Ich ziehe mir die Knie an die Brust und denke nach. Wir müssen weg von hier. Ich bin hier nicht mehr sicher. Aber warum kommt Dad extra her, um mir das zu sagen? Ob er mir vielleicht mehr über meinen Onkel erzählt?

Langsam verschrumpeln meine Finger. Ich widerstehe der Versuchung, für immer in der Kabine sitzen zu bleiben und stehe langsam auf. Ich seufze, greife nach meinem Shampoo und beginne, meine Haare und meinen Körper einzuseifen. Kurz darauf steige ich aus der Dusche und wickle mich in ein weiches Frotteehandtuch.

Abgetrocknet und mit den Haaren zu einem Knoten hochgebunden gehe ich in mein Zimmer und ziehe eine bequeme Leggins sowie einen schlichten Pullover an. Ich werde mich jetzt bestimmt nicht noch aufhübschen. Sogar den roten Lippenstift lasse ich weg, sofort muss ich wieder an den blutdurchtränkten Körper denken. Ich kannte nicht einmal ihren Namen. Sie kannte nicht einmal meinen Namen.

Trotzdem musste sie wegen mir sterben. Wie Lillian es auch fast wäre. Gott, ich bin eine Gefahr für die Menschheit, einfach indem ich atme.

Auf Socken gehe ich ins Wohnzimmer, in der Hoffnung, auf Braxton zu treffen. Tatsächlich, er sitzt auf einem gepolsterten, sandfarbenen Ledersessel und starrt ins Nichts. Bei meinem Anblick hebt er nicht einmal den Blick. Ich rede mir ein, dass er nur angespannt ist, weil Dad heute kommt.

»Alles okay?«, frage ich unsicher und bleibe verloren im Raum stehen, ich habe keine Ahnung, wohin mit mir. Er bedeutet mir mit einer anteilnahmslosen Handbewegung, Platz zu nehmen. Irgendwie fühle ich mich sehr unwohl.

Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt, aber ich überzeuge mich selber davon, dass es allein an dem unsichtbaren Gewicht liegt, das auf unseren beiden Schultern lastet. Mit einem lauten Pling kündigt sich der Fahrstuhl an und nur wenige Augenblicke höre ich das gedämpfte Geräusch von italienischen Lederschuhen auf den Mamorfliesen.

Mein Vater.

Mit seinem selbstbewussten Gang schlendert er zu uns ins Wohnzimmer und legt dabei eine Arroganz an den Tag, die mich wie eine Ohrfeige trifft. Und zwar völlig unvorbereitet. So lange ist es wohl schon her. Seine kastanienbraunen Haare sind von einzelnen grauen Strähnen durchzogen und nach hinten gegelt. Die grauen Augen sind leblos und unergründlich.

Der Anzug sitzt tadellos, die ersten zwei Knöpfe des weinroten Hemds sind obenrum aufgeknöpft. Hinter ihm stehen zwei breitschultrige Männer, völlig in schwarz gekleidet und haben die Hände vor der Brust verschränkt. Ihre Statur erinnert an die von Brüllaffen. Ich stelle mir unweigerlich vor, wie sie sich die Hemden vom Leib reißen und sich laut brüllend auf die Brust klopfen. Sofort verscheuche ich den Gedanken.

Ich konzentriere mich wieder auf meinen Vater. Er lässt sich lässig auf die weiche Couch mit den tausenden Kissen plumpsen.

»Tochter, lang ist es her. Wie geht es dir denn so?«

Ich will schon antworten, doch mit einer leichten Bewegung der Hand bringt er mich zum Schweigen. »Schweig still. Das war eine rhetorische Frage, die Antwort ist mir allerlei. Es interessiert mich schlicht weg und ergreifend nicht, befürchte ich. Tut mir leid.«

Seine Stimme trieft nur vor Hohn und Sarkasmus. Ich beiße mir auf das Innere meine Wange. Bloß nicht die Fassung verlieren. Doch ich reagiere instinktiv auf seine Ablehnung. Ohne es zu wollen. Es ist in mir verankert, genauso wie ein Funke seiner DNA in mir steckt

»Wie es scheint, ist mein Bruder Zachary wieder auf freiem Fuß.«

Ich nicke leicht, die Zähne fest zusammengepresst, meine Hände habe ich zu Fäusten geballt, sodass sich meine Fingernägel ins Fleisch schneiden.

»Und ich wurde hoffentlich richtig informiert, denn mir ist zu Ohren gekommen, dass zwei Anschläge auf dich ausgeübt wurden?«

Überrascht schaue ich ihn an. Er kann doch nur von einem wissen?

I LIE TO YOUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt