40 | Denkweisen

242 16 0
                                    

Ich setze Mal eine Triggerwarnung auf Übergriffigkeit vor dieses Kapitel.

Svea POV

Ich wusste nie, dass ich mich so gut verstellen kann. Schon als es Jade so schlecht ging, habe ich die sorgenfreie gespielt und so getan als wäre alles gut, um sie nicht noch mehr zu belasten. Und jetzt spiele ich die sorgenfreie, um der wieder glücklichen Jade keine Sorgen zu bereiten. Ich hätte nie gedacht, dass sie mich so beeinflussen kann. Aber ich will auch nicht über meine Situation reden, weil ich mich immer mehr für meine Denkweise hasse. Ich bin wirklich ein egoistischer Mensch. Warum kann ich es nicht einfach akzeptieren, dass ich gerade nicht die erste Wahl bin? Schon am Mittwoch steht das Hinspiel im Champions League Achtelfinale gegen Juventus Turin an. Wir spielen zu Hause, so dass der Reisestress zumindest wegfällt. Wie immer weiß ich schon einen Tag vorher, dass ich nicht von Anfang an spielen werde. So finde ich mich am Mittwoch Abend auf der Bank wieder und beobachte das Spielgeschehen von außen. Es ist tatsächlich so, wie Leah und Jordan es vorhergesagt haben. Juve spielt einen total anstrengenden Fußball. Vor allem, weil sie bei jeder kleinsten Berührung zu Boden gehen. Aber selbst versuchen sie zu foulen, wo es nur geht. Ich könnte schon fast froh sein, dass ich nicht spiele. Aber ich bin es natürlich nicht. Es ist total nervig. Vor allem, weil ich es nicht gewohnt bin. Noch fast nie hatte ich diese Situation nur auf der Bank zu sitzen. Bei Wolfsburg hatte ich immer sehr viel Spielzeit und als ich hier in Stuttgart angefangen habe, durfte ich ja auch sehr viel spielen. Und jetzt werde ich damit konfrontiert und komme nicht damit klar. Letztendlich bekomme ich vom Spielgeschehen nicht Mal so viel mit, da ich so in meinen Gedanken festhänge. Mit einem 0:0 gehen wir in die Kabine. Wirklich überragend ist es nicht, was die Mädels zusammenspielen. Das merkt man an der Stimmung. Bei Leonies Ansprache schaffe ich es tatsächlich aufmerksam zu sein. Allerdings könnte es dabei ja dann noch um Wechsel gehen, was ja für mich sehr interessant wäre. Doch dazu kommt es nicht. Leonie will erstmal gar nichts verändern und in der zweiten Hälfte eher im Sturm neue Impulse bringen. Also sieht es für mich eher schlecht aus. Trotzdem werde auch ich irgendwann zum Aufwärmen geschickt. Lustlos jogge ich neben dem Spielfeld entlang. Inzwischen sind wir 1:0 in Führung gegangen.

Als die letzten Minuten beginnen, werde ich zur Bank gerufen. Ich soll doch noch eingewechselt werden. Aber selbst mir ist klar, dass das nur ein Wechsel ist, um Zeit zu schinden. Schließlich ist kein weiteres Tor gefallen. In der 90. Minute werde ich also eingewechselt und nach drei weiteren Minuten ist das Spiel vorbei. Wir haben gewonnen, aber ich habe weiter an Boden verloren. Jade kommt von der Tribüne runter und steuert genau auf mich zu. Wir haben nie wirklich darüber geredet, dass ich mit meiner Spielzeit hadere, aber so wie ich gerade dastehen muss, sieht sie es selbst. Sie kommt her und zieht mich in eine feste Umarmung. Wir wissen beide, dass sie mich am liebsten küssen würde und wir wissen beide, dass es nicht geht. Trotzdem nimmt sie meine Hand, als wir in den Teamkreis gerufen werden. Ich lasse es zu. Sollen die Leute dadurch halt anfangen zu spekulieren.


Emy, Jade und ich verlassen das Stadion recht schnell. Ich habe keine Lust ewig zu bleiben und den anderen beiden geht es ähnlich. Ich setze mich gerade auf unser Sofa, als mein Handy aufleuchtet. Lou ruft an. ,,Ich geh Mal kurz telefonieren", sage ich zu Jade und gehe rüber in die Küche. Emy telefoniert in ihrem Zimmer mit ihrer Mutter. Ich atme kurz durch und drücke dann auf annehmen. ,,Hey." ,,Seid ihr zusammen?" Keine Begrüßung, nichts, nur diese Frage. ,,Ja, sind wir." Es hat keinen Sinn mehr es zu leugnen. Wahrscheinlich sollte Lou es so auf keinen Fall erfahren, aber jetzt zu lügen, würde auch nichts bringen. Denn natürlich hat sie es dadurch bemerkt, dass wir Händchen haltend im Teamkreis standen und die Kameras das bestimmt noch gefilmt haben. Nicht der beste Weg für sie von unserer Beziehung zu erfahren. Aber jetzt ist es passiert. Lou schweigt. ,,Und?", frage ich, um die Stille zu durchbrechen. ,,Ich weiß, ich habe kein Mitspracherecht, mit wem du zusammen sein darfst, aber pass bitte auf dich auf." ,,Mom, wir sind schon seit vier Monaten zusammen. Ich war nie glücklicher als mit Jade." ,,Aber am Ende sind sie eine Familie und damit alle gleich. Bitte, ich will nicht, dass dir das auch passiert", erwidert Lou. ,,Was soll mir passieren? Ich weiß ja schon ewig, dass zwischen dir und Leah etwas vorgefallen sein muss, so wie du dich dieser wirklich tollen Familie gegenüber verhältst, aber jetzt musst du es mir auch erzählen. Sonst kannst du keine solchen Aussagen über Jade äußern. Was war zwischen dir und Leah?" Ich glaube zwar nicht daran, dass sie es mir wirklich erzählen wird, aber Lou beginnt tatsächlich zu reden.

,,Ich bin nach Arsenal gewechselt, weil ich dachte, dass ich eine neue Herausforderung brauche. Es war nach der EM 2025, bei der wir im Halbfinale gegen den späteren Europameister England ausgeschieden sind. Ich brauchte etwas neues. Zumindest glaubte ich das. Als ich in London war, wusste ich sofort, dass ich falsch lag. Es gefiel mir gar nicht dort und das schlimmste war, dass es Leah, als Kapitänin, nicht besser gemacht hat. Im Gegenteil. Natürlich hatte ich meine Freunde im Team, aber Leah hat mir ganz unauffällig das Leben zur Hölle gemacht. Sie hatte Angst, dass ich ihr den Rang ablaufe. Schließlich stand sie als zweifache Europameisterin, bei der sie beide Male Kapitänin der Mannschaft war, im Fokus der Öffentlichkeit. Und dann kam da ich und plötzlich wurde ich wie der neue Star im Team gehandelt. Ich war 21 Jahre alt, Triplesiegerin, Doublesiegerin und Olympiasiegerin. Ich war jung und gut. Das fanden die Engländer super. Leah aber wollte das Gesicht der Mannschaft bleiben und versuchte so alles, damit ich nicht Fuß fassen und aus mir raus kommen kann. Nur hat sie die Rechnung ohne ihre Gefühle gemacht. Sie war mit Jordan zusammen, zumindest war das immer mein Informationsstand. Doch sie hat dann eine sexuelle Anziehung zu mir entwickelt. Ich glaube nicht, dass sie jemals echte Gefühle für mich hatte. Ab dann hat sie sich so verhalten, dass ich diese Anziehung auch entwickelt habe. Dabei war sie nie nett zu mir und trotzdem hat sie es geschafft, dass ich mich und meine Prinzipien verliere. Ich war mit Jule zusammen und wirklich glücklich und gleichzeitig entwickelte ich eine Anziehung zu einer Frau, die nicht Mal nett zu mir war. Nach einem halben Jahr, das sportlich für mich zwar richtig gut war, mental durch Leah aber wirklich anstrengend, waren wir plötzlich nach dem Training alleine. Leah hat mich mitgezogen und ehe ich kapiert habe, was sie vor hat, har sie mich in eine Besenkammer gezogen. Als sie sich vorgebeugt hat, wusste ich dann auch, was sie vorhat. Sie wollte mich küssen. Und dann haben ich endlich gecheckt, was mit mir passiert ist. Bevor unsere Lippen sich berührt haben, bin ich aus der Kammer gestürmt. Zwei Wochen später hat sie mich im Training übel gefoult und ich habe mir das Kreuzband gerissen. Ihr tat es keine Sekunde lang Leid."

,,Wow krass, aber das ist doch mit meiner Situation nicht zu vergleichen", werfe ich ein. ,,Leah und ich waren beide in Beziehungen, bis sie mich dazu bringt etwas für sie zu empfinden. Weißt du, wie viel ich hätte verlieren können? Wer weiß, inwieweit Jade nur spielt. Sie ist die Tochter von Leah, vielleicht sind sie aus dem gleichen Holz gebaut. Ich will dich wirklich nur warnen." ,,Danke, aber ich brauche diese Warnung nicht. Natürlich ist es nicht schön, was da passiert ist, aber ich habe eine sehr liebe Leah Williamson kennengelernt. Und ich will nicht, dass du so über Jade redest." ,,Dann pass halt auf mit wem du zusammen kommst. Du wolltest doch, dass du mich nicht mehr unterbewusst an meine Vergangenheit erinnerst. Und jetzt? Jetzt hast du es ganz bewusst geschafft!" ,,Mom... es tut mir Leid. Wenn du Jade und Leah richtig kennen würdest, würdest du das so nicht sagen", entgegne ich. ,,Oh glaub mir, was ich von den beiden kenne, reicht mir voll und ganz."

Ich höre noch ihr bitteres Lachen, dann lege ich auf. Ich kann mir das nicht länger anhören. Ich starre auf mein Handy. Dann gebe ich den Blick. Mist. Da steht Jade. Die Küchentür war offen und mein Handy auf Lautsprecher eingestellt. Sie hat wahrscheinlich alles gehört. ,,So denkt ihr also über mich." Ihre Worte in diesem verletzten Tonfall schießen wie Pfeile in mein Herz. ,,Jade, lass es mich erklären..." ,,Du brauchst nichts zu erklären", unterbricht sie mich. ,,Es war alles eindeutig." Tränen schimmern in ihren Augen. Unsere Klingel ertönt. Jade dreht sich um und verlässt die Wohnung.


Flowers grow back Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt