11 | Flug

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Svea POV

Als ich drei Tage später den Sportteil unserer Zeitung aufschlage, fällt mir sofort die obere Schlagzeile ins Auge. Stuttgarter Neuzugang Rauch – ihre Eltern waren Olympiasiegerinnen steht dort geschrieben. Intuitiv will ich die Seite umblättern, aber ich kann nicht und beginne sofort zu lesen. Im Nachhinein weiß ich nicht, ob das gut war oder nicht. Irgendwie macht es mich stolz so etwas über meine Mütter zu lesen. Aber der Druck, der dadurch aufgebaut wird, ist dennoch hoch. Jetzt werde ich wohl wirklich damit in Verbindung gebracht. Jetzt werde ich an ihnen gemessen. Jetzt geht es darum, dass ich die neue Hoffnung bin. Ja, das steht so darin. Ich als neues Talent im deutschen Frauenfußball. Dabei bin ich doch gar nicht soo gut. Warum wird sowas etwas von mir behauptet? Man hat ja noch nicht Mal viele Spiele von mir gesehen. Woher will man überhaupt wissen wie gut ich bin? Was ist, wenn ich komplett versage? ,,Warum hast du das gelesen?“, unterbricht Jade meine Gedanken. ,,Ist das deine heutige Frage?“, kontere ich. Ich will nicht zugeben müssen, dass ich mich ertappt fühle. ,,Wenn du es so willst, dann ja. Aber jetzt ehrlich, warum?“ ,,Ich weiß es nicht. Vielleicht war es Interesse. Es ist einfach so passiert“, versuche ich mich zu erklären. ,,Aber so wie du gerade auf den Tisch gestarrt hast, hat das nur noch wenig mit Interesse zu tun. Du musst solche Artikel nicht lesen. Du darfst natürlich, aber achte immer darauf, was dir gut tut.“ ,,Du hast ja Recht“, seufze ich. Irgendwie fühle ich mich wieder wie das kleine Mädchen, das nur Fehler macht. Wobei ich zumindest das kleine Mädchen schon die ganze Zeit beim VfB bin. Ich bin einfach das Nesthäkchen. Ich bin mit etwas Abstand die Jüngste. Während Emy bereits Ende November 19 wird, habe ich erst im Februar Geburtstag. Eigentlich ist es kein großer Unterschied  aber trotzdem merke ich, dass ich nochmal jünger bin. Vielleicht kommt es aber auch einfach nur mir so vor. Letztendlich unterscheidet sich das eigene Befinden oft von der Realität.

,,Alles okay bei dir?“, frage ich Jade. Die neue Woche beginnt und wir reisen ins Trainingslager nach Spanien. So sitzen wir jetzt am Flughafen und warten auf unseren Flug nach Málaga, von wo aus es dann noch nach Marbella gehen wird. Jedoch sieht Jade alles anderes als glücklich aus. Schon heute Morgen war sie ungewöhnlich still und hat nicht viel gegessen. So langsam mache ich mir Sorgen. ,,Ja…ich…alles gut“, sagt sie ausweichend. ,,Du weißt, dass du es mir sagen kannst, wenn etwas nicht okay ist?“ ,,Ja, klar.“ Jade zwingt sich zu einem Grinsen. In diesem Moment wird unser Flug aufgerufen. Sofort verschwindet das Grinsen aus ihrem Gesicht. Ich sehe, wie sie bleich wird. ,,Ich habe extreme Höhenangst und damit auch Flugangst“, flüstert sie. ,,Oh.“ Ich stehe auf und ziehe sie hoch. ,,Ich weiß, das hat man dir bestimmt schon mehrmals gesagt, aber es wird alles gut gehen....Oh man, das klingt richtig dumm.“ Dadurch bringe ich Jade zum Lachen. Aber nur ganz kurz. Dann wird sie wieder ernst. ,,Trotzdem Danke. Ich weiß selbst nicht, was ich noch machen soll. Kannst du…. Kannst du einfach bei mir sein?“, fragt sie zögerlich. Erst jetzt fällt mir auf, dass sie meine Hand, seit ich ihr hochgeholfen habe, nicht mehr losgelassen hat. ,,Natürlich. Wenn dir das hilft, dann auf jeden Fall“, sage ich und wir folgen den anderen, die sich auf dem Weg zu unserer Maschine machen. Hanna kommt zu uns. ,,Geht’s bei ihr?“, erkundigt sie sich bei mir. ,,Ich denk schon, aber ich erlebe sie jetzt ja zu ersten Mal so.“ Hanna mustert ihre beste Freundin einmal kurz. ,,Sie macht einem guten Eindruck. Du scheinst ihr Sicherheit zu geben. Bei mir war sie im letzten Jahr viel aufgelöster“, meint sie dann. ,,Okay. Aber kann man ihr nicht irgendwie helfen?“, flüstere ich. Ich will nicht unbedingt, dass Jade, die immer noch an meiner Hand läuft, das Gespräch mithört. ,,Nicht wirklich. Einfach für sie da sein.“ Wir betreten das Flugzeug und ich schaue auf unsere Tickets. Ich sitze am Fenster, Jade in der Mitte und Hanna am Gang. Ich hoffe, dass wird es für Jade am angenehmsten machen. Wir verstauen unser Handgepäck und setzen uns dann. Hanna holt sich ein Buch hervor. Ich nehme mir nur mein Handy und meine Kopfhörer. ,,Wollen wir zusammen Musik hören?“, frage ich Jade. Sie nickt. Wenige Minuten später heben wir ab. Jade klammert sich an mich, während wir den ruhigen Klängen von Ed Sheeran’s Afterglow hören. Ich habe ein Fable für diese alte Musik. Ich nehme Jades Hand und drücke sie ganz fest. Sie lächelt dankbar und platziert dann ihren Kopf auf meiner Brust.

Irgendwann wache ich auf. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Aber ganz so viel Zeit wird nicht vergangen sein. Unser Flug dauert schließlich knapp drei Stunden und wir schweben immer noch ziemlich hoch. Jade liegt immer noch genauso auf mir drauf, wie vorhin auch schon. Eins sein von Wilhelmine ertönt in meinem Ohr. Ich kann mir das Grinsen nur mühsam unterdrücken. ,,Na? Wieder wach?“, fragt Ida von der Reihe vor mir und dreht sich um. ,,Jap, siehst du ja.“ ,,Ihr saht süß aus“, meint sie augenzwinkernd. Ich verdrehe nur die Augen. Soll sie doch reden. Ida dreht sich wieder nach vorne und ich konzentriere mich auf meine Musik. Letztendlich kommt nur wenige Minuten später die Durchsage, dass wir uns der Landung nähern. Vorsichtig wecke ich Jade. ,,Sind wir da?“, fragt sie verschlafen. Dann realisiert sie, wie sie gerade da liegt und richtet sich in Windeseile auf. Ich merke den kleinen Stich. ,,So quasi.“ ,,Alles okay bei dir?“, erkundigt sich Hanna von der anderen Seite. ,,Ja, tatsächlich. Ich weiß auch nicht. Es scheint so, als würde ich mich langsam daran gewöhnen“, meint Jade. Ich sehe wie Hanna nickt und wende meinen Blick ab. Draußen kommen wir der Erde näher und ich sehe das blaue Meer und die spanische Küste unter uns. Dann setzen wir auf dem Boden auf. Ich drücke Jades Hand. Vor wenigen Sekunden hat sie diese genommen. Es geht alles ganz schnell. Wir steigen aus, werden in einem Shuttle ins Gebäude gefahren und bekommen dann unser Gepäck. Schon sitzen wir im Bus nach Marbella. Ich schalte den Flugmodus meines Handys aus und schreibe Jule, dass alles gut gegangen ist. Sie wird es dann schon an Lou weiterleiten. Ich will mein Handy gerade ausmachen, da sehe ich eine Nachricht von Ida. Stirnrunzelnd öffne ich unseren Chat. Sie hat Jade und mich, als wir vorhin geschlafen haben, fotografiert und mir jetzt das Bild geschickt. Ganz toll.

Eine gute Stunde später erreichen wir unser Hotel. Leonie hält noch eine kleine Ansprache mit den wichtigsten Infos. Dann bekommen wir die Zimmeraufteilung und dürfen uns etwas einrichten. Ich teile mir mit Emy ein Zimmer. Irgendwie bin ich ziemlich erleichtert darüber. Mit Emy ist es unkompliziert. Ich muss mich nicht irgendwie verstellen, Emy kennt meine Abläufe und wir verstehen uns sowieso blendend. Ich hätte auch mit einer anderen auf ein Zimmer kommen können, mit der ich mich erst neu arrangieren müsste. Nicht, dass das schlimm gewesen wäre, sie sind ja alle extrem nett, aber in einem neuen Umfeld mit einer sehr bekannten Person sich ein Zimmer zu teilen, ist trotzdem angenehmer. Links und rechts von uns haben Xenia und Ida, und Jade und Hanna ihre Zimmer. Irgendwie lustig, dass wir unsere Zimmer nebeneinander haben. Den Nachmittag verbringen wir am Strand mit kleinen Spielchen, die auch immer einen Fußball beinhalten. Wir sollen uns nach dem Flug erstmal etwas bewegen, bevor es dann richtig losgeht mit dem Training. Die zehn Tage werden aus harter Arbeit bestehen. Das wurde uns unmissverständlich klar gemacht.

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