19 | Stille

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Jade spricht den ganzen Abend kein Wort mehr mit mir. Generell hat kaum noch jemand mit mir gesprochen. Ob sie alle sauer auf mich waren oder ob sie nicht wussten, was sie sagen sollen weiß ich nicht. Vielleicht ist es auch besser so. Jade ist allerdings definitiv sauer auf mich. Ich kann sie verstehen. Wir haben zwar nie definiert, was das zwischen uns ist, aber trotzdem hatte sie wahrscheinlich geplant mich ihren Eltern vorzustellen. Es tat weh sie verletzt zu sehen. Und es tat weh sie glücklich mit ihren Eltern zu sehen. Sie kann nichts dafür, dass ich Probleme mit Mom hat, aber es hat mich natürlich an meine Situation erinnert. Alles erinnert mich an Lou. Seit der Nachricht verfolgt sie mich. Ich komme nicht von ihr los. In der Nacht tue ich schon wieder kaum ein Auge zu. Stattdessen liege ich da und starre an die Decke. Emy im anderen Bett schläft wie ein Stein. Zumindest kommt es mir so vor. Wie auch letzte Nacht greife ich irgendwann zu meinem Handy. Es ist kurz vor vier. Bisher habe ich noch keinerlei Nachricht gelesen, sondern alles ignoriert. Ich atme kurz auf, als ich sehe, dass Lou mir nichts geschrieben hat. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Stattdessen hat Jule geschrieben. Mit einem etwas schlechten Gewissen ihr nicht früher geantwortet zu haben, öffne ich die Nachricht.

Mama: Hoffe, bei dir ist alles okay. Wenn du etwas brauchst, dann melde dich bitte. Du weißt, ich bin immer da für dich <3

Ich schaffe es eine Antwort zu formulieren, die allerdings exakt nichts aussagt, bevor sich meine Augen mit Tränen füllen. Noch habe ich keine einzige vergossen, aber jetzt brechen die Schleusen. Lautlos strömen Tränen über meine Wangen, während ich wieder dazu übergegangen bin, die Decke anzustarren. Warum muss bei besonderen Spielen immer alles schief gehen? Und warum hat es immer mit Lou zu tun? Beim Testspiel stand sie bei ihrer Mannschaft an der Seitenlinie und ich habe versagt. Jetzt hat sie mir kurz vorher geschrieben und ich habe versagt. Was soll das? Warum muss es so kompliziert zwischen uns sein? Früher war alles so einfach und auch die letzten Wochen waren vergleichsweise leicht.

Um sechs halte ich es nicht mehr im Bett aus. Ich ziehe mir meine Jogginghose und einen Pulli über und gehe dann auf den kleinen Balkon unseres Zimmers. Dort setze ich mich auf den Boden und lehne mich gegen das Geländer. Die Stangen bohren sich unsanft in meinen Rücken, aber es ist mir egal. Nachher fliegen wir zurück. Dann haben wir unsere Regenerationseinheit. Am Freitag haben wir frei, am Samstag Abschlusstraining und am Sonntag spielen wir gegen Bayern München. Auch das wird ein richtige schweres Spiel werden. Aber nach meiner Leistung gestern brauche ich mir ja gar keine Gedanken mehr um einen Platz in der Startelf machen. Das kann ich jetzt abhaken. Ich habe es selbst versaut. Die ganze Arbeit der letzten Woche ist dahin.
All zu lange bleibe ich nicht draußen. Ich will wieder im Zimmer sein, wenn Emy aufwacht. Sonst gibt es Fragen und die kann ich nicht gebrauchen. Also gehe ich wieder rein und gehe ins Bad. Ich merke, wie ich mir eine Fassade aufbaue. Ich will nicht zeigen, dass es mir schlecht geht. Ich will einfach normal sein und den anderen keinen Grund geben mich öffnen zu müssen. Ich weiß, dass ich sowas nie lange standhalte, aber vielleicht funktioniert es ja jetzt.

Der Rückflug verläuft uninteressant. Jade setzt sich mit Hanna woanders hin, so dass ich neben Xenia sitze, die mich aber in Ruhe lässt. Ich bin ihr dankbar dafür und höre einfach Musik. Zwar machen es die meisten Lieder nicht besser, da ich entweder an Jade oder an meine desaströse Leistung gestern denken muss, aber ich muss mit niemandem reden.


Lou POV

Natürlich antwortet Svea mir nicht. Ich hätte es wissen müssen.

Die Länderspielpause verlief ganz anders als geplant. Da wir mit drei Siegen aus drei Spielen auf Platz zwei der Tabelle liegen, rücke ich als neue Trainerin jetzt in den Fokus der Medien. So hatte ich einen wundervollen Termin mit SkySport. Eigentlich war es nicht schlimm, aber ich habe vergessen, wie anstrengend es sein kann. Und dann kamen die Gedanken an Svea gepaart mit einem Anflug von Erinnerungen an all das, was mir vor Jahren passiert ist. Ich weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis sie für die Nationalmannschaft nominiert wird. Dann schlugen die Schutzmechanismen Alarm. Ich will sie schützen. Aber dafür müsste ich mit mir reden und so habe ich die Nachricht abgeschickt und nach einem Treffen gefragt. Nur, dass es dazu wohl nicht kommen wird. Und das mit der Nationalmannschaft vielleicht auch eher nicht, denn ihre Leistung im Champions League Spiel war nicht wirklich gut. Sie tut mir Leid. Und gleichzeitig spielen sich in meinem Kopf Szenen ab, von denen ich dachte, ich hätte sie hinter mir gelassen. Szenen aus Spielen, bei denen ich nicht gut war. Szenen aus Spielen, die ich gespielt habe, obwohl es mir nicht gut ging. Ich konnte Svea auch im TV ansehen, dass es ihr schlecht ging. Ich bin immer noch ihre Mutter. Doch trotzdem schreibe ich ihr nicht nochmal. Ich weiß, dass ich es nur schlimmer machen werde. Es macht mich traurig, das zu wissen. Und gleichzeitig bin ich froh von weiteren Erinnerungen bewahrt zu werden, die dadurch aufkommen könnten. Es ist gerade schon schlimm genug.

Denn wie auch Svea haben wir diese Woche unser erstes Gruppenspiel in der Champions League, nur einen Tag später. Auch wir spielen in London, allerdings gegen Arsenal. Ich komme also zurück. Zurück an den Ort, der mir noch mehr Leid zugefügt hat. Zurück an den Ort, an den ich eigentlich nie wieder hin wollte. Dieses eine Jahr bei Arsenal habe ich nie vergessen. Ich hatte damit abgeschlossen, aber jetzt kommt alles wieder hoch. Es war eine dumme Idee, Trainerin zu werden. Okay Stopp, ich darf wirklich nicht alles hinterfragen. Trotzdem ist es hart am Spieltag aufzustehen. Ich sehe nicht nur das Stadion wieder, in dem ich mir das Kreuzband gerissen habe. Ich sehe auch Leah Williamson wieder. Zumindest gehe ich fest davon aus, dass sie da sein wird. Warum sollte sie es nicht sein? Arsenal ist ihr Verein und ihre Frau ist Cheftrainerin. Ich werde sie zwangsweise sehen und das nach allem, was geschehen ist. Ereignisse, die ich nicht vergessen kann. Die mich in meine Träume verfolgt haben. Dabei war es eigentlich nicht Mal etwas schlimmes. Es war nur schlimm, wenn man es so sieht wie ich. ,,It’s me, hi. I’m the problem, it’s me“ wie Taylor Swift so schön singt. Sehen wir es positiv. Vielleicht kann ich ja heute beim Spiel doch noch damit abschließen.

Tatsächlich bin ich überraschend gelassen, als wir zum Stadion fahren. Mit der Zeit bin ich wirklich gut darin geworden Probleme zu überspielen. Jetzt geht es sowieso ums Spiel und ums Gewinnen. Das kann dann doch Mal einen Schalter bei mir umlegen. Zumal ich mich sowieso beweisen muss. Nach den Erfolgen in der Liga liegt der Fokus jetzt natürlich auf mir und meinem ersten Champions League Spiel als Cheftrainerin. Doch dieses läuft nur bedingt gut. Nach einer tollen ersten Halbzeit, in der einzig und allein ein Tor fehlt, verlieren wir in der zweiten Hälfte den Faden. Arsenal schießt zwei Tore und gewinnt das Spiel. Als Co-Trainerin fühlt es sich schon nicht gut an zu verlieren, aber als Cheftrainerin ist es ein ganz schlechtes Gefühl. Wahrscheinlich hätte ich cleverer Wechseln müssen. Aber das werden wir schon noch analysieren. Und es gibt ja noch das Rückspiel und die anderen Gruppenspiele. Natürlich ist noch alles offen.
Ich will gerade das Stadion verlassen, da höre ich, wie mein Name gerufen wird. Eigentlich will ich es ignorieren. Ich hatte noch zwei Interviews, mit denen ich beiden nicht glücklich bin, und will eigentlich nur noch ins Hotel. Aber dann drehe ich mich doch um. Leah Williamson winkt mir zu. Seufzend gehe ich zu ihr. Das hat mir gerade noch gefehlt. ,,Hi“, meint sie und macht Anstalten mich zu umarmen, aber ich blocke ab. ,,Hey.“ Stille. ,,Wie geht’s dir?“, fragt Leah schließlich. ,,Wie es einem nach einer Niederlage eben geht. Das kennst du ja von Jordan.“ Ich will dieses Gespräch so schnell wie möglich hinter mir haben. ,,Hm ja. Deine Mädels waren trotzdem echt gut. Schön, dich Mal wieder hier zu sehen.“ ,,Mhm, ja. Wir sehen uns wohl zum Rückspiel wieder. Bis dann“, sage ich und gehe wirklich rein. Und bitte lass es nur zum Rückspiel sein und nicht auch noch durch unsere Töchter. Ganz bestimmt hat sie Jade gestern gesehen und vielleicht sogar Svea kennengelernt. Warum sollte sie mich sonst ansprechen?

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