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Paige

Die Waffe wiegt schwer in meiner Hand. Tödliches Metall. Kalt, schlicht, zerstörerisch. Ich sehe ihm direkt in die Augen. Meinem Vater. Isiah.

Wer bist du wirklich?

»Raven«, sagt er kalt. Losgelöst von allen Emotionen jeglicher Art. Ich lächle ihn selig an, schwenke die Waffe in meiner Hand. Er zuckt zusammen, der einzige Widerspruch in seiner sonst so gefassten Haltung. Seine Mauer hat Risse, gewaltige Schlupflöcher. Es ist mir ein leichtes, sie ausfindig zu machen und zu nutzen.

»Raven, Liebling, nimm die Waffe runter.« Liebling.

Ich lache hysterisch. »Oh, bei Gott, du bist das letzte. Ich kann nicht fassen, dass du nach all den Jahren ausgerechnet jetzt anfängst, mich wahrzunehmen!«

Wut nimmt mich voll und ganz ein. Die unbändige Wut, Verzweiflung und Trauer darüber, stets alleine zu sein, ungeliebt und auf mich selbst gestellt. Ich habe einen Vater gebraucht, nichts habe ich mir sehnlicher gewünscht.

Doch Isiah ist nicht mein Vater. Er hat mich eingesperrt, in einen vergoldeten Käfig, und mir seinen Hass, auf mich und alles, für das ich stehe, als Liebe verkauft. Als Fürsorge.

»Ein Schuss für jede Lüge, Isiah«, hauche ich mit belegter Stimme. Meine Sinne sind geschärfter denn je. Ich sehe ihn, nur ihn. Seine dunklen Augen, der verzweifelte Blick. Ihm entgleisen die Gesichtszüge.

Ich lache.
Glockenhell hallt das Geräusch in meinem Kopf wider. Immer wieder hallt es, meine süßliche Stimme. Gemischt mit der packenden Angst in seinem Gesicht.

»Zählst du sie gerade, deine Lügen?«, hake ich nach. »Sind es so viele?«

»Raven ... Es tut mir leid. Ich weiß, ich war ein furchtbarer Vater ... Und ich weiß, wie sehr dich das getroffen haben muss ...«

Ich unterbreche ihn.

»Du warst nie mein Vater. Und es hat mich nicht getroffen. Ich bin erleichtert. Weil ich mich jetzt endlich nicht mehr schlecht fühle, dich zu hassen. Sie sagen zwar, Blut sei dicker als Wasser, aber alles, was mich je an dich band, war eine verdammte Lüge!«

Ein Schuss für jede Lüge.

Aber er lügt, wie er atmet. Es wäre eine Hinrichtung. Aber der Gedanke macht mir keine Angst. Er erfüllt mich mit Vorfreude. Ich entsichere die Waffe. Das Klicken; so unheilvoll, so befriedigend.

Ich ziele.

Ich lächle.

Doch dann, im letzten Moment, reiße ich die Waffe um. Halte sie mir an die Schläfe.

»Ein Schuss für jede Lüge«, wispere ich. Und ich war immer seine größte Lüge. Ein Schuss. Markerschütternd.

Blut, spritzendes Blut. Dann, nichts mehr.

I LIE TO YOUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt