42. Warten

1.6K 155 15
                                    

Blinzelnd erwachte ich am nächsten Morgen. Mein Zeitgefühl sagte mir, dass es kurz nach Sonnenaufgang sein musste, doch im Wald war es noch dunkel. Kein Sonnenlicht drang durch die belaubten Baumwipfel.

Das zweite, das mich irritierte, war die Wärme, die mich umschlang. Über mir war eine raue Decke ausgebreitet, die Faryd auf meinen schlafenden Körper gelegt haben musste. Er selber ruhte hinter mir, in derselben Position, in der wir eingeschlafen waren. Die Finger ineinander verschränkt, meinen Kopf auf seiner Brust.

Mein nächster Gedanke galt den Tigerbären, deren Grollen ich nicht mehr vernehmen konnte. Ich setzte mich ein wenig zurecht und beugte mich vor. Erst nach dem dritten Blinzeln konnte ich mit Sicherheit erkennen, was ich am Fuße des Stammes sah.

Nichts.

Keine gefährlichen Raubkatzen und keine anderen Monster, die uns zum möglichen Frühstück auserkoren hatten. Die Tiere mussten über Nacht genug bekommen haben und verschwunden sein. Ich lauschte in den Wald hinein, um sicher zu gehen, konnte jedoch keine einzige Bewegung in unserer Nähe ausmachen.

Hinter mir rührte sich etwas. Ich drehte mich um und schenkte Faryd ein müdes Lächeln. „Guten Morgen.", grüßte ich den verschlafenen Mann.

Faryd rieb sich die Augen. „Wie lange haben wir geschlafen?", wollte er wissen.

„Gut sechs Stunden.", schätzte ich. „Es sieht nach Regen aus." Ich deutete in den Himmel, der durch die Blätter nur stückchenweise zu sehen war. Die dunkle Wolkenwand verhinderte, dass auch nur ein Lichtstrahl zu uns herunter gelang.

„Auch das noch.", stöhnte Faryd und richtete sich auf. Sein Blick glitt - wie meiner auch - zu allererst den Stamm hinunter. „Sind die Biester inzwischen weg?"

Ich nickte. Stumm gab ich zu, dass mein Gefährte mit seiner Schätzung Recht gehabt hatte. Ich hatte mich umsonst gesorgt.

Wir machten uns daran, die Decke wegzupacken und den Baum hinunter zu kraxeln. Von irgendwo her vernahm ich den krächzenden Laut eines Falkhuhns - ein von der Evolution benachteiligtes, ungefährliches Ding -, ansonsten tat sich in unserer Nähe nichts.

Faryd und ich setzten leichtfüßig auf dem Boden auf. Das Messer, das ich zu Faryds Schutz geworfen hatte, steckte in dem einzigen, übriggebliebenen Tier, das reglos am Fuße des Baumes lag.

Nachdem ich es herausgezogen und notdürftig gesäubert hatte, machten wir uns auf den Weg. Zur Stärkung fanden wir einige Hand voll Waldbeeren und zehrten von dem improvisierten Gebäck, das uns Rashid vor unserem Aufbruch mitgegeben hatte. Knabbernd und gleichzeitig wachsam schlichen wir durch den Wald. Viel zu oft erwischte ich mich dabei, wie mein Blick auf Faryds Gesicht verharrte, anstatt das Unterholz im Auge zu behalten.

Ich gebot mir, mich mehr zu konzentrieren. Von da an wurde das Starren etwas seltener, doch zur Gänze konnte ich es nicht abstellen.

Zwei Mal kamen wir über eine Lichtung. Ich taxierte jedes Mal den Himmel. Es sah nach Regen aus, doch noch war kein einziger Tropfen gefallen. Etwas braute sich zusammen, beinahe, als wolle sich ein großes Unheil ankündigen. Ich schauderte bei dem Gedanken. Was, wenn wir diesen Tag nicht überlebten?

Wir brauchten nur noch wenige Stunden, um aus dem Wald heraus zu gelangen. Dank unserer Vorsicht schafften wir es ohne weitere Zwischenfälle. Schon nach wenigen Schritten über die Wiesen konnten wir die Zinnen der höchsten Türme Nurvias ausmachen. Die dunklen Gemäuer rissen den Horizont an und hoben sich scharfkantig vom bewölkten Himmel ab. Ich meinte, das Caraunt ausmachen zu können, in dem ich nur wenige Wochen mit meiner Ausbildung zum Hunter verbracht hatte.

Faryd deutete auf die Umrisse, die langsam erkennbarer wurden. „Das war die Stadt, in der du gelebt hast?"

Ich nickte. An diesem Ort hatte ich meine Kindheit verbracht. Dort war ich ausgebildet worden und hatte Freunde und Familie gehabt.

Hunters 2 - der Pfad des JägersWhere stories live. Discover now