15 - Anna: Zitronengrastraurigkeit

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(Weihnachtsspecial #2)


Als Jayden abends noch ins Hospiz kommt, wirkt seine Haltung erschöpft und sein Körper sieht kraftlos aus. Er steht am Fenster und ich sehe ihn nur von hinten, als ich aus dem kleinen Badezimmer komme.

Ich gehe auf ihn zu, langsam, weil ich heute einen unbändigen Schmerz in meinem Brustkorb habe, und greife nach seinem Arm, vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken.

Er dreht sich zu mir um. In seinen Augen steht Schock und Traurigkeit, es wirkt tief in seinen Zügen verankert.

„Hey, Jay, was ist los?", frage ich leise und mit einem besorgten Unterton in der Stimme. „Du hast mir nur eine SMS geschrieben, dass wir heute nirgendwo hingehen können. Warum konnten wir nicht? Was ist denn passiert? Geht's Evelyn gut?"

Ich rede wie ein Wasserfall, aber die Fragen haben sich den ganzen Tag über aufgestaut und ich kann nicht anders, als sie alle zu stellen und sie purzeln ungeschickt aus meinem Mund, als wüssten sie, dass sie dem Ausdruck auf Jaydens Gesicht nicht gerecht werden können.

Jayden sagt erst nichts, und dann packt er mich sanft am Arm und wir setzen uns auf das klapprige Bett mit der gelben Decke.

Er seufzt. In dem Moment merke ich, dass das, was er gerade spürt, nicht sein Schmerz ist.

Wessen ist es dann? Mein Herz schlägt schneller. Ist es Evelyns?

„Anna", murmelt er leise. „Jonathan ist heute Nacht gestorben."

Mein Mund öffnet sich und mir entflieht ein schockierter Laut.

„Evelyn konnte kaum etwas sagen, als ich sie heute morgen wegen heute angerufen habe. Da wusste ich, dass etwas nicht stimmt. Also bin ich hingefahren. Da hat sie es mir gesagt."

Nein... aber –

„Aber er sollte doch aufwachen!", sage ich mit einem Anflug von ungläubigem Trotz. „Das kann doch gar nicht..."

Ich verstumme, als Jayden den Kopf senkt und auf den Boden starrt.

„Ich weiß", flüstert er und seine Stimme ist mitgenommen. „Evelyn hat mir auch nicht gesagt, was genau passiert ist. Ich weiß überhaupt nicht, ob sie es selbst weiß. Sie weiß nur, dass er tot ist", er bricht ab. „Ich glaube, das zu wissen ist genug."

Ich wende mich von ihm ab und sehe auf meine blassen Finger in meinem Schoß. Der Schock sitzt tief. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie tief er bei Evelyn sitzen muss.

„Jay... wie geht's Evelyn?", frage ich mit zitternder Stimme.

Mein Bruder holt bebend Luft.

„Scheiße", sagt er dann. „Ihr geht's scheiße."

Ich nicke, und dann lasse ich mich auf Jayden sinken und lege meinen Kopf auf seinen Schoß und weine.

Nicht, weil ich Jonathan kannte und vermisse, sondern weil Evelyn meine Freundin ist. Es tut weh, wie weh es ihr tun muss.


„Was machen wir jetzt?", frage ich, als ich mich wieder beruhigt habe. „Ich meine, was machen wir morgen? Wollen wir trotzdem zusammen was unternehmen? Oder... ich weiß nicht, Evie Ruhe geben?"

Ich blinzle meinen Bruder an. Seine Augen sind ein wenig gerötet. Er sieht so müde aus.

„Keine Ahnung", antwortet er und schließt kurz die Lider. „Vielleicht sollten wir das Eve lieber morgen fragen. Wenn wir schon irgendwas geplant haben. Dann kann sie entscheiden, ob sie mitgehen möchte."

Zartbitterschokolade | BeendetWhere stories live. Discover now