32

2K 143 245
                                    

Paige

Das ist lächerlich, es muss sich um ein Missverständnis handeln! Angestrengt zermartere ich mir das Gehirn darüber, was alles in der Akte stehen könnte, außer Anweisungen. Vielleicht ja so etwas wie ein Motiv? Ich kann nicht einmal sagen, was mich mehr schockiert: Die Tatsache, dass mein Vater mich wirklich meinem Onkel oder sonst wem ausliefern will, oder, dass Braxton da so bereitwillig mitmacht. Nein.

Bestimmt erzählt Braxton mir gleich alles und legt alle Karten auf den Tisch. Und zu guter Letzt überlegen wir uns beide, wie wir aus der Nummer rauskommen. Es muss so sein. Ich höre das Rascheln von Papier und das Schaben eines Stuhles, vermutlich erheben die beiden sich jetzt, um wieder zurück ins Wohnzimmer zu gehen.

Schnell entferne ich mich von der Tür und gehe leichtfüßig zurück ins Wohnzimmer. Die beiden Männer stehen nach wie vor an Ort und Stelle. Unbeweglich und abweisend, wie zwei Statuen. Allerdings bemerke ich den schnellen Atem des einen. Das ist dieser Schmierfink. Dieses schmutzige Ferkel. Er fängt meinen Blick auf, blinzelt zweimal und schluckt. Dabei fährt sein Adamsapfel blitzschnell auf und ab.

Beim genaueren Betrachten bemerke ich seinen sehr massigen Körper, sein kantiges Gesicht und zwei kleine Augen, die aussehen wie zwei in Kuchenteig eingesunkene Rosinen. Über den Augen wachsen seine buschigen Augenbrauen zu einer dicken Raupe zusammen. Ich durchbohre ihn förmlich mit meinem Blick.

»Miss, bitte... bitte erwähnen Sie diesen Vorfall nicht in der Anwesenheit des Herren... Ich habe eine Frau und zwei Kinder...«, stammelt er und reibt sich nervös die Hände.

Ich verziehe entsetzt das Gesicht. »Sie haben allen Ernstes eine Frau? Schämen Sie sich denn nicht?«

Der Mann starrt mich wütend an. Seine Angst ist wie weggepustet. Vermutlich hat er die Worte falsch aufgenommen und denkt, ich hätte andeuten sollen, dass er zu hässlich für eine Frau ist. Was zwar auch stimmt, jedoch war das nicht mein Beweggrund. Er denkt bestimmt, ich habe ihn beleidigen wollen.

»Ja, habe ich. Und diese Frau liebe ich auch aus tiefstem Herzen. Und es wäre sehr freundlich, wenn Sie nichts erzählen und ich meinen Job behalten könnte«, zischt er. Der Mann neben ihm starrt weiter vor sich hin.

»Achso, und weil sie ihre Frau so sehr lieben, quatschen sie kleine minderjährige Mädchen an?«

Der Mann beißt sich nervös auf die üppige Unterlippe. Sein Mund erinnert an ein Schlauchboot. »Sie müssen das verstehen! Nur weil man Pizza liebt, heißt es ja nicht, dass man jeden Tag Pizza essen will!«

Entsetzt lache ich auf. Hat er das gerade wirklich gesagt? Ich muss mich doch verhört haben, oder? »Achso, manchmal haben sie auch Lust auf kleine, unschuldige Mädchen?« Herausfordernd funkle ich ihn an. Sein Atem geht stoßweise und kleine Schweißperlen glitzern auf seiner Stirn. »Das ist persönlich.«

»Natürlich, wie dem auch sei. Ich bin bereit, darüber hinwegzusehen, insofern sie sich entschuldigen. Dann überlege ich es mir vielleicht. Sie gehen vor mir auf die Knie. Jetzt.«

Belustigt lächle ich ihn an. Für diesen einen kurzen Moment sitzt er in der Falle, da habe ich die Kontrolle. Auch wenn ich sie eben gerade erst über so viele Dinge verloren habe. Dieses Machtspiel putscht mich auf und ehrlich gesagt genieße ich es sogar. Also dieses Gefühl der Kontrolle, nicht seinen hungrigen Blick der über die Kurven meiner Hüfte gleiten, die in meinen Leggins nur noch mehr betont werden. Das genieße ich definitiv nicht.

Für einen kurzen Augenblick schaut er mich verdattert an, als würde es ihm so gar nicht in den Kram passen, dass er sich jetzt bei einem Kind entschuldigen muss. Auch wenn ich kein Kind mehr bin, zumindest geistlich nicht. Körperlich gesehen ist er mir eindeutig überlegen, mit meinen ein Meter dreiundsechzig bin ich nichts weiter als ein kleiner Furz neben ihm. Trotzdem habe ich ihn in der Hand. Eine paradoxe Zufriedenheit überkommt mich. Wut, Verzweiflung und fast schon etwas wie erzwungene Unterwürfigkeit huscht über sein Gesicht.

I LIE TO YOUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt