18 - Evelyn: Lichtsternsilhouetten

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Mein Handy klingelt, gerade, als ich Jayden schreiben will, dass Cassie heute nachmittags nicht kann und fragen will, ob ich auch allein kommen kann.

„Hey, Jayden", begrüße ich den Jungen am anderen Ende der Leitung, als ich auf den grünen Hörer drücke.

„Hey Evie", gibt er zurück, und irgendetwas in seiner Stimme ist anders. Ich brauche einen Augenblick, um zu begreifen, was es ist. Er hat geweint.

„Jay, ist alles okay?", frage ich alarmiert.

Ein paar Sekunden lang sagt er nichts, und die Stille, die durch das Handy in meine Ohren klingt, macht mich nervös.

„Nein", flüstert er dann. Seine Stimme ist kaum hörbar, und das eine Wort ist der Laut eines verletzten Tieres. „Nein."

„Was ist passiert?", frage ich, und ich merke, dass ich Angst vor der Antwort habe.

„Anna... wir waren heute bei ihr und... wir waren spazieren und da habe ich schon gemerkt, dass es nur eine Fassade war, dass sie uns nur glauben lassen wollte, dass es ihr gut ging", seine Stimme zittert. „Als wir zurück waren, hat sie sich die Seele aus dem Leib gekotzt. Minutenlang – ich, ich wusste nicht, dass es so schlimm ist, ich wusste nicht, dass es ihr so schlecht geht, ich wusste nicht..."

Und dann verwandeln sich die Worte in Schluchzen, und ich habe ihn noch nie weinen gehört. Es ist ein gebrechlicher Ton, und er klingt nach zu kalter Winterluft und eingefrorenen Herzen und Schmerz.

„Jayden", sage ich, immer und immer wieder, seinen Namen. Und dann „ich bin hier."

„Sie stirbt, Evie", murmelt er. „Sie stirbt."

Ich muss selbst die Tränen herunterschlucken.

„Wollen wir uns im Café treffen, wo wir uns das erste Mal gesehen haben?", frage ich ihn dann leise. „Ich könnte einen Kaffee jetzt gut vertragen. Und einen Freund."

Ich höre ein Schmunzeln zwischen den Tränen.

„Ich auch", gibt er dann zurück. „Ich könnte dich jetzt auch gut vertragen."


Im Café liegen die Marzipanrosen auf den Tischen, und ich bin froh, dass ich nicht auf Jayden warten muss, sondern er schon an einem sitzt, weil ich sonst wieder Angst vor meinen Gedanken hätte.

„Ich hab dir schon einen Kaffee bestellt. Mit Milch, ich hoffe, das war in Ordnung so?", begrüßt er mich, nachdem wir uns umarmt haben.

Ich lächle ihm zu. „Perfekt, danke", erwidere ich und kann nicht umhin, ihn zu mustern. Man sieht kaum noch, dass er geweint hat, aber seine Augen haben rote Ränder und seine Nase hat ein wenig mehr Farbe als normal.

Als ich mich hinsetze, kommt schon die Kellnerin mit unseren Bestellungen und erspart mir die Frage, was Jayden sich bestellt hat, da auf ihrem Tablett zwei Tassen Kaffee stehen.

„Ich habe echt Koffein gebraucht", sage ich erleichtert, nachdem ich einen Schluck genommen habe. Die Tasse halte ich in den Händen, weil ich sonst nach den Marzipanrosen greifen würde.

„Ich auch", murmelt Jayden. Ich sehe ihn an. Seine Augen sind auf den Tisch gerichtet, auf die süßen Dekorationen.

Ich hingegen wende mich von ihnen ab und blicke ihn direkt an.

„Bist du in Ordnung", frage ich sanft.

Als Jayden meinen Blick erwidert, sehe ich einen tiefen Schmerz im Blau seiner Iris'. Und er braucht nicht zu antworten.

Zartbitterschokolade | BeendetWhere stories live. Discover now