20 - Evelyn: Feuerschmerztrunken

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„Okay", sagt Jayden. „Ich fange an."

Wir richten neugierig und abwartend unsere Blicke auf ihn, was ihn schmunzeln lässt. Dann senkt er den seinen auf das Spiel des immer höher wachsenden Feuers und räuspert sich.

„Es war einmal eine Prinzessin. Sie lebte in einem Land, das in einer Parallelwelt zu unserer Welt existierte; eine der möglichen Varianten, wie das Leben auf unserer Welt hätte aussehen können."

Er starrt immer noch in die Flammen. Auf seinen Zügen spielt die Dunkelheit um uns herum mit dem orangefarbenen Licht des Feuers Fangen.

„Die Prinzessin hatte auch einen Bruder, den Prinzen des Spiegellandes. Er war älter als sie und die beiden verbrachten jeden Tag zusammen, was den König und die Königin sehr freute." Er macht eine kleine Pause.

„Die Prinzessin war ein wahrer Sonnenschein. Selbst wenn es draußen regnete und stürmte, verbreitete sie im Schloss immer gute Laune und fortwährend trug sie ein Lächeln auf den Lippen. Die anderen Mitglieder der Königsfamilie liebten sie sehr und vor allem der Prinz wollte seine Schwester stets aus Leibeskräften beschützen."

Auf einmal umspielt seine Mundwinkel ein Lächeln, und es ist so ehrlich, dass es mich ansteckt.

„Wenn die beiden allein waren, bereitete er ihr immer ihre Lieblingsmahlzeit zu und ging nachmittags mit ihr nach draußen, um Blumen zu sammeln und den Schmetterlingen zuzusehen, die im königlichen Garten herum flatterten. Niemals ließ er sie an den Ofen heran, weil er Angst hatte, sie könnte sich verbrennen, und niemals ließ er sie ohne Begleitung nach draußen, wenn er nicht wusste, wohin sie wollte und wie lange sie dort zu bleiben vorhatte. Und in frühen Jahren, als die Prinzessin klein war und Angst vor den Monstern unter ihrem Bett hatte, nahm der Prinz ihre kleine Hand und erzählte ihr eine Geschichte oder klimperte auf seiner Gitarre. Das beruhigte seine Schwester zumeist, und wenn nicht, dann bückte er sich und verjagte all die Ungeheuer aus ihrem Zimmer. Und später dann, als die Prinzessin älter war und keine Angst mehr hatte vor der Dunkelheit oder den Monstern, die sich unter ihrem Bett oder im Schrank versteckten, kam der Prinz trotzdem jeden Abend und erzählte seine Geschichten, spielte auf seiner Gitarre, und manchmal, da sangen sie zusammen ein Lied, und in diesen Momenten hatten die Geschwister alles, was sie brauchten: Denn sie waren zusammen."

Mir fällt auf, wie rau seine Stimme ist, und wie sie die Worte zugleich sanft in die Luft setzt, behutsam, als seien sie ein Lied, das sich nur dann in die Symphonie der Welt einfügt, wenn er es singt.

Er ist ein guter Geschichtenerzähler.

„Aber der Frieden währte nicht lange, denn der Prinz konnte die Prinzessin nicht vor allem beschützen, obwohl er sich nichts mehr wünschte als das."

Nun schwang in seiner Stimme eine leise Note Traurigkeit mit, so tief und still, dass ich in seinen Augen, als er den Kopf hob und uns ansah, nicht nur den Schein des Feuers sah, sondern auch sein Herz und mit ihm die Liebe, die er für seine Prinzessin empfand.

Ich bin so gebannt von seinem Blick und dem Gefühl, das es in mir auslöst, dass ich nur aus dem Augenwinkel wahrnehme, wie Anna sich über die Augen wischt und ihren Bruder mit einem zarten Lächeln ansieht.

„Die neue Gefahr kam von innen. Sie hatte sich unbemerkt eingenistet und war gewachsen wie das Unkraut im königlichen Garten, das die Königin Sommer um Sommer verzweifelt auszumerzen versuchte. Dieses neue Unkraut versuchten sie alle zu bekämpfen, am allermeisten der Prinz, der sich große Sorgen um die Prinzessin machte. Aber sie begriffen schnell, dass diese Krankheit mit Suppen und Liebe und des Prinzen Geschichten an ihrem Bett nicht verschwand. Da bekam die Königsfamilie Angst und sie kontaktierten die besten Ärzte und Heiler des Königreiches, die alle die gleiche Diagnose verkündeten."

Zartbitterschokolade | BeendetWhere stories live. Discover now