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Ace

»Sag mal, hast du den Tag über deine Stimme verloren?«, fragt Josh belustigt.

Elian lacht laut. »Bestimmt hat der diese Hausarbeit verschissen. Oder vergessen.«

Ich funkle ihn böse an. Wir sind auf dem Weg nach Hause, zu Henry, um ihn abzuholen. Heute steht Party auf dem Plan und ich hatte keinen wirklichen Grund, nein zu sagen. Und hier bin ich, neben zwei taktlosen Arschlöchern, die trotzdem meine besten Freunde sind.

Aber vielleicht hilft das sinnlose betrinken ja. Wobei nein, wird es nicht, weil es eben sinnlos ist. Und morgen muss ich in die Redaktion. Aber an dem Einen oder anderen Drink komme ich vermutlich nicht vorbei. Nicht bei Elian, selbsternannter Party-König, seit dem ersten Semester. Den Titel hat bisher noch niemand anerkannt, dennoch besteht er darauf.

An seinem Zwanzigsten haben wir ihm eine Plastikkrone gekauft und er hat sie den ganzen Tag in der Uni getragen. Und dazu gehörte wirklich Mut, denn wenn jemand wie Brian das macht, ist es lustig, originell und absolut feierlich.

Wenn aber ein geouteter Schwule mit einer Krone durch die Flure läuft, ist es ein typischer 'Homo-Move'. Jedenfalls aus dem Mund seiner Gegner. Abartig. Aber Elian lässt sowas nicht an sich heran, was auch gut so ist. Henry ist da eindeutig sensibler. Der Boden ist noch feucht vom Regen, der uns in der siebten Stunde überrascht hat. Für ungefähr zehn Minuten hat es wie aus Eimern gegossen, seitdem scheint die Sonne, als wäre nichts gewesen.

Und jetzt stampfen wir die Straße entlang, bis zu Henrys Appartement, um zu einer Party zu fahren, auf die ich absolut keine Lust habe. Wobei, eigentlich bin ich der Einzige, der frustriert rumstampft.

»Sag mal, was trampelst du hier so rum? Wie ein Elefant, Junge, Junge ... Was macht dich denn so aggressiv, dass der Boden darunter leiden muss?«

Josh zieht eine Augenbraue hoch und ich gehe wieder normal.

»Alles gut«, schnaube ich nur.

Elian lacht. »Ach komm, der braucht einfach nur ein bisschen Party, dann ist alles wieder in Ordnung.«

Ich verdrehe die Augen. Als wenn mir da Alkohol helfen könnte. Nein, das kann er nicht. Ich hatte nie gedacht, so anfällig für Ablehnung zu sein, aber offensichtlich war ich das.

Ablehnung tut weh.

Wir gehen immer weiter, bis wir im ärmlichen Teil New Yorks ankommen. Noch etwa drei Straßen, dann sind wir da. Die Wohnung ist klein, deswegen hasst Henry es über alles, wenn wir zu ihm kommen. Und er hasst Alkohol und Drogen, die es auf der Party vermutlich wieder geben wird. Der einzige Grund, warum er überhaupt mitkommt, ist, weil er auf Elian aufpassen will, wenn beide feiern.

Und Elian will auf Henry aufpassen.

Die Straßen sind schmutzig, viele Fenster eingeschlagen und selbst die Menschen sehen irgendwie verwahrlost aus. Es gab eine Zeit, da habe ich auch in so einem Teil der Stadt gelebt. Nur auf der anderen Seite, in Brooklyn. Eine abgemagerte Frau sitzt an der Biegung in Henrys Straße. Mit ihren mageren Fingern hält sie einen alten, abgenutzten Kaffeebecher in der Hand. Nur ein paar Geldstückchen liegen darin. Elian seufzt, bleibt stehen und wirft ihr ein paar Dollarscheine hin.

Dankbar lächelt sie.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer gewaltig sein, aber wenn immer ich hier bin, um Henry zu besuchen, wird mir klar, wie glücklich ich mich eigentlich schätzen kann.

Wie glücklich ich sein sollte, dass Caleb mich aus den Fängen meiner Tante geholt hat. Ich hatte ein einschneidendes Erlebnis, eines, dass mich zu dem macht, der ich heute bin und dass mir niemals aus den Knochen verschwinden wird. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was mit den Menschen hier passiert. Wie schwer es sein muss, nicht einmal zu wissen, ob man den nächsten Monat über die Runden kommt.

I LIE TO YOUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt