18. Julia

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„Ich bin in einer Stadt östlich von hier aufgewachsen. Sie heißt Nurvia und hat knapp tausend Einwohner. Zumindest hatte sie das, als ich das letzte Mal dort gewesen bin. Ich bin schon seit einer ganzen Weile fort…“ Ich rechnete kurz nach. „…seit etwa einem Jahr.

Die Stadt bildet sogenannte Hunter aus. Das sind Jäger, die im Wald Tiere jagen und sie erlegen, um die Stadt mit Nahrung zu versorgen. Ihr Hauptsitz ist das Caraunt, ein großes Gebäude, in dem sie trainieren und wohnen. Ich war nur wenige Wochen bei ihnen. Ich hatte es nicht erwarten können, endlich in die Wildnis zu kommen und mich an den Tigerbären zu rächen, die meine Eltern getötet hatten.“ Jetzt war ein Tigerbär das, was mir auf dieser Welt am meisten bedeutete. Wie schnell sich die Dinge ändern konnten…

„Ich schloss mich einer Rebellenbande an, die aus der Stadt ausbrach und sich in die Wildnis aufmachte. Wir waren nur zu siebt… wie dumm wir damals waren. Kaum einer von ihnen ist noch am Leben.“ Was mit Malik, unserem Anführer geschehen war, wusste niemand von uns. Die Hunters hatten ihn bei unserem Ausbruch aus Nuvia geschnappt. Als letztes hatte ich Kethert gesehen, der nun wohl mit Esra allein im Wald lebte. Ihre Situation war nicht gerade die rosigste gewesen. Ob wenigstens sie überlebt hatten? Besonders wahrscheinlich war es nicht.

„Thunder lernte ich erst später kennen. Er hat etwas Ähnliches durchgemacht wie ich: Seine Familie war von Hunters getötet worden und sein Rudel hatte ihn verstoßen. Er gehörte genauso wenig zu den Tigerbären wie ich zu den Menschen. Das hat uns wohl irgendwie zusammengeschweißt. Wir haben quasi unser eigenes Rudel gegründet – abseits von Mensch und Tier. Inzwischen könnte ich mir kein Leben mehr ohne ihn vorstellen. Ich würde nicht wieder nach Nurvia zurück wollen, selbst, wenn ich es könnte.“

Erst jetzt hob ich meinen Blick. Die Familie starrte mich mit großen Augen an. Sie hatte zu Essen aufgehört und lauschte gebannt meinen Worten. Das war mir ziemlich unangenehm und ich wich ihren Blicken aus, während ich meine Geschichte beendete.

„Vor einigen Wochen wurde…“ Ich stockte kurz und überlegte, ob ich den Menschen diese Information anvertrauen konnte. Ich entschied mich, so vage wie möglich zu bleiben. „…ein Platz, der für die Tiere sehr wichtig ist, von den Hunters aus Nurvia angegriffen. Viele Tiere kamen dabei ums Leben. Wir vermuten, dass sie eine Art Racheaktion gegen die Menschen starten. Deshalb ziehen wir Richtung Norden, um der Gefahr zu entgehen. Wenn ein Rudel aufgebrachter Tiere es auf Menschen abgesehen hat, sollte man sich lieber nicht in ihrer Nähe aufhalten…“

Ich schaute ein wenig unsicher zu der Familie hinüber und begegnete dem Blick von Rashid, dem ältesten. Er zog die Augenbrauen in die Höhe und wandte sich in einer auffälligen Bewegung Faryd zu, der seinen Blick erwiderte. Ich konnte nicht deuten, was er seinen Enkel wissen lassen wollte, doch der junge Mann verstand anscheinend. Ohne seinen halbvollen Teller einen weiteren Blick zu schenken, stand er auf. Der Stuhl, den er zur Seite schob, verursachte ein knarrendes Geräusch in der Stille. Er schenkte mir ein freundliches Lächeln.

„Komm mit.“, bat er und verschwand aus dem Raum.

Etwas verwirrt ließ ich den Rest der Familie alleine am Tisch sitzen und folgte ihm in den Flur.

Gemeinsam liefen wir den Gang hinunter in die große Halle und von dort in den Garten. Schon von weitem konnte ich das große Untier, den Klippendrachen, in seinem Nest hocken sehen. Ob er wohl brütete? Oder war es für Klippendrachen üblich, in ihrem Nest zu hocken, wenn sie nicht jagten?

Zu meinem Entsetzen hielt Faryd direkt auf die Kreatur zu. Auf halbem Wege stoppte ich ihn und schüttelte den Kopf. „Ich sagte doch schon, ich werde nicht näher rangehen. Dabei bleibt es.“

Faryd seufzte und drehte sich zu mir um. „Hör zu. Das ist ein Test.“, erklärte er mit ruhiger Stimme. „Rashid ist kurz davor, dich und deinen Tigerbären wieder aus dem Kloster zu schmeißen. Er vertraut euch nicht.“

Hunters 2 - der Pfad des JägersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt