54 | Frankfurt

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Svea POV

Mein Bein zittert. Ida legt ihre Hand auf meinen Oberschenkel. ,,Hey, alles ist gut, ja?“ Ich nicke. In wenigen Minuten beginnt das Spiel gegen Frankfurt. Das Spiel gegen Bremen verlief nur mäßig. Am Ende konnten wir ein Unentschieden retten und zumindest noch einen Punkt holen. Gut war das nicht. Weder vom Ergebnis her, denn natürlich hätten wir die drei Punkte gerne gehabt, aber auch unsere Leistungen war einfach schlecht. Nachdem wir gegen Wolfsburg im Pokal noch eine Leistung gezeigt haben, die in Ordnung war, hat gegen Bremen fast nichts funktioniert. Dadurch konnte Frankfurt näher an uns ran rücken und kann mit einem Sieg heute sogar an uns vorbei ziehen. In weniger als zwei Wochen können wir zwei mögliche Titel verlieren. Heute kommt es darauf an. Heute müssen wir liefern, wenn wir weiterhin die Meisterschaft in unserer Hand haben wollen. Doch dafür müssen wir heute wieder unsere gewohnten Leistung bringen. Frankfurt spielt aktuell richtig richtig gut. Vor allem Tessa im Sturm ist richtig gut drauf und macht gerade ein Tor nach dem anderen. ,,Ich bin einfach nur etwas nervös, das ist alles“, sage ich schließlich. Ich bücke mich, um meine Schnürsenkel nochmal neu zu binden. Als ich wieder aufschaue, bemerke ich wie Ida mich mustert. ,,Ich hab ein gutes Gefühl bei dir. Ich glaub, dass wird heute gut“, meint sie. ,,Danke.“ Dann müssen wir uns auch schon aufstellen. Wir klatschen uns alle noch einmal ab und dann geht es raus in den Deutsche Bank Park. Ein ganz besonderes Stadion für den Frauenfußball. Hier wurden früher Zuschauerrekorde aufgestellt und wichtige Spiele bestritten. Und jetzt darf ich auch hier spielen. Die Tribünen sind gut gefüllt und die Atmosphäre ist schon beim Einlaufen gigantisch. Aber klar, es ist ja auch ein absolutes Topspiel. Erster gegen zweiter. Ein Duell um die Tabellenspitze. Als Fan würde ich das auch lieben. Als Spielerin eher weniger. Natürlich sind das die Spiele, für die wir so brennen, aber für mich sind es aktuell noch die Spiele, die mir am meisten Angst machen. Wir kommen noch einmal im Kreis zusammen und Ida richtet ein paar letzte Worte an uns. Doch zu mir dringen sie nicht wirklich durch. Wir klatschen uns alle nochmal ab und gehen dann auf unsere Positionen. Ich atme tief durch.

Dann geht es los. Emy stößt an und spielt den Ball erstmal nach hinten in unsere Innenverteidigung. Sofort beginnen wir mit unserem klassischen Spielaufbau, bei dem auch ich mittlerweile fest eingebunden bin. Ich bekomme den Ball von Kira und will ihn weiter zu Jenny spielen, aber der Pass ist sofort zu ungenau und geht ins Seitenaus. Okay, ein denkbar schlechter Start. Aber nichts, weswegen man panisch werden muss. Zumindest rede ich mit das ein. Frankfurt übernimmt die Kontrolle und wir versuchen erstmal reinzukommen. Ich bin noch nicht wirklich im Spiel, komme nicht in die Zweikämpfe und antizipiere nicht gut genug, was die Frankfurterinnen machen wollen. Ich könnte so viel besser sein. Ich müsste so viel besser sein verdammt. Wir müssen doch dieses Spiel gewinnen. Ich muss mich zusammen reißen. So darf ich nicht spielen. Doch je mehr ich darüber nachdenke, dass ich so schlecht spiele, desto schlimmer wird es. Es ist mein Aussetzer-Spiel. Nein, so darf ich nicht denken, sagt Sandra immer. Frankfurt bekommt eine Ecke und während wir uns sortieren, atme ich einmal kurz durch. Jetzt ist wohl der Zeitpunkt all die psychologischen Kniffe, die ich bisher gelernt habe anzuwenden. Das hier wird kein Aussetzer-Spiel. Ich kämpfe mich da jetzt rein. Es ist, als hätten diese Worte einen Schalter bei mir umgelegt. Die Ecke kommt rein und ich steige am höchsten und kann der Ball aus der Gefahrenzone bringen. Ida nimmt ihn auf und startet den Konter. Hanna und Emy laufen mit und es ist ein drei gegen drei. Von hinten sehe ich genau, wie sie spielen müssen und Ida macht genau das, was ich in dieser Situation auch getan hätte. Sie spielt zu Hanna, die nicht im Abseits steht, die dann für Emy quer legt, die völlig aus den Augen gelassen wurde. Wie ich es von meiner besten Freundin kenne, bringt sie den Ball sicher um Tor unter. Ich reiße meine Arme nach oben und springe nach vorne zu den anderen. Das ist es. Das ist die Führung.

Mit genau dieser Führung geht es dann kurz darauf in die Pause. In den letzten Minuten bin dann auch ich endlich richtig ins Spiel gekommen. Leonie zeigt sich zufrieden mit den letzten Minuten, mahnt aber, dass wir genau diese Leistung weiter bringen müssen und nicht wieder so wie in der Anfangsphase spielen dürfen. Ich höre aufmerksam zu, versuche nicht in irgendwelche Gedanken abzudriften. Ich kann das jetzt nicht gebrauchen. ,,Svea, schau dass du dein Verständnis vom Spiel besser einsetzt. Du bist am Anfang viel hinterher gelaufen, aber hast dich dann besser reingekämpft. Bleib dabei und dann haben wir auch im Mittelfeld mehr Zugriff.“ Leonie ist nochmal kurz zu mir gekommen. Ich nicke. Irgendwie spüre ich genau zu wissen, was ich tun muss. Dann geht es wieder raus auf den Platz. Frankfurt stößt an, aber durch einen Fehlpass landet der Ball sofort bei uns. Die Abwehr beginnt einen Spielaufbau, bei dem ich mich wieder mit beteilige. ,,Rechts“, ruft Jenny dann. Hanna steht auf ihrem Flügel plötzlich völlig frei und sofort spielt Kira den langen Ball zu ihr nach vorne. Aber natürlich gehört zu dem rechts nicht nur, dass sie gesehen hat, dass Hanna frei steht und wir so einen Angriff starten können. Dazu gehört auch ein passender Spielzug. So renne ich in Richtung Strafraumgrenze. Unsere anderen Stürmerinnen sind bereits im Strafraum und warten auf Hanna’s Flanke. Dementsprechend hat sich auch die Frankfurter Abwehr darauf konzentriert. So spielt Hanna, wie im Training einstudiert den Ball zu mir. Jetzt liegt es an meinen Schussfähigkeiten. Ich nehme den Ball kurz an und ziehe dann ab. Durch das Gewusel im Strafraum sieht die Torhüterin den Ball Recht spät, aber sie hätte trotzdem keine Chance. Der Ball segelt genau in den rechten Winkel. ,,Jaaaa!“, brülle ich. Ida ist als erste bei mir. ,,Ich wusste es!“, ruft sie und hebt mich hoch. Auch die anderen kommen zum Jubeln. Dieses Tor war eine Teamleistung, denn ohne einander ist dieser Spielzug nicht realisierbar. Und trotzdem bin ich glücklich, dass ich das Tor schießen konnte. Ich habe es geschafft aus einem schlechten Start ein gutes Spiel zu machen. Das ist mir bisher noch nie wirklich gelungen. Entweder es war von Anfang an ganz gut oder es war schlecht, ist schlecht geblieben und war recht schnell beendet. Aber heute ist es anders. Strahlend laufe ich zurück auf meine Position zum Wiederanstoß.

Von Frankfurt ist in der Folge nicht mehr viel zu sehen. Wir kontrollieren das Spiel, lassen kaum noch Chancen zu und kurz vor Schluss kann ich dann sogar noch das 3:0 erzielen. Es ist wie im Traum und trotzdem weiß ich, dass real ist. Wir haben es geschafft. Wir haben dieses verdammte Spiel gewonnen und bleiben Tabellenführer. Und das mit vier Punkten Vorsprung. Wir haben alles in der eigenen Hand. Wenn wir nach Ostern so weiter spielen, ist uns die Meisterschaft nicht mehr zu nehmen. Und dafür war dieses Spiel gerade so wichtig. Quasi genau das sagt uns auch Leonie als wir im Kreis zusammen kommen. Danach kommt Melly zu mir und nimmt mich in den Arm. ,,Das hast du so grandios gemacht“, meint sie. ,,Danke. Ich bin einfach froh, dass ich meine Leistung so drehen konnte.“ ,,Genau das meine ich. Ehrlich gesagt, hatte ich am Anfang etwas Sorge, was das heute bei dir gibt, aber kurz vor der Pause hast du dann aufgedreht und ich hatte absolut keine Zweifel mehr.“ ,,Danke. Ich wusste, dass ich einfach nicht so weiter machen darf. Und mittlerweile habe ich auch die Möglichkeit mehr diese Richtung zu denken und nicht alles schlecht zu sehen“, erwidere ich. ,,Das zeigt ja, dass deine Zusammenarbeit mit Sandra Wirkung zeigt. Das ist richtig gut.“ ,,Oh ja.“ ,,Du strahlst richtig. Das ist so schön zu sehen“, meint Melly. ,,Was machst du über Ostern?“ ,,Ich fahre mit meiner Family ein paar Tage nach Rotterdam, aber ansonsten nicht viel.“ ,,Aber das ist doch schön Mal wieder etwas Zeit zusammen verbringen und sich nicht nur im Stadion zu sehen“, lacht Melly. ,,Ja, das dachten wir uns auch. Ich hoffe, du kannst auch schöne Ostertage verbringen und etwas abschalten.“ ,,Ja, definitiv.“ ,,Lass uns mal mit den anderen nach drinnen gehen, bevor wir hier noch einfrieren.“ Auch, wenn es schon Ende März ist, gegen Abend wird es dann doch ziemlich schnell ziemlich kalt.

Die nächsten zwei Tage haben wir noch Training und dann die restliche Woche bis nach den Feiertagen frei. Jade hat noch zwei gute Reha-Einheiten und wird nach den freien Tage mit einem weiteren Programm an Übungen beginnen dürfen, was uns beide sehr freut. Am Dienstag Abend nach der letzten Einheit heißt es dann Sachen fertig packen. Zum Glück haben wir vormittags trainiert und können jetzt am Nachmittag schon zu unseren Familien fahren. Emy und ich fahren nach Wolfsburg und Jade fliegt zu ihrer Familie. Nia kommt auch mit uns mit, denn sie verbringt Ostern mit Emy. Morgen geht es dann aber schon nach Rotterdam. Trotzdem heißt es sich erstmal von Jade verabschieden. Zum Glück bereitet mir das dieses Mal nicht ganz so viele Sorgen wie an Weihnachten, da es ihr jetzt wieder deutlich besser geht. ,,Wir sehen uns“, meint Jade.

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