25 - Evelyn: Hoffnungsfeuertot

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Als ich meine Großeltern anrufe, versucht Jayden wieder, mich zu erreichen. Ich sehe es, als ich auflege, nachdem sie mir zugesichert haben, dass ich kommen kann.

Die SMS lese ich zuerst.

Evie, bitte.

Bist du abgehauen?

Was ist los?

Wir müssen reden.

Ich wische mir über die Augen, in denen schon wieder Tränen stehen. Meine Finger zittern. Soll ich zurückrufen? Ihm erklären, was ich tue? Getan habe und warum?

Kurzerhand wähle ich Cassies Nummer. Es piept einmal, dann nimmt sie ab.

„Eve? Endlich! Wo bist du?", fragt sie und ihre Stimme ist hektisch. Ich muss schlucken. Sie klingt besorgt. Ich wollte niemandem wehtun.

Aber das habe ich. Und nicht nur ihr. Auch Jayden, vor allem Jayden.

„In Frankfurt", gestehe ich, etwas kleinlaut, und leise. Ich höre sie am anderen Ende der Leitung nach Luft schnappen.

„In Frankfurt?", echot sie und die Verblüffung ist klar zu hören. „Was machst du denn da? Wieso bist du nicht hier? Bei Jayden? Weißt du, wie es ihm geht?"

Jetzt ist der Vorwurf in ihrer Stimme, leise, aber scharf wie tausend kleine Messerstiche. Mein schlechtes Gewissen wird stärker.

Ich schlucke. Meine Brust ist schon wieder so eng. „Ich... musste weg, Cass", versuche ich mich zu erklären. Meine Worte zittern, und für ein paar Sekunden schweigt sie, und kurz denke ich, vielleicht hat sie mich gar nicht verstanden.

„Wieso?", fragt sie dann, jetzt überhaupt nicht mehr hektisch. Dafür klingt ihre Antwort erschöpft. Fast leer.

Das ist noch schlimmer, und das Gefühl in meiner Brust wird stärker. „Ich... ich hab keine Luft mehr bekommen, Cass", sage ich, und da sind die Tränen wieder da. „Weil sie tot ist, und Jonathan tot ist, und ich... ich kann nicht mehr, Cass, ich kann nicht mehr..."

Ich presse mir eine Hand auf den Mund, um mein Weinen zu dämpfen, und lasse meine Haare in mein Gesicht fallen, damit die vorbeilaufenden Leute nichts mitbekommen.

„Und Jayden?", murmelt sie am anderen Ende. Sie klingt so traurig, dass ich es kaum aushalte.

Mein Schweigen verrät ihr alles.

„Bitte ruf ihn an", sagt sie, und ihre Stimme ist fast ein Flehen. „Bitte", wiederholt sie, und dann legt sie auf. Ich höre sie schluchzen, bevor die Verbindung abbricht.


Jayden geht sofort ran, als ich ihn anrufe.

„Oh, Gott sei Dank, Eve! Geht's dir gut? Wo bist du?", begrüßt er mich mit einem Schwall aus Worten, so schnell ausgesprochen, dass ich ihn kaum verstehe.

Gott sei Dank. Geht's dir gut.

Ich habe einen Kloß im Hals, als ich höre, dass er geweint hat, und mir klar wird, dass einige der Tränen wohl auch mir gegolten haben.

„Frankfurt", wispere ich tonlos ins Telefon, und ich schäme mich fast, es einzugestehen.

Jayden am anderen Ende hört auf zu reden. „Was machst du da?", fragt er, und ich weiß nicht, ob er den Grund wirklich nicht ahnt, oder ob er es sich nur nicht eingestehen bin.

Dass ich geflohen bin. Weggerannt.

Denn mir wird das so deutlich klar, als würde mir die Schuppen von den Augen fallen.

Zartbitterschokolade | BeendetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt