Zwölfter Brief: Zurück

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Und es ist in mir

Wie ein Flattern

Von zu lange eingesperrten

Flügeln


Weißt du noch, als ich bei dir übernachtet habe?

Es war schon acht, als ich gekommen bin, und deine Eltern waren schon weg – ich weiß gar nicht mehr, wohin – und wir waren alleine.

Im ganzen Haus roch es nach Zimt, weil Weihnachten näher kam. Nach Zimt und nach dem Apfelmus, das du gekocht hattest – der Duft hing in der Luft und ließ mich sofort zuhause fühlen.

Ich kann mich noch ganz genau an das Lächeln erinnern, mit dem du mir die Tür geöffnet hast, und an den Kuss, den du liebevoll zur Begrüßung auf meine Lippen gedrückt hast, ein kurzer nur, ganz sanft, wie ein zartes Versprechen.

„Hast du Hunger?", fragtest du grinsend, und als ich nickte, schnapptest du meine Hand und wir liefen ins Esszimmer, wo du den Tisch bereits gedeckt hattest.

Pfannkuchen, wieder.

Es wurde fast zu einer Tradition.

Ich habe lange keine Pfannkuchen mehr gegessen – aber das können wir zum Glück ja bald nachholen.


Jedenfalls hast du nach dem Essen ein kleines, blaues Notizbuch geholt und es aufgeschlagen.

Und dann hast du mich angesehen, mit einem liebevollen, zärtlichen Blick in den Augen, der mir klar machte, dass du mir vertrautest. Und das wiederum löste in meiner Brust ein unglaublich warmes Gefühl aus. Ein Gefühl, das sich gut und schön anfühlte, und von dem ich unbedingt mehr haben wollte.

Und als du mir die Gedichte vorgelesen hast, die darin standen, als dir die Worte von den Lippen flossen und mich mitrissen in ihre wunderschöne, dunkelhelle Welt, und als du mir die Tränen von den Wangen küsstest, die ich geweint hatte um die Schönheit und Verlorenheit deiner Worte – da blieb das Gefühl. Ganz tief, ganz tief in meinem Inneren war es.

Dieses Gefühl – es ist nie wieder fortgegangen, solange wir beisammen waren. Wenn du bei mir warst, war ich glücklich.

Fühlte ich mich zuhause.


Und an jenem Abend, als der Mond schon hoch am Himmel stand und wir schon zwei Filme hinter uns hatten, als du unter der Bettdecke deinen warmen Arm um mich legtest und mich an dich heranzogst, als ich dein Herz schlagen hören konnte –

Da flüstertest du sie mir zum zweiten Mal ins Ohr. Die Worte.

„Ich liebe dich, Eve", hast du gesagt, nicht so rau wie beim letzten Mal, sondern ganz sanft. Deiner Stimme war fast schon heiser vor Liebe.

Ich drehte mich zu dir um und sah dich an.

„Ich liebe dich, Johnny", habe ich geantwortet und dann habe ich dich geküsst.


In dieser Nacht war ich mir so sicher wie noch nie mit einer Person.

Ich wusste, dass ich dich liebte, und dass du mich liebtest, und dass das wundervoll war und ich ein verdammtes Riesenglück hatte, dich gefunden zu haben.

Was wir wohl ohne einander getan hätten? Ich kann es dir nicht sagen.

Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht einmal, ob wir beide es überlebt hätten, wenn wir uns nicht gehabt hätten.


Denn ich erinnere mich auch noch genau an den Abend, an dem du mit aufgeplatzten Lippen und blutunterlaufenen Augen und geröteten Wangen vor meiner Tür standst. Ich sah sofort, wie blass du warst und – deine Verzweiflung, die sah ich auch, obwohl du in dem Moment ein kleines bisschen versucht hast, sie hinter den Vorhang zu zwängen.

Vielleicht wolltest du nicht, dass ich sah, wie schlecht es dir ging.

Ich sah es. Und ich wollte nicht, dass du dich vor mir verbargst.

Also habe ich dich hereingeholt, zwei Tasse Tee gekocht, und dann habe ich dich umarmt, ohne etwas zu sagen.

Manchmal braucht man nichts weiter als Nähe.

Manchmal muss man die Liebe eines Anderen einfach nur spüren.

Irgendwann schließlich hast du angefangen, zu reden – darüber, dass deine Mutter dich schon wieder angeschrien hatte, weil du ein paar Klausuren gehörig verhauen hattest – du hast mir sogar die Beleidigungen zitiert, die sie dir an den Kopf geworfen hat.

Sie hat das nicht gut hinbekommen.

Vielleicht, weil sie es nicht aushielt, dass du so ganz und gar anders warst.

„Ich liebe dich", sagte ich, weil ich nichts anderes zu sagen wusste, und vielleicht auch, weil ich ahnte, dass es das Einzige war, das du in diesem Moment hören wolltest.


Weißt du auch noch, als wir beide im Sommer für einen ganzen Tag einfach verschwunden sind?

Du hast mich morgens abgeholt, und dann hast du mich in dein Auto gesetzt und bist losgefahren. Einfach so, ohne Plan.

Wir haben bei einem kleinen Restaurant gehalten und Burger und Cola und Pommes gegessen. Ich weiß noch, dass ich dir den Ketchup, der in deinen Mundwinkeln hing, schmunzelnd weggeküsst habe.

Später haben wir am Waldrand angehalten und ich bin losgerannt. Du bist mir hinterher, und dann sind wir durch den ganzen Wald gerannt  - oder es hat sich zumindest so angefühlt. Als du mich schließlich fingst, hobst du mich hoch und schweratmend schlang ich meine Beine um deine Hüfte und presste meine Lippen auf deine.

An diesem Tag rochst du nach Wald und nach Luft und dem Sommer, der sich in deinen Haaren verfangen hatte – du rochst nach Wildnis und nach Freiheit und nach dem Glück, das wir empfanden.

Weißt du noch?

Ich weiß es noch. Und bald, bald werden wir zusammen neue Geschichten spinnen, die wir erzählen können – die wir erleben können.

Denn du kommst zurück.

Jonathan. Du kommst zurück.

Zartbitterschokolade | BeendetWhere stories live. Discover now