7 - Evelyn: Regenfarben

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Das Krankenhaus wirkt dunkel und trist im kalten Licht des Regens. Ich klammere mich an meine Tasche, die noch von der Schule über meiner Schulter hängt, und grabe meine Nägel in meine Handfläche, so sehr, dass es wehtut.

Ich weiß nicht, warum ich so nervös bin, dass ich zittere.

Schließlich ist es nichts Seltenes, dass ich zu Jonathan komme, ganz im Gegenteil, ich tue es jeden Tag, wenn ich Zeit habe.

Aber Jayden hat gestern meine Hand gehalten.

Zuerst habe ich mich erschrocken, weil ich es nicht habe kommen sehen. Dann wollte ich meine Hand wieder weg ziehen, weil ich einerseits schon sehr lange mit niemandem mehr Händchen gehalten habe, und zweitens, weil derjenige, mit dem ich es tun sollte, nicht Jayden ist.

Als ich dann gestern bei Jonathan war, war ich durcheinander, weil ich meine Hand doch nicht weggezogen habe.

Jetzt... jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen.


Vor der Tür zu seinem Zimmer bleibe ich stehen, zögere, mein Blick fixiert die Makel im Lack.

Meine Hand bebt, als ich den Knauf doch noch umdrehe und langsam in den Raum dahinter gehe.

Obwohl es regnet, kann ich seine Atemzüge hören. Sie sind regelmäßig und ruhig.

Ich atme aus und bemerke, dass ich die Luft angehalten habe, ziehe mir den Stuhl heran. Meine Tasche lasse ich auf den Boden fallen und setze mich neben Jonathan.

Ich greife nach seiner Hand, die reglos auf dem Bettlaken liegt. Irgendein Schlauch verschwindet in seinen Venen. Vorsichtig verschränke ich meine Finger mit seinen. Seine Haut fühlt sich kühl an.

So ganz anders als Jaydens.

„Ich liebe dich, Jonathan", flüstere ich. „Ich liebe dich so sehr."

Ich sehe ihn an. Seine blasse Haut, seine geschlossenen Augen, deren Lider in unregelmäßigen Abständen zucken. Die dunkle Haarsträhne, die ihm in die Stirn gefallen ist. Mit zitternder Hand streiche ich sie fort, verharre an seiner Wange. Die Schatten unter seinen Augen sind tiefer geworden, seine Wangenknochen stehen weiter hervor. Seine Lippen sind ein wenig rissig und wirken nicht viel dunkler als seine Haut.

Als ich den Anblick nicht mehr ertragen kann, kneife ich die Augen zusammen.

„Wach auf", sage ich. „Bitte."

Meine Stimme wird zu einem Flehen.

„Bitte komm zurück."

Aber Jonathan regt sich nicht. Nur seine Brust hebt sich langsam und kaum merklich bei seinen Atemzügen.

Ich lasse meinen Kopf auf seinen Oberkörper sinken, lausche seinem Herzschlag.

Es fühlt sich fast an, als wäre er bei mir.


Auf dem Flur kommt mir Liz entgegen.

„Hallo, Evelyn", begrüßt sie mich. Sie sieht mit ihrem gepflegten blonden Haar und den geschminkten braunen Augen fast zu gut aus für eine Mutter, die auf das Aufwachen ihres einzigen Sohns wartet, und es macht mich wütend.

„Hi", erwidere ich knapp. Es wäre mir am liebsten, mich jetzt einfach an ihr vorbei zu drängen, aber vielleicht hat sie Informationen. Also bleibe ich stehen und zwinge mich zu einem kleinen Lächeln.

„Wie sieht es aus?", frage ich, und ich habe ein wenig Angst vor der Antwort, wie jedes Mal, wenn ich frage. Zu oft habe ich die Horrorszenarien durchgeträumt, die mir im Kopf herumspuken. Am liebsten hätte ich sie vertrieben.

Zartbitterschokolade | BeendetWhere stories live. Discover now