44. Schnell

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Der Wind frischte auf und ich begann, mich zunehmend unwohl zu fühlen. Der Himmel war bedeckt mit einer undurchdringbaren Schicht dichter Wolken. Noch erdrückten sie den Himmel lediglich mit einem ungefährlichen Grau, doch von Westen her sah ich dunkle Gewitterwolken aufziehen.

Faryd starrte finster vor sich hin. Ich hatte die Vermutung, dass er einen ähnlich starken Tatendrang besaß wie ich, doch er war besser darin, es zu verbergen und ruhig zu wirken. Vielleicht tat er das, um mir einige Sorgen nehmen, indem er Gelassenheit verströmte. Wenn dem so war, funktionierte es nur bedingt. Die Stille, das Nichts Tun und die schwarze Wolkenwand machten mich unheimlich nervös.

Die Menschentraube, die aus den Mauern Nurvias geströmt war, war seit kurzer Zeit am Horizont verschwunden. Ich hatte keinen Anhaltspunkt, zu wissen, ob es den Menschen gut ging. Wohlmöglich waren bereits wilde Tiere auf sie aufmerksam geworden. Ob die Hunters sie zurückhalten konnten? Erst später ging mir auf, dass die Frage nicht lautete, ob, sondern wie lange.

Genauso wenig, wie ich über die Menschen Bescheid wusste, konnte ich hinter der dunklen Waldwand erkennen, ob sich die Bestien inzwischen näherten. Es schien wie ein Wettlauf zu sein. Die Bevölkerung trat gegen die Bestien an. Würden die Tiere gewinnen, würden sie sie zerfetzen. Oder jemand würde die Notbremse ziehen und die Bombe zünden. Beides würde den sicheren Tod der Menschen bedeuten. Würden sie es rechtzeitig schaffen, war ihr Überleben möglich – wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Die Überlebenschancen aller Bewohner waren unfassbar gering. Ebenso die meiner Familie – es sei denn, ich holte sie rechtzeitig dort weg. Wenn ich nicht rechtzeitig ankäme, wäre alles umsonst.

Dagegen rannte Conec an. Gegen die Tiere und gegen die Bombe. Gegen die zunehmende Entfernung der Menschenmasse und gegen Thunders fortschreitende Krankheit.

Alles um uns herum bewegte sich. Nur ich konnte mich nicht von der Stelle rühren!

Wütend trat ich gegen ein paar Kiesel, die in alle Richtungen davon flogen.

„Mach dir nicht so viele Gedanken.", tadelte Faryd mich. „Heb deine Kraft für später auf."

Das sagte sich so einfach. „Was ist, wenn Conec aufgehalten wurde? Wenn man ihn erwischt hat, wie er Medizin aus dem Lazarett gestohlen hat? Dann stehen wir umsonst herum..."

„Er soll aufgehalten worden sein?", fragte Faryd spöttisch. „Von welchen Männern?" Mit einer ausholenden Geste wies er in die menschenleere Stadt.

Ich zuckte die Achseln. Vielleicht hatte Faryd in dem Punkt Recht. Aber es gab noch so viele Dinge, die schiefgelaufen sein konnten... „Vielleicht hat ihn einer seiner Leute überrumpelt. Diese Hunter können hinterlistige Heuchler sein, die ihre Freunde verraten, weil sie der Regierung treu, oder auf eine Beförderung aus sind..."

„Hast du Angst, dass dein Freund uns verraten haben könnte?", fragte Faryd ganz unvermittelt.

Ich stutzte. War das möglich? Hatte ich davor Angst?

Ich stellte mir vor, wie Conec in diesem Moment bei den Menschen war, die flohen, ohne einen Gedanken an mich zu verschwenden. Oder dass er selber bei der Sprengung der Bombe half. Mit einem hinterlistigen Funkeln in den Augen und Schadenfreude, dass er uns aufhielt, indem er uns hier stehen ließ.

Nein – das war absolut unmöglich. Ich schüttelte entschlossen den Kopf. Nie im Leben würde Conec mich hintergehen. Dafür war er zu treu und unsere Freundschaft zu fest. Außerdem hätte er gar keinen Grund gehabt, so etwas zu tun. Etwa aus Rache, dass ich einfach weggegangen war, damals? Wohl kaum. Das war absolut, hundertprozentig unmöglich.

Dennoch verstrichen die Minuten wie Stunden und er kam und kam nicht. Ungeduldig begann ich, auf und ab zu laufen. Immer wieder blickte ich in Richtung Stadt und musterte den Hof hinter dem Tor genauestens. Nurvia blieb ausgestorben.

Hunters 2 - der Pfad des JägersWhere stories live. Discover now