42 | Angst

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Lou POV

,,Ja ihr geht es einigermaßen gut“, sagt Melly am Telefon. Sie hat uns angerufen, nachdem Svea vorhin während dem Spiel zusammen gebrochen ist. Tatsächlich haben wir in der Übertragung gar nicht gesehen, dass sie von der Bank aufgestanden ist. Wahrscheinlich war es besser so. ,,Was genau ist denn passiert?“, erkundigt sich Jule. ,,Ich habe noch nicht viel mit ihr geredet, aber ich weiß, dass sie Emy alles erzählt hat. Was ich weiß ist das, was ich in den letzten Wochen mitbekommen habe. Wir haben unser System etwas umgestellt, wodurch für Svea erstmal nur der Platz auf der Bank übrig war. Ich glaube, das hat ihr etwas zu schaffen gemacht, denn als ich ihr die Situation erklärt habe, hat sie auch nur recht knapp geantwortet und wirkte nicht wirklich begeistert. Was ja verständlich ist, schließlich hat sie in der Hinrunde wirklich viel gespielt. Wir wollten das System nur drei/vier Spiele testen, damit ihr es, wenn wir es brauchen einfach nutzen können, aber das konnte ich ihr nicht mehr sagen. Deswegen hat sie dann heute auch wieder von Anfang an gespielt, was sie sich auch verdient hat, denn ihre Leistung im Training war immer richtig gut. Heute hatte sie dann wieder ihren total Ausfall. Und was ich zwar nicht richtig weiß, aber was ich vermute, ist dass sie sich mit Jade gestritten hat. Die beiden sieht man normalerweise nur zusammen und das ist gerade nicht so. Es ist bei Svea jetzt einfach viel zusammen gekommen.“ ,,Und jetzt?“, fragt Jule weiter. ,,Ich werde natürlich mit ihr reden. Vorhin wollte ich einfach nur für sie da sein. Als Freundin, nicht als Trainerin. Ich weiß, dass Svea mir vertraut und ich werde ihr natürlich versuchen zu helfen.“

Selbst über das Telefon merkt man Melly ihre Besorgnis an. Sie kennt Svea eben auch schon seit sie noch ein kleines Baby war. Sie kennt meine Geschichte und sie kennt Sveas Geschichte. Wenn uns beiden jemand helfen kann, dann Melly. Und allein, dass sie uns jetzt anruft zeigt, wie viel ihr daran liegt. Wir reden noch eine ganze Weile. Auch für mich geht es in der Champions League rund, allerdings nicht ganz so erfolgreich. Gegen Olympique Lyon haben wir das Hinspiel 2:0 verloren. Es tut gut sich mit Melly darüber auszutauschen. Natürlich liegt es erstmal an den Mädels, wenn die Leistung auf dem Platz nicht stimmt, aber auch wir als Trainerteam tragen unseren Teil dazu bei. Wenn wir eine falsche oder ungeschickte Taktik vorgeben, dann können die Mädels auch nur noch wenig machen. Das jetzt nochmal mit Melly aufzuarbeiten, hilft extrem. Es nagt schon ziemlich an mir, dass wir verloren haben und unsere Chance aufs Viertelfinale nun sehr gering ist. Ich will die Hoffnung schon fast aufgeben, denn ein 2:0 zu drehen ist schwer, aber ich weiß, dass es falsch ist. Dank Melly gehe ich letztendlich doch recht positiv ins Spiel. Trotzdem kommen wir nicht über ein 1:1 heraus und damit sind wir ausgeschieden. Es tut weh. Und ich gebe mir die Schuld, aber ich kann damit umgehen. Und das ist gut zu wissen. Denn es reicht, dass ich es mir mit Svea schon wieder verbockt habe. Ich kann nur hoffen, dass wir es nochmal gerade biegen können.

Svea POV

Die Tage sind so voll gepackt. Nach dem Spiel am Sonntag steht am Montag eine Trainingseinheit an, am Dienstag steht schon der Flug nach Turin an und am Mittwoch dann das Rückspiel. Alles ist so eng getaktet, dass ich kaum Zeit zum Nachdenken habe. Ich weiß, dass Melly nochmal mit mir reden wollte und ich bin ihr auch sehr dankbar dafür, aber wir haben den passenden Moment immer noch nicht gefunden. Zwischen Jade und mir herrscht weiter Funkstille, wobei sie nach meinem Zusammenbruch eigentlich mit mir reden wollte. Aber da habe ich abgeblockt, weil ich in dem Moment einfach nicht konnte. Jetzt fliegt sie nicht mit nach Turin und ich bin schon fast ganz froh, dass ich zwei Tage mal keine Angst haben muss sie zu sehen. Trotzdem habe ich schon genug Angst. Angst nochmal zu versagen. Ich stehe wieder in der Startelf, da wir zu unserem alten System zurückgekehrt sind, aber mein Selbstbewusstsein ist absolut nicht vorhanden. Emy ist einfach für mich da, redet mit gut zu und ich bin einfach nur dankbar dafür. Gleichzeitig hasse ich es, dass ich immer die Person mit den Problemen bin. Wobei ganz viele andere wahrscheinlich auch ihre Probleme haben, aber ich davon nichts mitbekomme. Trotzdem fühlt es sich so an, als wäre ich die einzige mit ihren offensichtlich Problemen. ,,Es wird alles gut werden. Du bist eine klasse Fußballerin und das zeigst du jetzt allen da draußen. Wir sind alle da für dich, ja?“ Emy zieht mich hoch und nimmt mich in den Arm. ,,Danke.“ Ich schlucke. Womit habe ich das eigentlich verdient? Auch Ida, Xenia und Jenny nehmen mich in den Arm. Selbst Hanna. Ich versuche die Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Jetzt gilt es ein Champions League Spiel zu gewinnen.

Es ist immer wieder faszinierend. Manchmal gibt es Spiele, in die komme ich gar nicht rein, weil ich so viel nachdenke. So als würde sich meine Gedankenwelt auf meinen Spielstil übertragen. Und dann gibt es Spiele mit der gleichen gedanklichen Ausgangslage, bei denen ich auf dem Platz alles ausblenden kann. So auch jetzt. Sobald ich den Rasen betrete und das Spiel angepfiffen wird, bin ich endlich wieder in meinem Element. Ich komme hervorragend ins Spiel. Auch wenn ich noch fast keine Erfahrung mit der Spielweise von Juventus Turin gemacht habe, komme ich sehr gut damit klar. Ich merke, wann ich wie weit gehen kann. Durch ihr System bekomme ich tatsächlich einige Freiheiten im Offensivspiel. Auch mit Ida harmoniere ich wieder perfekt auf dem Platz. Es ist, als wäre nichts gewesen, doch es ist so viel passiert. Aber jetzt in diesen Minuten fühlt es sich an, als wäre alles normal. Ich bekomme den Ball von Kira, unserer zweiten Innenverteidigerin, und sofort tut sich etwas Platz auf. Ich beginne zu dribbeln und spiele dann rechtzeitig den Pass zu Ida. Ich laufe, um meine Gegenspielerin herum und bekomme den Ball wieder. Meine Flanke findet Hanna, die den Ball im Tor unterbringt. Ich denke gar nicht darüber nach und falle Hanna in die Arme. Es ist mein erster Assist in diesem Jahr. Und gleichzeitig ist es die frühe Führung, die es Juventus jetzt umso schwerer macht. Das merken wir auch sofort. Wenn sie sich davor schon oft fallen lassen haben, dann jetzt noch mehr. Ich gehe in den Zweikampf mit einer Italienerin und berühre sie eigentlich gar nicht, doch sie geht zu Boden. Die Schiedsrichterin zeigt mir die gelbe Karte. Ich will mich gerade beschweren, denn ich habe wirklich nichts gemacht, doch Ida zieht mich weg. ,,Akzeptier es einfach. Wir wissen alle, dass es falsch ist, aber diskutieren bringt nichts. Spiel einfach weiter.“ Das mache ich. Zwar mit etwas Wut im Bauch, denn das ist meine dritte gelbe Karte in dieser Champions League Saison. Das heißt, dass ich im Viertelfinal Hinspiel nicht spielen werden darf. Und das wegen so einer blöden Aktion. Doch dass mich das so nervt, stachelt mich nur noch mehr an, es Juventus so richtig zu zeigen.

Nach der Halbzeitpause bereite ich das zweite Tor vor. Diesmal ist Emy die Torschützin. Geht es noch perfekter? Ich glaube, dass haben wir hier beim VfB noch nicht geschafft. Endlich kommen wir dazu unseren gemeinsamen Torjubel durchzuführen. Emy springt mir auf den Rücken und ich drehe mich im Kreis. Lachend werden wir vom restlichen Team umarmt. Jetzt wird man uns das Viertelfinale wirklich nur noch kaum nehmen können. In der 75. Minute werde ich ausgewechselt. ,,Starkes Spiel“, meint Leonie, als sie mich kurz umarmt. Grinsend lasse ich mich auf die Bank fallen. ,,Sehr gut Svea“, sagt Melly. ,,Trotzdem würde ich gerne noch mit dir reden. Können wir das morgen früh noch machen?“ ,,Klar.“ Ich weiß, dass wir es brauchen werden.

Flowers grow back Donde viven las historias. Descúbrelo ahora