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Und wärst du dazu verdammt,
in der Hölle zu brennen:
ich würde mit dir gehen,
würde mich dem Feuer entgegenwerfen

Und wir würden lichterloh entflammen

Raven

Ace schiebt den Vorhang beiseite starrt mich an, als wäre ich eine Erscheinung. Ein eiskalter Windhauch peitscht mir ins Gesicht und lässt mich frösteln. Vor Kälte bibbernd reibe ich mir die Finger und puste leicht. Vielleicht hätte ich auch ein oder zwei Stunden warten sollen, ehe ich die Feuerleiter hochklettere und auf der Plattform vor Ace Fenster rum hocke, wie ein total gestörte Psycho-Tante.

Ich muss mir sogar auf die Unterlippe beißen, um nicht laut loszulachen. Die Situation ist aber auch wirklich komisch. Ich sitze hier in der Hocke auf der Plattform, während er am Fenstergriff rüttelt, der sich durch die wechselnden Temperaturen vermutlich verzogen hat.

Für ihn muss das ganze sogar noch seltsamer sein, immerhin dachte er einen ganzen Monat, dass ich tot bin, und jetzt kauere ich vor seinem Fenster rum. Mein stechender Schmerz zuckt in mein Bein, die Stelle, die Braxton mit seinem Schuss getroffen hat. Er hat mich angeschossen, bevor ich mir die tödliche Kugel selbst zuführen konnte.

Anfangs wusste ich noch nicht so ganz, ob ich das nun so gut finden soll oder nicht. Aber bei Ace Anblick habe ich meine Antwort. Er reißt das Fenster auf und bietet mir eine Hand, damit ich einsteigen kann. Ich ergreife sie und schlüpfe eilig in sein warmes Zimmer. Ich hätte mir wenigstens einen Taschenwärmer oder eine Thermoskanne mitnehmen sollen.

Ich lehne mich gegen das nun wieder geschlossene Fenster und nehme allen Mut zusammen. Allerdings habe ich auch Angst, etwas zu sagen. Nach all diesen unliebsamen Überraschungen und der wochenlangen Funkstille, wäre es nur verständlich, wenn Ace nicht so gut auf mich zu sprechen wäre.

Seufzend schaue ich Ace zum ersten Mal, seit ich den Raum betreten habe und ihn wirklich sehen kann, richtig an. Die Sonne verschwindet hinter dem Horizont und schon bald wird es draußen völlig dunkel sein. Aber selbst, wenn es dunkel ist, brauche ich keine Angst mehr zu haben. Ich bin in Sicherheit.

Ace mustert mich mit einer Mischung aus Ehrfurcht, Erstaunen und vielleicht sogar so etwas was wie Freude. Allein der Anblick seines von den Lampen beschienen Profils macht mich schwindelig. Sehnsucht, Freude, Vorsicht, Schuld... In mir tobt ein Sturm der Gefühle.

»Bist... Bist du ein Geist?«, unterbricht er die erdrückende Stille. Seine Augen sind groß und er wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht rum, als könne er durch mich hindurchfassen.

Ich betrachte meine Hände, in den frisch rot lackierten Nägeln spiegelt sich der Schein der Deckenlampe und schüttle mit dem Kopf. »Ich glaube nicht.«

Ace nickt und starrt seltsam berührt aus dem Fenster. Ich würde gerne mit der Hand vor seinem Gesicht schnipsen und ganz laut rufen: »Hallo? Hier bin ich!«

Es war so eine dumme Idee hierher zu kommen, natürlich ist er noch sauer auf mich. Am liebsten hätte ich die Arme um ihn geschlungen und ihn angefleht mich festzuhalten, damit ich den Trost und die Geborgenheit genießen konnte, die seine Anwesenheit immer mit sich bringt.

»Du bist nicht tot«, stellt er fest und lässt sich auf die Bettkante fallen. Unschlüssig bleibe ich im Raum stehen, und fühle mich wie ein vergessenes Möbelstück, dass nicht rechtzeitig in einer Umzugskiste verstaut wurde und nun alleine zurückbleiben muss. Okay nein, so fühle ich mich eigentlich nicht, so kann man sich bestimmt gar nicht fühlen, aber verloren komme ich mir trotzdem vor.

»Ich dachte, du wärst tot.«

Betreten trete ich einen Schritt auf ihn zu. Noch einen, bis ich direkt vor ihm stehe. »Ace, ich-«

I LIE TO YOUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt