50. Liv

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Liv erwachte in einem Geschummer aus dunklen Farben, verschwommenen Umrissen und Formen, die ineinanderliefen und keinen Sinn ergaben.

Ihre Augen brauchten eine Weile, bis sie erkannten, was wirklich um sie herum passierte. Mit heftigem Blinzeln half Liv nach. Langsam klärte sie ihr Blickfeld.

Sie erkannte eine Menge Menschen. Dunkle, bewaffnete Männer und Frauen. Viel feuchtes, grünes Gras. Einen großen, silbernen Kasten, der inmitten des allen stand. Fast direkt vor ihr, als wolle es ihr jemand unter die Nase reiben.

Livs Hände waren gefesselt. Langsam kehrte die Erinnerung zurück an das, was passiert war. Sie und Rey waren unterwegs gewesen. Jemand hatte ihr etwas über den Kopf gezogen.

Wo war Rey...?

Liv erstarrte, als sie ihn erkannte. Nicht etwa, weil er schlimm zusammengeschlagen war. Sie hatte damit gerechnet, dass sie ihn zu Brei geschlagen hatten, wenn er versucht hatte, sich zu wehren. Dass er irgendwo in der Nähe hockte - genauso gefesselt wie sie.

Doch dem war nicht so.

Rey stand nicht einmal fünf Schritte von ihr entfernt neben einem bewaffneten Hunter. Er hatte nicht eine einzige Wunde. Niemand hatte ihn gefesselt. Er war frei.

Liv traute ihren Augen kaum. Verwirrung stieg in ihr auf. Schließlich eine große Enttäuschung, dann Wut.

Er war einer von denen!

„Verräter!", knurrte sie. Es war das erste Mal, dass jemand auf sie aufmerksam wurde, seit sie erwacht war. Rey sah sie an. Er hob die Augenbrauen, als er merkte, dass sie wach war. Ein leichtes Lächeln bildete sich auf seinen Zügen. Dann wandte er sich wieder dem Gespräch mit dem Hunter zu, der mit geschäftiger Miene auf einem kleinen Funkgerät herumdrückte.

Niemand machte Anstalten, zu ihr herüber zu kommen. Das machte sie noch zorniger. „Rede gefälligst mit mir, Bastard!"

Doch er kam nicht. Stattdessen tauchte eine andere Person vor ihr auf, die sie ebenfalls gut kannte.

„Ah", grinste der Verteidigungsminister. „Die Tochter des Präsidenten ist erwacht. Schön zu sehen, dass du mit uns an Bord bist. In wenigen Minuten geht es los. Du kannst dich schon mal darauf gefasst machen."

„Sie wollen das Ding wirklich sprengen, oder?" Liv konnte es noch immer nicht glauben. Wie konnte jemand dermaßen durchgeknallt sein?

„Ja.", war die einfache Antwort des Ministers. Er wischte sich die nassen Haarstränge zurück. Der Regen war ein wenig abgeklungen. Feine Tropfen verteilten sich über die Grasfläche. Liv fröstelte.

„Warum?" Es war mehr ein Seufzen als eine richtige Frage. Sie hatte die Hoffnung fast aufgegeben, dass sie es schaffen konnte, ihn aufzuhalten. Klar - Conec war noch auf freiem Fuß. Aber ein einzelner Mann gegen diese ganze Gruppe? Diese bewaffnete Gruppe? Sie gab normalerweise nicht schnell auf, doch dies war eine Situation, in der sie sich einfach nicht ausmalen konnte, wie sie es noch schaffen sollten.

Sie hoffte, Conec schaffte es, ihren Vater in Sicherheit zu bringen. Und sich selber. Der Junge war ihr wirklich an Herz gewachsen.

„Warum?" er spuckte das Wort regelrecht aus, als sei allein die Frage unerhört. „Hast du nicht gesehen, was die Tiere anrichten? Warst du nicht selber draußen und hast mit eigenen Augen gesehen, wer sie sind und was sie tun?" Seine Augen funkelten bedrohlich. „Es sind Monster. Viele Monster. Sobald sie die Menschheit ausgerottet haben, werden sie die Weltmacht übernehmen. Und was passiert dann mit uns? Was wird der Mensch für eine Rolle spielen, wenn das Tier erst einmal gewonnen hat?"

Liv zuckte mit den Achseln. „Ich nehme an, wir werden sterben.", führte sie den Gedanken des Ministers zu Ende.

„Richtig.", erklärte der Mann. „Sterben werden wir mit Sicherheit. Das Einzige, was wir noch beeinflussen können, ist, wie wir sterben."

Hunters 2 - der Pfad des JägersWhere stories live. Discover now