Conec. Der Junge, der mir den Stein geschenkt hatte. Den ich in Nurvia zurückgelassen hatte und den ich mehr als jeden anderen Menschen vermisste. Mein bester Freund…

Seinen Platz hatte ein anderer eingenommen. Das im Mondlicht schimmernde Fell der großen Raubkatze beruhigte mich ungemein. Zwar trug ich das Schwert bei mir, das ich dem einen Hunter bei dem Kampf abgenommen hatte, doch auf den gefährlichen, tierischen Begleiter an meiner Seite wollte ich trotzdem auf keinen Fall verzichten.

Thunder.

Inzwischen reichte mir der Tigerbär bis zu den Schultern. Die strahlend klaren, blauen Augen reflektierten das Mondlicht und schienen selbst zu leuchten. Der Blick glitt wachsam von einer Straßenseite zur anderen. Die spitzen Ohren waren lauschend aufgestellt. Aus seinem Maul ragten zwei gefährlich lange Eckzähne, die beim Reißen der Beute halfen. Die meisten Tiere hatten einen gesunden Respekt vor den gefährlichsten Tieren zu Lande.

Mit der rechten Hand griff ich in das lange, dicke Fell. Von der einen Hälfte ihrer Vorfahren hatten die Tigerbären ihre gestreifte Musterung geerbt. Der Evolution hatten sie zu verdanken, dass die besonders langen Rücken- und Nackenhaare sich bei Anspannung oder Wut aufstellten, sodass sie wie Stacheln aussahen und ihre Gegner mit einem noch bedrohlicheren Aussehen einschüchterten.

Mit dem Körperkontakt durch meine Hand stellte sich auch eine geistige Verbindung zwischen Thunder und mir her. Eine weitere nützliche Idee der Natur, die es den Raubkatzen ermöglichte, ihre Gedanken an andere Lebewesen weiterzugeben. Die Verbindung funktionierte zwar nur einseitig, doch inzwischen hatte Thunder die menschliche Sprache so weit gelernt, dass er verstand, was ich sagte.

Geistesabwesend strich ich durch das flauschige Fell, während mein Blick durch die Umgebung schweifte – genau wie Thunders. „Glaubst du, wir haben eine reale Chance, dass sie uns da drin nicht finden?“ Mit sie meinte ich alle. Menschen und Tiere. Im Laufe der Zeit hatten wir es uns mit beiden Fronten des Krieges verscherzt. Kein besonders vorteilhafter Zustand mitten in der Wildnis.

Thunder schnaufte. Ich glaube gar nichts. Ich weiß, dass sie uns im Wald früher oder später mit Sicherheit gefunden hätten.

Ich nickte und blickte wieder zur Stadt. Die leeren, verlassenen Gebäude machten mir Angst, doch genau das war es, was uns vor Angreifern schützen würde. Menschen wie Tiere mieden Orte wie diesen lieber. Ich konnte gut verstehen, warum.

Wir erreichten den Stadtrand und ich konnte einen Blick auf das Ortsschild werfen. Gollar. Während wir durch die leeren Straßen und Gassen schritten, merkte ich, wie fremd mir dieser Ort wirklich war. Ich war in Nurvia geboren und aufgewachsen und hatte nie etwas anderes gesehen als die eingemauerte Stadt. Die früheren Lebensräume der Menschen kannte ich nur vom Hören oder aus Fotoalben. Ich wusste, was ein Auto war, doch als ich einen rostigen, zerstörten Wagen an einer Straßenecke liegen sah, verschlug es mir glatt den Atem. In so etwas sollten meine Vorfahren tagtäglich zur Arbeit gefahren sein?

Ein besonders großes Gebäude mit einem Türmchen darauf erregte meine Aufmerksamkeit. Ich brauchte eine Weile, bis ich es als Kirche erkannte. Über die Glaubensrichtungen, die die Menschen früher gehabt hatten, wusste ich eine Menge, doch so etwas wie einen Gott kannten wir heute nicht mehr. Die Wissenschaft formte das gesamte Weltbild der Menschen. Niemand glaubte mehr an etwas Übernatürliches.

Die Kirche schien auch Thunders Aufmerksamkeit erregt zu haben, allerdings eher im pragmatischen Sinne. Aus seinen Gedanken konnte ich herauslesen, dass er das Gebäude als geeigneten Schlafplatz erdacht hatte. Ich musste ihm Recht geben. Organisches Material – Nahrung, Pflanzen, Stoff – das die ursprünglichen Bewohner zurückgelassen haben mussten, war inzwischen sicher verrottet. Es würde keinen angenehmen Geruch in einst bewohnten Häusern geben. Noch dazu wollte ich es vermeiden, in der Dunkelheit über menschliche Skelette zu stolpern. Die Kirche hingegen war noch gut erhalten – abgesehen von eingeschlagenen Fenstern und fehlenden Dachziegeln.

Bevor ich sie betrat, hatte ich jedoch keine Ahnung, wie gut erhalten sie wirklich war. Das Innere des Saals, der sich nun vor uns auftat, war alles andere als heruntergekommen. Der Boden war sauber und – von wenigen Rissen im Stein abgesehen – unversehrt. Thunder durchstreifte offenkundig interessiert den Raum. Die hölzernen Bänke sahen noch ordentlich aus, die dazugehörigen Sitzkissen lagen gehäuft in einer Ecke – gar nicht von Insekten und Moder befallen, wie ich gedacht hatte. Mir blieb kaum Zeit, den gedeckten und geschmückten Altar anzustarren, denn in diesem Moment ertönte direkt hinter mir ein Geräusch.

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Eine Sache noch, bevor ich für heute Schluss mache: WERBUNG :)

Dieses Mal für mein geliebtes Schwesterlein „Citroit“ und ihre Geschichte „Poe“ :D Ich liebe die Story und bin schon ganz in ihr versunken… wann updatest du endlich wieder?? O.O :***

Wenn ihr auf süße und sympathische Hauptcharaktere und eine Handlung in kreativ ausgedachten Welten steht, schaut doch mal rein! :D Ich schreibe den zugehörigen Link unter dieses Kapitel in die Kommis ;)

LG Sonnenschein :D :****

Hunters 2 - der Pfad des JägersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt