3 - Anna: Erdbeerensommer

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Ich hasse Rosen.

Die, die sie mir zur Begrüßung hinhalten, sind rot und duften nach einer Freiheit, die ich nicht habe. Dennoch nehme ich sie und zwinge mir ein Lächeln auf. Ich spüre, wie Jayden meine Hand drückt. Alles wird gut. Das hat er mir auch immer gesagt, in den sterilen Krankenzimmern mit den Blumenbildern an den Wänden, und es ist fast, als wolle er es jetzt auch tun: mir sagen, dass alles gut wird, obwohl wir beide wissen, dass es eine Lüge ist.

Schließlich bin ich hier, um zu sterben.

Als ich es erfahren habe, sind mir hundert Synonyme für dieses eine Wort eingefallen: abnippeln, über den Jordan gehen, von uns gehen, ins Gras beißen... und dennoch weiß keiner von uns, was uns eigentlich erwartet, dort, im Danach.

Vielleicht gibt es ja wirklich einen Himmel, aber selbst wenn, dann habe ich trotzdem Angst davor. Ich will nicht sterben. Noch nicht.

Aber dafür bin ich hier. Ich werde gehen, und ich kann es nicht ändern. Eigentlich ist das schade, denn wenn ich nichts ändern kann, warum bin ich dann hier?

Leben heißt Veränderung, Anna.

Ach, wirklich? Und was bin ich dann? Eine schief gelaufene Mutation des Evolutionsprozesses? Eine Verfehlung der großen Perfektion dieser Welt?

Jeder wird verwundet in diesem Spiel, das wir Leben nennt. Ob früher oder später, ist letztendlich egal.

Und jeder verliert.


Das Zimmer ist fast so groß wie meines Zuhause es war, und die Wände sind so hellgelb wie die Blüten der Blume, deren Bild im Krankenhaus hing. Neben der Tür ist ein kleiner Glaskasten, ich soll mir später eine Postkarte aussuchen mit einem tollen Motiv darauf und sie dann da hinein stecken. Das ist hier anscheinend üblich, aber ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll.
Ich lege die blaue Tasche auf dem Bett ab, die Decke ist ebenfalls hellgelb, wie Zitronenfalter. Ich erinnere mich an ein anderes Bett, während ich den Stoff in die Hand nehme, ein Bett mit einer weißen Decke.

In der Kinderabteilung des Krankenhauses hatten sie einen verstaubten Tisch, und während ich meinen Blick durch das Zimmer wandern ließ, zählte ich die Risse in der Holzleiste.

Ich weiß noch, dass ich oft Experimente machen sollte. An einem Tag, irgendwann im Sommer, sollte ich einen Unterdruck in einem komischen Gefäß erzeugen, aber ich wusste nicht, wie.

Und dann saß ich da; auf dieser weißen Bettdecke, den Schmerz der Spritze, die sie mir in den Arm gejagt hatten, immer noch in meinen Adern. Irgendwelche abgeschwächten Krankheitserreger waren das gewesen, um mich vor einer Zweitinfektion zu schützen.

Plötzlich kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht auch nur ein physikalisches Experiment bin.

Aber eins, das nicht funktioniert. Denn jetzt bin ich schließlich hier.

Ich schüttele den Kopf und sehe mich weiter in dem Raum um. Ein Fernseher steht auf der dunkelbraunen Kommode, und ich streife mit meinen blassen Fingern an der Wand entlang, während ich die saubere Terrassentür beiseiteschiebe. Draußen riecht es nach Erde und Wildblumen, ein bisschen nach Wald.
Ich kann bis zu einer Ruine blicken, die auf dem Gipfel des Hügels steht; ein Bach schlängelt sich durch die Wiese zu den Füßen des Hospizes.
Als ich noch klein und gesund war, kamen wir oft her. Wir, das sind Jayden, ich, Mum und Dad. Manchmal, wenn sie zu Besuch waren, nahmen wir auch meine Großeltern mit.
Irgendwie seltsam, dass sie noch leben werden, während ich in ein paar Tagen tot bin. Ich sehe eh schon ziemlich tot aus, denke ich, als ich ins verflieste Bad gehe und mein eigenes Spiegelbild betrachte.
Meine Haare sind dünn und kurz, die braune Farbe war früher voll und stark, aber jetzt scheint sie blass im weißen Licht der Lampe. Blass wie mein ganzes Gesicht; und die Schatten unter meinen blauen Augen lassen mich unendlich krank wirken. Dabei bin ich endlich, so verdammt und unabänderlich endlich. Und mein Ende ist so nah.

Zartbitterschokolade | BeendetWhere stories live. Discover now