12 | Testspiel

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Lou POV

Welcher Mensch hat es sich ausgedacht, das Trainingslager nach Marbella zu legen und dort ein Testspiel gegen Stuttgart zu machen? Natürlich war ich maßgeblich an dieser Entscheidung beteiligt. Als Cheftrainerin habe ich ein großes Mitspracherecht wo trainiert und gegen wen getestet wird. Doch jetzt könnte ich mich für diese Entscheidung ohrfeigen. Was zur Hölle habe ich mir dabei gedacht? Natürlich wusste ich zu dem Zeitpunkt, als wir das festgelegt haben, dass Svea zum VfB wechseln wird, aber irgendein Denkfehler muss sich da eingeschlichen haben. Jetzt gibt es kein zurück mehr. Wir sind in Marbella, genau wie Svea und in zwei Tagen spielen wir gegeneinander. Gut, ich selbst spiele nicht, aber mein Team. Mein Team, das ich in der kurzen Zeit schon sehr liebgewonnen habe. Es gibt noch einiges zu tun, aber ich liebe es die Fortschritte zu sehen. Vor allem weil ich es immer mehr meinen Verdienst nennen kann. Es macht mich schon stolz, was mein Trainerteam und ich zusammen mit den Spielerinnen geleistet haben. Und jetzt im Trainingslager geht es weiter. Wir sind erst gestern angekommen, so dass das Testspiel ziemlich früh in unseren zehn Tagen liegt. Bei Svea hingegen ist es dann der letzte Tag vor der Abreise. Irgendwie bin ich froh darüber. Zu wissen, dass sie auch hier ist, gibt mir irgendwie kein gutes Gefühl. Wir haben nur sporadisch Kontakt. Ich weiß, dass sie viel mit Jule schreibt, aber mich erreichen kaum Nachrichten von ihr. Einerseits macht es mich etwas traurig, aber eigentlich kann ich es ihr nicht verübeln. Ich hätte es wahrscheinlich nicht anders gemacht. Der Preis als Mutter des Jahres geht definitiv nicht an mich. Trotzdem hoffe ich, dass Svea und ich uns nach dem Spiel wenigstens kurz sehen können. Ich will mit ihr sprechen, wissen wie es ihr ergeht. Ihre Instagram Stories zu verfolgen und von Jule übermittelt zu bekommen, was sie so schreibt, reicht mir langsam nicht mehr. Ich möchte einfach kurz mit ihr reden und ihr vor allem zeigen, dass es mir wirklich wichtig ist, wie es ihr geht. Das mache ich leider einfach zu wenig.


Als ich am Morgen des Testspiels aufwache, spüre ich schon etwas Nervosität. Es ist mein erstes Spiel als Cheftrainerin. Das ist schon etwas besonderes. Natürlich ist es kein offizielles Spiel, aber trotzdem stehe ich zum ersten Mal als Chefin am Seitenrand. Und gleichzeitig werde ich gleichzeitig Svea in ihrem ersten Spiel für den VfB beobachten. Irgendwie ziemlich viel gleichzeitig. Beim Frühstück erhalte ich eine Nachricht von Jule.

Jule: Guten Morgen Schatz! Ich wünsche dir ganz viel Erfolg heute für dein erstes Spiel als Cheftrainerin. Du wirst großartig sein. Und es wär glaub gut, wenn du dich nach dem Spiel noch kurz mit Svea triffst, aber das hast du ja, soweit ich weiß, selbst auch vor :*

Das gibt mir kein gutes Gefühl. Hat Svea Jule gegenüber angedeutet, dass sie mit mir reden möchte? Ich will mir vor so einem Spiel keine Sorgen machen müssen, aber ich kann es nicht zurückdrängen. Schlagartig kommen Gedanken an meine Anfangszeit bei Wolfsburg hoch. Die ersten Wochen ging es mir wirklich gar nicht gut. Ich hatte kaum Anschluss und war mit dem Trainingspensum völlig überfordert. Was ist wenn es Svea genauso geht? Ich will nicht, dass sich Teile meiner Geschichte bei ihr wiederholen. Doch daran darf ich jetzt nicht denken. Nach dem Frühstück treffen wir uns in unserem Aufenthaltsraum für unsere Spieltagsbesprechung. Ich versuche so souverän wie möglich zu sein und all meine anderen Gedanken beiseite zu schieben. ,,Alles okay?“, fragt Eva, als wir uns dann auf einen kleinen Spaziergang zur Aktivierung begeben. ,,Ja, ich bin nur etwas nervös“, entgegne ich. Ich kann jetzt nicht wirklich mit meinen eigentlichen Gedanken rausrücken. Das hat jetzt doch eigentlich nichts mit dem Spiel zu tun. Darauf muss mein Fokus liegen. Der Trainerjob ist wirklich eine ziemliche Herausforderung. Kann ich das wirklich schaffen? ,,Ein bisschen Nervosität ist nichts schlechtes. Aber wir bekommen das alles hin“, meint Eva. Ich nicke. Nervosität, wie es Svea jetzt wohl gehen mag? ,,Mach dich frei von deinen Gedanken. Richte deine Konzentration aufs Spiel. Früher konntest du das so gut, also schaffst du das jetzt auch wieder.“ Sie hat Recht. Irgendwann war ich ein Profi darin im richtigen Moment alles auszublenden und mich mit aufs Spiel zu fokussieren.

Sobald wir das Stadion erreichen, tritt genau das ein. Wir besichtigen kurz den Platz, dann ziehen sich die Mädels um. Nach dem Aufwärmen finden wir uns wieder zusammen in der Kabine wieder. ,,Also Mädels, jetzt ist es soweit. Das erste Spiel für uns steht an. Für mich ist es mein erstes Spiel als Cheftrainerin, für viele von euch das erste als Wölfin und für uns alle das erste der Saison. Es wird nicht alles perfekt laufen. Aber wir wissen alle, dass wir heute vor allem spielen, um zu lernen. Stuttgart ist ein Topgegner und daran werden wir uns jetzt messen und eine erste Standortbestimmung machen. Es ist nicht wichtig, was am Ende als Ergebnis dasteht. Es zählt, wie ihr spielt. Gebt euer Bestes und der Rest kommt dann in der nächsten Zeit. Ein Anfang muss gemacht werden und deswegen gehen wir jetzt raus und zeigen, was wir als neugefundene Truppe drauf haben!“ Ich atme einmal kurz durch. Das war meine erste Ansage vor einem Spiel. Eva hebt den Daumen. Wir klatschen uns alle nochmal ab und dann geht es raus auf den Rasen. Natürlich bin ich mir der gegenüberstehenden Startelf bewusst und weiß so, dass Svea erstmal auf der Bank sitzt. Wir starten gut ins Spiel. Stuttgart spielt gut und aggressiv, aber wir können dagegenhalten. Mit der Zeit kommen wir immer mehr zu eigenen Torschüssen. Doch die Effektivität lässt noch zu wünschen übrig. Da werden definitiv dran arbeiten müssen. Wieder gibt es eine Ecke für uns, aus der nichts wird. Stattdessen gelangt Stuttgart in Ballbesitz und startet den Konter. ,,Zurück!“, brülle ich. Aber es bringt nichts. Während sich meine Mädels kaum sortieren können, sprintet Emy auf unser Tor zu und versenkt den Ball im Netz. Ein kleiner Rückschlag so kurz vor der Pause.

Aber das macht uns nichts. Denn in der zweiten Hälfte können wir nach nur drei Minuten ausgleichen. Jetzt ist es wieder das Spiel auf Augenhöhe. Ich merke den Stolz aufkommen. Als Cheftrainerin ist das nochmal ein ganz anderes Gefühl. Ich bin drin im Spiel, gebe Anweisungen und fiebere nochmal mehr mit. Es zählt nur das Spiel. Bis in der 70. Minute Svea eingewechselt wird. Sofort überkommt mich Nervosität. Ich will einfach nur, dass sie einem guten Einstand hat. Während ich mein Team weiter pushe, beobachte ich auch Svea die ganze Zeit. Sie kommt überhaupt nicht gut in ihr Spiel. Stuttgart hat mittlerweile die Kontrolle über das Spiel, doch Svea kann sich nicht einfügen. Generell hat sie wenig Ballkontakte und wenn sie dann Mal am Ball ist, gelingt es ihr selten etwas gutes damit zu machen. Dann gibt es einen Konter für meine Mädels. Svea versucht dagegen zu arbeiten, doch scheitert. Erst deren Torhüterin kann die Situation klären. ,,Svea wach auf“, brüllt Leonie über den Platz. Ich sehe Sveas zaghaftes Nicken. Es ist gar nicht ihr Spiel. Was immer geschieht, es gelingt ihr nicht. Es sind noch fünf Minuten zu spielen. Stuttgart startet einen neuen Angriff. Svea ist mitgelaufen. Völlig frei steht sie mitten im Strafraum und bekommt den Ball zugespielt. Ihr Schuss geht zwei Zentimeter am Pfosten vorbei. Unsere Torhüterin wäre machtlos gewesen. Svea geht in die Knie. Ich sehe, wie Ida etwas zu ihr sagt, aber sie schüttelt den Kopf. ,,Nimm sie raus“, höre ich dann Melly auf der Trainerbank zu Leonie sagen. Ich weiß, dass es richtig ist. Doch ihr enttäuschter und frustrierter Blick bricht mir das Herz. Am liebsten würde ich zu ihr gehen, aber das kann ich natürlich nicht. Die letzten Minuten laufen und Stuttgart macht dann doch noch das 2:1. Letztendlich ist es nicht relevant. Es ist nur ein Testspiel und ich kann wirklich sehr stolz auf mein Team sein. Nach der genauen Analyse können wir dann noch gezielter an unserem System arbeiten. Ich klatsche alle ab und sage dann im Kreis ein paar Worte. Ich merke, dass die Mädels unzufrieden mit dem Ergebnis sind, doch wir können zufrieden sein.

Ich entferne mich von den anderen und gehe in Richtung Stuttgarter Hälfte. Svea sitzt mit Jade auf der Bank. Ich erkenne Tränen in ihren Augen. Bei Jades Anblick zieht sich etwas in mir zusammen. Warum sind die beiden so vertraut miteinander? Als Svea mich erblickt, bedeutet sie Jade auf der Bank zu warten und wischt sich einmal über die Augen. Dann kommt sie auf mich zu. Ich nehme sie in den Arm. Sie ist total fertig. ,,Hey“, sage ich. ,,Hi“, erwidert sie. ,,Wie war das Trainingslager?“, frage ich, um das Spiel nicht direkt anzusprechen. ,,Bis auf heute wirklich gut.“ ,,Das ist doch Mal etwas. Und lass dich von dem Spiel nicht zu sehr runterziehen. Jede hat Mal einen schlechten Tag.“ ,,Hm, es war einfach schlecht. Aber das kann ich jetzt auch nicht mehr ändern“, meint sie. Sie blockt ab. Natürlich. Ich weiß, dass ihr das mehr zusetzt, als sie mir gegenüber gerade zugibt. Aber ich kann sie nicht dazu drängen. Dafür habe ich zu viele Fehler gemacht. ,,Ich sollte wieder rüber gehen“, sagt Svea. ,,Klar. Wir sehen uns und du weißt ja, dass du dich immer melden kannst, wenn etwas ist.“ Svea nickt und wendet sich dann ab. Während sie zurück zu Jade läuft, merke ich, dass ich meine Tochter mehr und mehr verliere.

Flowers grow back Where stories live. Discover now