9 | Wasser

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Lou POV

Zurück in Wolfsburg geht es für mich los mit den ersten Besprechungen. Wir haben einen kleinen Umbruch im Kader und müssen so den Trainingsaufbau geschickt steuern. So treffen wir uns schon eine Woche bevor das Training überhaupt losgeht. Ich bin froh darüber, denn so habe ich nicht so viel Zeit mir Gedanken über das Wohl meiner Tochter zu machen. Ohne Svea kommt mir das Haus irgendwie leer vor. Ich vermisse sie extrem. Und der Fakt, dass wir beide wissen, dass es so besser für uns ist, macht es noch schlimmer. Es ist schwer zu akzeptieren, dass ihr nun die große Fußballwelt offensteht und sie selbst ihren Weg geht. Natürlich ist es genau das, was die heranwachsenden jungen Erwachsenen machen sollen, aber ich kann es noch nicht. Immerhin kann ich mich jetzt in meine Arbeit stürzen. Julius hat noch Ferien und Jule genauso. Wobei ja bei Lehrkräften eher von unterrichtsfreier Zeit gesprochen wird. Gerade jetzt wenn sich die Ferien dem Ende neigen, gibt es auch für sie wieder einiges zu tun.

Nach einem weiteren Tag vollgepackt mit Terminen im Verein finde ich mich nachmittags am Allersee wieder. Dort treffe ich mich mit Feli. ,,Na kleine Schwester?“, begrüßt sie mich und zieht mich in eine Umarmung. ,,Hey“, erwidere ich nur. Auch Sunny und Felis Hündin Schoki begrüßen sich freudig. Wir schlagen unsere übliche Runde ein. Diese sind wir schon etlichen vor Jahren immer wieder gelaufen. Es tut gut Feli wieder zu sehen. Auch wenn wir nach wie vor in der gleichen Stadt wohnen, sehen wir uns nicht mehr so häufig wie wir gerne würden. Früher haben wir jeden Tag gemeinsam verbracht. Wir haben Ewigkeiten lang zusammen bei Wolfsburg gespielt und auch ziemlich lange in einer WG mit ihrer jetzigen Frau Pia gewohnt. Als sich damals so langsam eins zum anderen gefunden hat und ich von meinem Jahr bei Arsenal zurückgekehrt bin, haben Jule und ich beschlossen in eine eigene Wohnung zu ziehen. Ich bin froh, dass auch Feli in Pia ihre Person gefunden hatte. Eigentlich kannten sich die beiden schon ewig und haben ja auch zusammen gewohnt, aber bis es Klick gemacht hat, hat es dennoch Jahre gebraucht. Ich habe es immer wieder Mal vermutet gehabt, aber etwas gesagt, da ich selbst so etwas gehasst habe. Irgendwann war es dann offiziell. Sie passen auch einfach zusammen. Das war mir sowieso von Anfang an klar. Und jetzt wohnen sie immer noch zusammen in der Wohnung, in der sie vor 31 Jahren zusammengezogen sind. Jule und ich haben da andere Erfahrungen gemacht. Aber genau das ist ja das schöne.

,,Wie geht’s Svea?“, fragt Feli. Mittlerweile sind wir schon eine ganze Weile gelaufen und haben immer etwas um dieses Thema herum geredet. Ich wusste, dass es kommen würde. ,,Soweit so gut. Der Trainingsauftakt soll wohl ziemlich erfolgreich verlaufen sein“, antworte ich. Sie hatte mir vor zwei Tagen geschrieben und davon berichtet. ,,Top. Melly hat schon begeistert von ihr erzählt.“ ,,Warum erzählt Melly das dir, als Sveas Tante, und nicht mir, als ihre Mutter?“, frage ich empört. ,,Weil ich gestern sowieso mit ihr telefoniert habe.“ ,,Was hat sie sonst noch so gesagt?“, hake ich nach. Jetzt will ich es schon wissen. ,,Sie hat von ihrem Talent und ihren Qualitäten geschwärmt. Ist ja nicht so, dass sie Svea schon öfter hat spielen sehen. Und sie meinte, dass sie sich in ihrer WG gut eingelebt hat und auch mit Jade sehr gut auskommt. Einzig ihr Selbstbewusstsein macht ihr noch etwas Sorgen. Svea hat wohl in den ersten Tagen etwas unsicher gewirkt“, berichtet Feli. Ich merke, wie ich angefangen habe auf meiner Lippe herum zu kauen. ,,Okay“, sage ich gedehnt. Das sind viele Informationen auf einmal. Und irgendwie bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich es wirklich wissen wollte. ,,Was hat sie denn mit Jade?“, rufe ich schließlich aus. Diese Person nervt mich schon die ganze Zeit. ,,Gib ihr doch eine Chance. Sie muss doch nicht unbedingt Verhaltensweisen wie ihre Mutter aufweisen.“ ,,Trotzdem. Es ist nun Mal ihre Tochter.“ ,,Ja, aber nur weil sie zusammen wohnen, muss es ja nicht gleich sonst was bedeuten. Lass sie doch Freundinnen sein. Es ist wichtig, dass Svea schnell Anschluss findet, auch wenn sie immer noch Emy hat. Außerdem kennst du Jade gar nicht“, meint Feli. ,,Ja schon, aber ich trotzdem ein sehr ungutes Gefühl bei ihr. Ich kann meine Erlebnisse aus der Vergangenheit nun Mal nicht rückgängig machen.“ ,,Das sollst du ja auch gar nicht. Ich möchte nur, dass du etwas offener an die Sache rangehst. Ich weiß, es ist schwer, gerade was deine Vergangenheit betrifft, aber auch daraus wirst du lernen.“ ,,Du hast ja Recht“, seufze ich. Ich bin einfach stur. Und eine besorgte Mutter, die nicht will, dass ihre Tochter die gleichen Fehler begeht. ,,Es wird alles gut werden. Mach dir einmal nicht ganz so viele Gedanken“, sagt Feli. Ich nicke. Wir erreichen den Hundestrand und lassen unsere beiden Hündinnen von der Leine. Sofort springen die beiden ins Wasser. Feli und ich ziehen unsere Schuhe und Socken aus und folgen ihnen dann. Es ist ziemlich warm, so dass eine kleine Abkühlung gut tut.

Als wir uns auf den Rückweg begeben, merke ich, wie viel mir dieses Treffen Mal wieder gegeben hat. Ich weiß, dass mir solche Treffen mit Feli extrem helfen. Natürlich bereden wir die wichtigen Themen und beraten uns gegenseitig, aber dann können wir auch einfach Mal komplett abschalten. Die zwei kleinen Hündinnen sind natürlich ein großer Faktor. Diese beiden Tiere lassen mich einfach Mal alles vergessen. Man tollt einfach durchs Wasser, wirft Stöckchen und lässt sich nassspritzen. ,,Danke“, sage ich. ,,Wofür?“ ,,Für diesen schönen Nachmittag.“ ,,Immer wieder Schwesterchen.“

Und dann steht das erste Zusammentreffen mit meiner Mannschaft an. Es wird wie immer sein, Tests zur Leistungsdiagnostik und einige Gespräche, aber trotzdem ist alles anders. Jetzt leite ich das Team. Die Verantwortung liegt nun bei mir. ,,Viel Spaß dir“, wünscht mir Jule noch. Dann verlasse ich das Haus. Wie immer fahre ich mit dem Fahrrad zum Trainingsgelände. Jetzt daran etwas zu verändern, würde mich noch nervöser machen. Aber ich darf nicht nervös sein. Und vor allem darf ich es nicht zeigen. Ich leite die Mannschaft, also muss ich mich auch so verhalten und so auftreten. Da darf keine Nervosität vorhanden sein. Als ich am Trainingsgelände ankomme, sehe ich Eva bei den Fahrrädern warten. ,,Hey“, begrüßt sie mich. ,,Hi.“ Ich schließe mein Rad ab und umarme sie. ,,Wollen wir rein gehen?“, frage ich dann. ,,Klar. Aber ganz kurz noch. Es ist okay, wenn du nicht sofort souverän rein kommst. Die meisten kennen dich schon und die anderen kennen deine Geschichte. Niemand wird dich für irgendetwas verurteilen. Und wir als Trainerteam stehen hinter dir und unterstützen dich. Du kannst das und zeig den Mädels wo es lang gehen soll.“ Ich nicke. Eva hat Recht. Und sie behält Recht. Recht im Sinne von, ich kann das. Es ist wie immer. Man macht sich viel zu viele Gedanken und dann geht es los und es läuft einfach. Ich mache meine erste Ansage und dann geht es an die Leistungsdiagnostik. Währenddessen laufe ich mit meinen Co-Trainerinnen durch den Kraftraum und begrüße die Neuzugänge. Es sind wirklich einige. Und genau deswegen wird es in den nächsten Tagen so wichtig sein, ein gutes Gruppengefüge zu finden. Aber da haben wir schon etwas geplant.

Als ich das Gebäude am späten Nachmittag wieder verlasse, strahle ich. Es macht noch mehr Spaß als ich dachte.

Flowers grow back Where stories live. Discover now