~ Ɲҽω Ƴօɾƙ ~

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Seit ich hier war, verbrachte ich 90% der Zeit mit Sport. Ich joggte blind und taub durch die belebte Straße.
Über meine Kopfhörer erklang "derniere danse" von Indira. Frankreich war mir auf den Versen und ich rannte gefühlt um mein Leben.
In meinem Hirn lebte eine Chaos aus Gedanken, mein Herz raste vor Gefühlen, welche ich nicht kontrollieren konnte.
Bei Sancho fühlte ich mich wie unter Strom, bei Leo wie in eine dicke, weiche Decke eingepackt.
Mehr als fünf Jahre ließ ich niemanden an mich ran und jetzt zu viele. Ein Durcheinander war doch vorprogrammiert.
Wie ich es am besten konnte, rannte ich nun davon, ging all meinen Problemen aus dem Weg, also auch Leo und Sancho.
In der Höhe einer Bäckerei kam ich schlagartig zum Stehen. Mein Magen meldete sich sogleich.
Durch die Fensterscheibe riefen die belegten Sandwiches mir quasi schon zu und seitdem wir gestern hier ankamen, habe ich auch noch nichts gegessen.
Würde ich mein ganzes Verhalten Mary, meiner Ärztin schildern, sie hätte das Projekt auf eigene Faust gekenzelt.
Auch wenn ich einige Jährchen hier gelebt hatte, kannte ich dieses Lokal noch nicht.
Ich war ehrlich erstaunt, als ich drinnen stand.
Es war gestaltet, wie ein typisches American Diner. Der Boden ähnelte einem Schachbrett und die Sitze waren mit rotem Leder überzogen.
Ach und Frey saß dort alleine in der hintersten Ecke. Bitte, was?!
Meine Augen verwandelten sich in schmale Schlitze und ich zweifelte bereits an meiner Sehkraft.
Von all den tausend Lokalen, begegneten wir uns tatsächlich in diesem.
'Keine intensiven Gespräche mit Frey.', halten Sanchos Worte in meinen Gedanken wieder.
Gegen ein lockeres Getratsche unter Freunden wird er ja wohl nichts haben.
So einen Zufall musste ich auf jeden Fall nutzen.
Also ging ich auf Frey zu, wessen Gesicht halb von der Zeitung verdeckt wurde.
Vorsichtig setzte ich mich gegenüber und zog ihm das bedruckte Papier vor der Nase weg.
"Kein Kontakt zur Außenwelt. Zählt das schon als Verstoß?",
musterte ich die offene Seite aufmerksam, bevor ich Freys Lächeln begegnete.
"Ich hoffe du verpetzt mich nicht bei Angela."
Gespielt nachdenklich, legte ich meine Finger ans Kinn und verdrehte die Augen und zuckte dann mit den Schultern.
"Einen Termin habe ich ja gleich bei ihr, mal schauen."
Frey nickte wissend, bevor er einen Schluck seines Tees nahm.
"Kein Kaffee?"
Es wunderte mich, denn gefühlt alle Menschen, bis auf mich, tranken das warme Gesöff.
Er schüttelte den Kopf und hing eine Erklärung zu seiner Geste an.
"Macht die Zähne gelb."
Apropo Zähne... Waren seine Neon-weißen eigentlich echt?
Das nächste Mal würde ich fragen! Ja, ganz bestimmt...
Als die Kellnerin kam bestellte ich mir einen Kakao und ein belegtes Croissant.
"So ein Klischee sind sie also, Madame."
- "Oui Monsieur",
antwortete ich schlicht.
Frey war so höflich und ließ mich in Ruhe essen, während er ständig an seinem Getränk nippte und dabei aus dem Fenster starrte.
"Wie geht es dir, Mae?"
Seine Frage war so viel mehr, als nur diese Frage. Er wollte ein Update meines komplizierten Lebens.
"Eigentlich sehr gut."
- "Und das obwohl du gleich zu Angy musst. Wer mag wohl der Grund für deine Laune sein...",
dabei wackelte er mit den Augenbrauen.
Ich lächelte, konnte ein seltsames Gefühl aber nicht unterdrücken. Warum redete ich ausgerechnet mit ihm, über ihn...so in etwa.
"Eigentlich bin ich eher verwirrt und weiß nicht, was ich fühle... Du hältst mich bestimmt für einen 16-jährigen Teenager..."
- "Wird er dann automatisch gewinnen?"
"Frey, dieses Projekt ist eine Show und das mit Sancho scheint etwas echtes zu sein. Also....was weiß ich."
Ich hatte schon fast vergessen, wie gut es sich anfühlte mit jemandem offen reden zu können.
Kaum hatte ich diesen Satz zu Ende gedacht, kehrte Ruhe ein. Lobe den Tag nicht vor dem Abend. So irgendwie hieß es doch.
Frey schien gedanklich jedoch so ziemlich abzudriften.
Ich beobachtete ihn dabei, wie er beinahe zwei Minuten die Tischläche anfixierte, ohne dabei zu blinzeln.
"Du hast bei der Entscheidung erwähnt dass das, was ich dir im Zoo gesagt habe, dich verletzt hat... Wieso?"
Es war eine so einfache Frage, aber es fühlte sich an, als würde er mir im gleichen Atemzug eine Pistole an die Brust halten.
Um ihm antworten zu können, müsste ich ihm meine Vergangenheit offenbaren. Und an diese traute ich mich nicht einmal mehr zu denken, geschweige denn sie meine Lippen erreichen zu lassen.
"Wenn ich irgendwann die Kraft dazu finde, die Bilder wieder in meinen Kopf zu lassen, dann werde ich es dir sagen."
Was ich ihm allerdings nicht sagte war, dass die Wahrscheinlichkeit gleich bei Null lag, dass dies jemals geschah.
"Ich verstehe."
- "Bis dann, Frey. Angela wartet."
Und so verließ ich das Lokal und die trübselige Stimmung.
Wieder rannte ich, als würde mein Leben davon abhängen.

#15 RosesWhere stories live. Discover now