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Ace

Paiges bezauberndes Lächeln fällt in sich zusammen, wie ein Kartenhaus. Durch einen Luftzug, der durch die geöffnete Tür, wird es zerstört - was ist nur passiert? »Alles... Alles gut bei dir?«, frage ich ehrlich besorgt. Warum ist sie auf einmal so ... angsterfüllt?

»Ich...«, stottert sie und gestikuliert wild mit der Hand. Sie fächert sich Luft zu und atmet ungleichmäßig. »Hast du eine Panikattacke? Oder einen Schlaganfall? Brauchst du einen Krankenwagen?«

Paige starrt nur auf irgendwas hinter mich, mit weit aufgerissenen Augen und einem angsterfüllten Blick. Ich drehe mich ebenfalls um, entdecke aber nur mehrere gut gekleidete Männer, die sich einen Tisch geben und den Blick suchend über den Saal schweifen lassen. Ihre breiten Schultern spannen sich unter den maßgeschneiderten Anzügen augenscheinlich an; unverkennbar kündigen sie Unheil an, als wären sie Boten.

»Paige? Rede mit mir«, fordere ich sie sorgenvoll an, sehe Furcht, wie sie ein unebenes Muster auf ihre weichen Züge zeichnet.

Sie schüttelt nur mit dem Kopf und rennt einfach davon. »Ich muss zur Toilette«, presst sie noch hervor und rauscht auf die Tür zu. Die Toilette ist genau in der anderen Richtung; mein erster Warnhinweis. Etwas ist hier faul. Ich rufe ihr hinterher, aber sie ist schon bei der Tür angekommen. Ein paar Gäste werfen uns verstohlene Blicke zu, die ich jedoch gekonnt ignoriere. Paige reißt die Tür auf, ehe der Türsteher reagieren kann und erschrickt ihn damit zu Tode. Dann verschwindet sie in der kalten Nacht. Sie hat nicht einmal ihre Jacke mitgenommen.

Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht, also laufe ich ihr hinterher. Ich höre Stühle umkippen, als würden mehrere Menschen ruckartig aufstehen. Vielleicht ist sie vor den Typen geflohen? Mein Herz beginnt sofort, höher in meinem Brustkorb zu schlagen und ich frage mich, was genau hier abgeht.

Ich laufe auf den Türsteher zu, der wieder zusammenzuckt und mit dem Kopf schüttelt. »Mannomann, was geht denn hier ab?«, brummt er mürrisch, rollt mit den Augen.

Paige hat schon fast das Ende der Straße erreicht. »Paige? Was ist los mit dir?«, rufe ich erneut. Sie bleibt stehen und ich hole auf, bis ich bei ihr bin. Besänftigend streiche ich ihr über die Schulter, hoffentlich hilft das ein wenig. Sie tippt auf ihrem Handy rum und hebt den Blick, um nach etwas Ausschau zu halten. Dann schüttelt sie nur den Kopf als Antwort und brabbelt etwas unverständliches vor sich hin. »Was stimmt denn nicht?«

»Ich muss weg, ganz dringend.« Sie schaut mir direkt in die Augen. »Ich liebe dich, vergiss das nie.« Sie nimmt mein Gesicht in beide Hände und presst ihre Lippen auf meine, als würde ihr Leben davon abhängen. Und im gleichen Moment tritt sie einen Schritt zurück, ehr sich der Kuss vertiefen kann, im Keim erstickt.

Und auf einmal ... Ertönt ein lauter Schuss. Paige kreischt, ist nichts weiter als ein zerfetzter Atemzug, während sie stehen bleibt, sich erschrocken umdreht. Sie packt meine Hand und zieht mich auf einen schwarzen Ranger Rover zu – warum ist mir dieser vorher nicht aufgefallen?

Ein weiterer Schuss zerreißt den nachtschwarzen Himmel, eine Kugel zischt knapp an meinem Ohr vorbei. Ein Schuss, der die Nacht zerreißt, die das Netz zerreißt, dass sich um die Stadt gesponnen hat. Einige Leute auf den Gehwegen schreien entsetzt auf und versuchen schleunigst, zu fliehen. Sie fliehen vor dem Unheil, doch sie wissen nicht, dass man vor einem namenlosen Unheil nicht fliehen kann. Ich realisiere nicht richtig, dass jemand gerade auf uns geschossen hat. Uns hätte töten können. Denn dafür bleibt schlichtweg keine Zeit, wir fliehen.

Doch wie soll das gehen - vor etwas fliehen, das keinen Namen trägt, den man schreien kann? Das Unheil hat nur Krallen, die den Schuss tätigen, der dich niederstreckt, Fäuste, die dich betäuben.

I LIE TO YOUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt