15 | Stumm

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Lou POV

Sie geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Meine Gedanken kreisen nur noch um Svea. So sehr ich sie bewundere für ihre Leichtigkeit, so sehr mache ich mir Sorgen um sie. Es mag sein, dass es nichts ungewöhnliches ist, wenn sich die Kinder nachdem sie ausgezogen sind, etwas von ihren Eltern distanzieren. Aber bei Svea wird es langsam extrem. ,,Dann lass uns reden“, erwidere ich auf Jules Vorschlag und richte mich auf. Jule schaltet den Fernseher auf stumm. ,,Kannst du wenigstens Musik anmachen?“, frage ich. Ich kann jetzt keine Stille ertragen. Jule verbindet ihr Handy mit der Stereoanlage. Dann dreht sie sich zu mir. ,,Svea geht es gut“, sagt sie. ,,Das sehe ich.“ ,,Nein, das siehst du nicht. Ja, es sah gestern sehr leicht bei ihr aus, aber das war und ist es nicht. Das weißt du Lou. Svea und ich schreiben sehr viel. Sie hat mir von eurem Testspiel gegeneinander erzählt. Sie hat mir erzählt, wie es ihr danach ging. Sie hat mir erzählt, wie es wieder aufwärts ging. Sie hat mir von dem Spiel gestern erzählt. Ich weiß, dass du nicht wissen kannst, wie es ihr geht, aber ich weiß, was du denkst. Und das ist falsch. Es war nicht einfach für sie. Du hast sie bei dem Testspiel gesehen. Du hast gesehen, wie sie gespielt hat. Ich mache dir wirklich keinen Vorwurf, aber ich glaube, insgeheim hätte sie sich eine andere Reaktion von dir gewünscht. Sie mag mittlerweile 18 sein, aber manchmal braucht man auch dann noch eine Umarmung der Mutter.“ Stille. Nur OneRepublics Apologize ist leise im Hintergrund zu hören. Warum wohl jetzt genau dieser Song läuft. Ich kann nur hoffen, dass es noch nicht zu spät ist, mich zu entschuldigen.

,,Ich weiß…. Und ich weiß auch, dass es keine richtige Erklärung dafür gibt. Es gibt einfach Dinge, die mich stören, von denen ich aber weiß, dass ich sie nicht ändern kann. Es ist einfach… schwierig“, versuche ich mich zu erklären. ,,Es ist okay, dass es für manche Dinge keine Erklärung gibt.“ ,,Manche Sachen lösen bei mir eben Emotionen und Erinnerungen aus, an Dinge, die ich einfach für immer vergessen will.“ Jule nickt. ,,Das habe ich auch schon vermutet. Schon als Svea entschieden hat, nach Stuttgart zu wechseln, habe ich gesehen, was das bei dir ausgelöst hat. Es war dort keine einfache Zeit für dich bei deinen Adoptiveltern. Dass man mit diesem Ort wenig positive Erinnerungen hat, macht es einem natürlichen schwer, wenn die Tochter dorthin möchte. Aber das liegt an den Umständen. Hätte Svea gesagt, sie wechselt nach Hoffenheim, wäre es ja etwas ganz anderes gewesen. Aber so etwas löst natürlich negative Assoziationen aus und das ist auch total verständlich“, meint sie. ,,Ich würde so gerne eine bessere Mutter für sie sein, gerade jetzt bei diesem Schritt in ihrer Karriere, aber ich kann nicht. Und gleichzeitig verstehe ich sie, dass sie das stört. Sie hätte sich ja auch etwas anderes von mir erwartet.“ ,,Das stimmt. Sie hat es mir zwar nicht direkt gesagt, aber es definitiv angedeutet.“ ,,Sie hat auch jedes Recht dazu.“ ,,Mach dir nicht zu viele Vorwürfe. Auch hast deine Aufgaben, die bewältigt werden wollen. Lass dich nicht zu sehr von der Sache mit Svea runterziehen. Ihr werdet wieder zueinander finden, da bin ich mir sicher. Manchmal braucht man etwas Abstand und dann wird wieder alles gut“, sagt Jule.

,,Eine Frage noch. Hat sie etwas von Jade geschrieben?“, erkundige ich mich. Ich muss es einfach wissen, auch wenn das nicht gut für mich sein wird. ,,Ja, mehrmals sogar. Die beiden scheinen sich echt gut zu verstehen. Aber auch von Ida und anderen neuen Freundinnen erzählt sie. Sie wirkt wirklich gut ins Team aufgenommen.“ Es musste so kommen. Als ob sie nicht von ihr erzählen würde. ,,Wie, denkst du, ist ihr Verhältnis zueinander?“, frage ich. ,,Keine Ahnung. Ich weiß, dass du es nicht hören willst, aber wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich sagen, unsere kleine Svea ist etwas verliebt. Nein, ich glaube, die sind einfach gut befreundet.“ ,,Hhm. Hoffen wir’s.“ ,,Vielleicht solltest du dich Mal mit Leah aussprechen. Das würde es euren Kindern etwas einfacher machen. Wobei ich glaube, dass sie nicht wissen, was wirklich los ist. Zumindest Svea nicht. Sie weiß nur, dass du nicht begeistert bist, dass du so gut mit Jade auskommst. Kannst du nicht einfach etwas offener sein? Du bist doch sonst so tolerant und offenherzig“, meint Jule. ,,Du hast selbst gesagt, dass es keine Erklärung braucht, wenn es negative Assoziationen auslöst. Du weißt genau, wie es mir damit geht.“ ,,Natürlich weiß ich das. Aber trotzdem würde ein bisschen mehr Offenheit nicht schaden. Menschen sind geprägt von ihren Familien, aber nicht genau die gleichen. Du wirst Jade noch kennenlernen und dann siehst du es selbst“, erwidert Jule. ,,Das sehen wir dann. Hast du schon Mal mit ihr gesprochen?“ Es klingt irgendwie sehr danach. ,,Als Svea und ich vor drei Tagen telefoniert haben, ist sie einmal ins Zimmer gekommen. Sie hat wirklich einen total lieben Eindruck gemacht.“ ,,Na dann.“

,,Aber bitte misch dich nicht in das Liebesleben deiner Tochter ein. Du weißt wie es war, als meine Eltern von uns erfahren haben. Es war keine schöne Zeit, für uns beide nicht. Das müssen wir Svea nicht auch antun.“ ,,Das habe ich auch nicht vor. Nur wird es unser Verhältnis zueinander mitbestimmen.“ Jule nickt nur. ,,Vielleicht wird es ja mit der Zeit besser“, füge ich hinzu. ,,Das ist die richtige Einstellung. Gib den Dingen ihre Zeit und dann wird alles so kommen wie es kommen muss.“ ,,So wird es sei .“ Zum ersten Mal an diesem Abend muss ich lächeln. Jule hat Recht. Natürlich hat sie das. Es ist nicht immer einzusehen, aber es wird kommen, wie es kommen muss. Es ist die Angst, die mir im Weg steht. Angst vor neuen Traumata. Angst, dass Svea ähnliches erleben muss, egal ob im Fußball oder privat. Angst, dass ich mir selbst nicht gerecht werden kann. Doch eines darf ich nicht vergessen. Ich bin nicht alleine. Ich habe meine Familie, meine Freunde, mein Umfeld. Und ich habe Svea. Auch wenn wir das beide nicht glauben. Es wird der Punkt kommen, da brauchen wir uns mehr denn je.




Mal ein etwas kürzeres Kapitel als sonst. Ich versuche wieder häufiger zu updaten, aber ich kann nichts versprechen :)

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