32 | Sofa

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Svea POV

Nachdem ich aufgelegt habe, dauert es nicht lange bis Jade zurück kommt. Ich sitze immer noch in ihrem Zimmer. Eigentlich sollte ich zu Emy gehen und sie informieren. Aber ich schaffe es nicht aufzustehen. Ich könnte schon wieder anfangen zu weinen. Aber das darf ich nicht. Ich muss stark sein. Für Jade. Langsam stehe ich auf. Erst jetzt bemerke ich, dass ich gar nichts für sie vorbereitet habe. ,,Emy?“, rufe ich in die Wohnung hinein. ,,Ja“, ertönt es aus dem Esszimmer. Emy sitzt am Tisch und macht etwas für die Uni. ,,Jade hat sich das Kreuzband gerissen.“ Ich lasse mich auf einen Stuhl sinken. ,,Shit.“ Ich nicke nur. Dann klingelt es. Sofort springe ich wieder auf. Ich ziehe mir nicht Mal Schuhe an, sondern renne sofort die Treppen runter. Kurz bevor ich die Tür erreiche, bleibe ich wie angewurzelt stehen. Was soll ich sagen? Wie soll ich reagieren? Wie geht es Jade überhaupt? Ich atme einmal tief durch. Dann gehe ich die letzten Schritte und öffne die Haustüre. Annette, Leonie und Jade stehen mir gegenüber. Um Jades rechtes Bein ist eine dicke Schiene. Sie sieht schrecklich aus. Ihren Augen sind rot, ihre Wangen blass. Dazu kommen die Krücken und die Schiene, die es nicht besser machen. ,,Hey“, sage ich langsam. ,,Hallo Svea“, beginnt Leonie. Ich höre kaum zu, während sie mir erklärt, was der Arzt gesagt hat. Mein Blick hängt an Jade. Es bricht mir das Herz sie so zu sehen. Gerade so bekomme ich mit, dass sie nächste Woche operiert wird und die Reha in Stuttgart absolvieren wird. Ich nicke nur. ,,Brauchst du noch irgendwas Jade?“, wendet sich Leonie plötzlich an sie. ,,Nein, jetzt ist ja Svea bei mir. Danke für alles!“ Wenn es möglich ist, bricht mein Herz noch ein kleines bisschen mehr, als ich ihre zittrige Stimme höre. Ich habe sie noch nie so sprechen gehört. Nicht Mal als wir im Sommer ins Trainingslager geflogen sind und sie unter ihrer Flugangst litt. ,,Auch von mir Danke, dass ihr Jade ins Krankenhaus gebracht habt und euch um alles gekümmert habt“, sage ich schließlich. ,,Nichts zu danken, das ist doch selbstverständlich“, meint Annette. Das ist es nicht, aber das zeigt, was für eine gute Physiotherapeutin sie ist. Ich behalte diesen Gedanken aber für mich. ,,Trotzdem, vielen Dank.“ Ich trete zur Seite und Jade humpelt ins Haus.

Langsam gehen wir hoch zu unserer Wohnung. Mit ihrem Krücken und der festen Schiene dauert das. Ich kann ihr nicht Mal richtig helfen. Sofort zieht sich in mir wieder alles zusammen. In unserem dritten Stock angekommen steht Emy schon an der Wohnungstür. Wahrscheinlich hat sie uns gehört. Ohne ein Wort zu sagen, lässt sie uns rein und geht dann in ihr Zimmer, während Jade und ich das Wohnzimmer ansteuern. Später muss ich ihr dafür danken. Sie weiß einfach immer, wann wir Zeit für uns zu zweit brauchen. Ich helfe Jade sich aufs Sofa zu setzen. Dann hole ich uns etwas zu trinken und eine Kleinigkeit zum Essen und kuschele mich zu ihr. Ich schlinge meine Arme um sie und halte sie einfach fest. Jade schluchzt auf. Ich verstärke meine Umarmung ohne ein Wort zu sagen. Das brauche ich auch nicht, das spüre ich. Jade legt ihren Kopf an meine Halsbeuge. Die Tränen strömen unaufhaltsam ihre Wangen runter und tropfen auf meinen Pulli. Aber das ist mir egal. Ich will einfach nur für meine Freundin da sein und ihr den Halt geben, den sie jetzt braucht. Es können Minuten oder Stunden sein, irgendwann wird Jades Atmung wieder ruhiger. ,,Danke“, flüstert sie. Ich verändere meine Position so, dass wir uns anschauen. Dann beuge ich mich vor und küsse sie. Ich spüre, wie sich Jade in meinen Armen entspannt. ,,Nochmal Danke.“ ,,Ich… du musst dich nicht bedanken. Ich bin einfach nur froh, dass du hier in meinen Armen liegst“, sage ich leise. Wieder formen sich Tränen in Jades Augen. ,,Ich weiß, die Frage ist bescheuert, aber wie geht es dir?“ ,,Die Frage ist nicht bescheuert“, erwidert Jade. ,,Ich weiß nicht, wie es mir geht. Es ist gerade einfach alles noch zu viel. Einerseits begreife ich noch gar nicht, was das alles bedeutet, aber gleichzeitig tut jeder Gedanke daran so weh.“ Es bedeutet sehr viel. Es bedeutet ein Ausfall von mindestens neun Monaten. Eine Operation. Eine lange, schwierige Reha Phase. Es ist das Saisonaus. Sie wird den Beginn der nächsten Saison verpassen. Und am aller schlimmsten, sie wird die EM verpassen. Allein die Gedanken daran schmerzen. ,,Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich finde einfach nicht die richtigen Worte. Aber es tut mir einfach so Leid…“ Ich spüre, wie auch mir die Tränen kommen. Aber das darf ich nicht. Ich muss stark bleiben. ,,Du musst gar nichts sagen. Einfach nur da sein“, sagt Jade. Sie legt ihren Kopf wieder auf meine Schulter. Wenig später ist sie eingeschlafen.

Als sie wieder aufwacht, ist auch Emy zu uns ins Wohnzimmer gekommen. Gemeinsam essen wir zu Abend. Jade isst zwar nicht viel, aber immerhin reden wir recht viel. Sie erzählt von ihrer Wahrnehmung und schildert auch nochmal, was der Arzt jetzt genau gesagt hat. Das beruhigt mich etwas und zeigt mir, dass sie zumindest einigermaßen okay damit umgehen kann. Mit dem mentalen Aspekt von solchen Verletzungen ist nicht zu spaßen. Während ich das Geschirr in die Spülmaschine räume, hilft Emy Jade wieder aufs Sofa. Ich geselle mich wieder dazu. ,,Wie wollen wir es denn machen? Möchtest du mit zum Trainingsgelände kommen oder brauchst du die Zeit für dich?“, frage ich schließlich. Ich wollte es die ganze Zeit schon fragen, aber ich hatte Angst vor ihrer Reaktion. ,,Ich weiß es noch nicht. Einerseits will ich die Mädels sehen und ich glaube, sie wollen mich auch sehen. Aber ich weiß nicht, ob ich das schon verkrafte, euch beim Training zu sehen und selbst nichts machen zu können“, meint Jade. ,,Hm, wir müssen nur schauen, wie du dann hinkommst, weil wir keinen Zugriff auf ein Auto haben. Aber wir können Ida schreiben und sie fragen, ob sie uns oder dich morgen spontan hinfahren kann“, schlägt Emy vor. Jade nickt. Ich glaube, sie mag es nicht so abhängig von jemandem zu sein und jetzt nicht mehr selbst irgendwo hinzukommen. Schnell lege ich mich neben sie. ,,Komm her“, flüstere ich und breite meine Arme aus. ,,Aber lass uns das so machen“, sagt Jade. Während Emy Ida schreibt, mache ich den Fernseher an und suche die Serie, die wir aktuell schauen. Vielleicht ist etwas Ablenkung für uns alle jetzt auch nicht schlecht. Der Tag war wirklich mehr als ereignisreich. Jades Verletzung, mein Telefonat mit Lou. Alles Dinge, die einem Gedanken bereiten. Gedanken über das, was gerade ist. Gedanken über das, was war. Gedanken über das, was in den nächsten Tagen und Wochen passiert wird.
Ich hebe meinen Kopf und sehe, dass Jade wieder kurz vorm einschlafen ist. ,,Sollen wir Mal in Richtung Bett gehen?“, frage ich leise. ,,Mhm.“ Vorsichtig stehe ich auf und helfe dann Jade hoch. Ich stütze sie, als wir durch den Flur zum Bad gehen. ,,Svea, kann ich bei dir schlafen? Ich will nicht alleine sein.“ Ihre Stimme klingt schon wieder so zerbrechlich. ,,Natürlich.“

,,Jade?“ Wir liegen nebeneinander in meinem Bett. Zum Glück ist es breit genug. ,,Ja.“ ,,Ich wollte nur sagen, dass es okay ist, dass du damit zu kämpfen hast. Es ist okay zu weinen. Es ist auch okay Dinge nicht zu tun, weil du nicht kannst. Es ist okay, wenn du schlechte Laune hast. Es ist okay, wenn du für etwas Hilfe brauchst. Tu bitte das, was dir gut tut und lass dir von niemandem etwas anderes vorschreiben, außer es sind die Ärzte oder Annette, denn die wollen wirklich nur das Beste für dein Knie. Aber ansonsten kann dir niemand vorschreiben, ob du zum Training kommen willst oder nicht. Wenn du dafür nicht bereit bist, dann lass es bleiben. Und bitte rede mit mir, egal was ist. Ich will dich unterstützen und mit dir zusammen durch die Zeit gehen. Es ist mir egal, wenn du frustriert bist, schlechte Laune hast und mich anmeckerst. Ich will nur nicht, dass du das alleine durchmachen musst. Ich bin immer da für dich. Merk dir das bitte, okay?“ ,,Ich liebe dich Svea.“ Ich drehe mich auf die Seite, um sie anzuschauen. ,,Ich liebe dich auch Jade.“ In ihren Augen schimmern wieder Tränen und jetzt laufen diese auch bei mir über die Wangen. Es war einfach zu viel heute. In Jades Armen schlafe ich schließlich ein.

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