5 | Idole

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Lou POV

Natürlich bin ich stolz auf meine Tochter. Natürlich freue ich mich für sie, wirklich! Aber trotzdem ist da irgendetwas, das mich beunruhigt. Ich hätte sie gerne weiterhin hier in Wolfsburg gehabt. Aber sie ist ein eigenständiger Mensch. Ich kann sie nicht immer ein Auge auf ihr haben und das ist auch gut so. Tief in mir drin, weiß auch ich das. Doch es ist schwer zu akzeptieren. Vor allem, wenn man weiß, dass man selbst diese fürsorgliche Art von Elternteil nicht hatte. Nur kurz nach dem Streit zwischen Svea und mir wurde bekannt gegeben, dass ich den Posten der Cheftrainerin übernehmen würde. Ich bin glücklich mit der Entscheidung. Es ist der nächste Schritt für mich und ich merke, dass es der richtige sein könnte. Vor allem, weil ich auch ein sehr gutes Team um mich herum habe. Selbst Eva ist immer noch Assistenztrainerin und hat mir schon zugesichert unter meiner Führung weitermachen zu wollen. Wir waren schon immer ein gutes Team. Schon als ich noch Spielerin war, haben wir immer gut zusammengearbeitet. Sie war diejenige, der ich mich mit meinen Problemen anvertraut hatte. Dadurch haben wir schnell eine besondere Bindung zueinander aufgebaut. Sie hat immer auch auf das Wohl der Spielerinnen geachtet und mich in einem Spiel, in dem Feli eine Gehirnerschütterung erlitten hatte, zur Pause rausgenommen, weil sie wusste, dass ich nicht mehr konnte. Genau daran habe auch ich mich früh orientiert. Ich werde es ihr wahrscheinlich nie sagen, aber sie war zu Beginn meine Trainerkarriere schon mein Vorbild und ist eigentlich auch immer noch. Ich habe mich immer an ihr orientiert und so haben wir eine noch bessere Freundschaft aufgebaut. Hoffentlich kann in Stuttgart Melly das für Svea werden, was Eva für mich war. Svea ist sehr ähnlich gestrickt wie ich. Sie ist eine sehr sensible und auch ehrgeizige Person. Da wäre eine kleine Stütze manchmal hilfreich. Bisher waren das Jule und ich. Auch Feli und Pia hat sie als ihre Tanten öfter Mal um Rat gefragt. Sie hatte immer das perfekte Umfeld für eine junge Fußballerin und ich weiß, dass sie es toll fand. Sie war immer begeistert von unserem Freundeskreis. Aber jetzt ist es für sie an der Zeit ihren eigenen dieser Art aufzubauen.

Ein letztes Mal geht es für mich zum Gelände des VfL Wolfsburgs. Wir haben es geschafft uns als dritte deutsche Mannschaft für die Champions League zu qualifizieren. Dadurch ist der Druck, es nach einem nicht geschafft Jahr es wieder zu schaffen, nicht mehr da, aber dafür muss das jetzt unter meiner Leitung bestätigt werden. Es ist zwar noch nicht mein offizieller erster Arbeitstag als Cheftrainerin, aber so quasi schon. Mein Vertrag beginnt erst am ersten Juli, aber heute ist schon unser erstes Zusammensitzen als Trainerteam inklusive Sportdirektor. Wir wollen einmal über die anstehende Saison reden. Die grobe Terminierung ist bereits da und am Ende steht nächsten Sommer eine Weltmeisterschaft an, so dass es von Anfang an gilt Belastungen richtig zu steuern. Das verlangt einiges an Organisation und dazu müssen auch andere Dinge noch geklärt werden bevor es in die Sommerpause geht. Es wird eine andere Sommerpause als sonst. Normal waren wir immer zusammen als Familie im Urlaub. Es hat immer perfekt mit Jules Sommerferien von der Schule zusammengepasst und so waren wir immer zusammen weg. Dieses Jahr wird es nicht so. In ein paar Tagen zieht Svea um nach Stuttgart. Da das jetzt alles so spontan passiert ist, haben wir unseren Urlaub spontan umplanen müssen. Zum Glück hatten wir aufgrund der möglichen Wechsel noch nichts gebucht. Jetzt helfen wir erst Svea beim Umzug und verbringen unseren eigentlichen Urlaub dort in der Region. Wirklich begeistert bin ich davon nicht, aber was soll’s. Julius hat sich bereit erklärt mitzukommen. Wir hätten ihn nicht dazu gezwungen, aber wahrscheinlich ist es auch für ihn komisch, dass seine große Schwester auszieht und dann auch noch so weit weg zieht.

Immerhin läuft unser Trainertreffen ziemlich gut. Wir können uns auf einer Ebene begegnen und diskutieren auf einem sehr ähnlichen Nenner. Das macht vieles einfacher. Ich habe wirklich ein tolles Team um mich herum. Zusammen mit Eva verlasse ich das Gebäude. ,,Und, gleiche Sommerplanung wie immer?“, fragt sie mich. ,,Nicht wirklich. Svea zieht ja nach Stuttgart“, antworte ich. ,,Stimmt. Wie geht es dir damit? Du darfst ruhig ehrlich sein.“ ,,Ich weiß es nicht. Irgendwie mache ich mir schon etwas Sorgen, obwohl ich weiß, dass es der richtige Schritt für sie ist. Ich verstehe, dass sie nicht unter mir als Cheftrainerin spielen will, auch wenn ich das schon gerne gehabt hätte. Keine Ahnung, es ist einfach schwierig“, sage ich. ,,Das ist verständlich. Seine Tochter gehen zu lassen, ist nicht einfach. Aber auch hier wäre es für euch nicht einfach geworden“, meint Eva. ,,Ja schon, aber Stuttgart. Ich kann nicht Mal sagen, was mein Problem damit ist. Ja, ich hatte dort nicht die beste Zeit meines Lebens, aber das hatte ja nichts mit der Stadt oder dem Verein zu tun. Ich selbst war ja meistens auch happy mit meiner Zeit beim VfB. Aber trotzdem lässt es mich nicht los.“ ,,Es wird alles gut werden. Gib Svea den Raum, den sie braucht. Ihr schafft das beide“, erwidert Eva.

Svea sitzt auf dem Boden ihres Zimmers und packt. In drei Tagen geht es los mit dem Umzug. Sie wird mit Emy und noch einer weiteren Spielerin in eine WG ziehen. Wer das ist, hat sie mir noch nicht erzählt. Wir reden sowieso nicht allzu viel miteinander. Als ich das Zimmer betrete, hebt sie den Kopf. ,,Darf ich reinkommen?“, frage ich. Sie nickt. Ich schließe die Tür hinter mir, obwohl niemand anderes gerade im Haus ist. ,,Wie geht es dir?“ ,,Gut, aber ich bin auch ziemlich aufgeregt“, antwortet sie. ,,Das glaube ich dir. Mir ging es nicht anders als ich nach Wolfsburg gezogen bin.“ Ich lasse den Blick durch ihr Zimmer schweifen. An den Wänden hängen Bilder von ihr und Emy, aber auch von ihren Lieblingsteams und Vorbildern. ,,Weißt du, mit wem ich damals in Wolfsburg zusammen gezogen bin?“ ,,Natürlich. Die Geschichte hast du schon so oft erzählt. Du durftest mit zwei der besten Spielerinnen zusammen wohnen“, grinst Svea. ,,Vielleicht weil es eine meiner Lieblingsgeschichten ist. Wer kommt denn noch zu dir und Emy in die WG?“, erkundige ich mich. ,,Jade Williamson.“ ,,Okay“, sage ich erstmal nur. Dann schlucke ich. Bloß keine alten Gedanken aufkommen lassen. ,,Sie ist gut oder?“, frage ich schnell. ,,Ja schon. Sie gehört zu den aufstrebenden Innenverteidigerinnen“, meint Svea. ,,Das habe ich auch schon gehört.“ ,,Ich bin echt gespannt wie es wird mit ihr in einer Wohnung zu wohnen. Sie ist zwar schon seit einem Jahr in Deutschland, aber perfekt wird ihr Deutsch bestimmt noch nicht sein. Mein Englisch ist ja eigentlich wirklich nicht schlecht, aber das kann schon eine Umstellung sein“, bemerkt sie. ,,Mach dir da keinen Kopf. Bei Becks ging es auch total schnell mit dem Deutsch lernen. Ich bin mir sicher, dass Jade in dem Jahr schon viel gelernt habt. Ihr werdet euch bestimmt gut verständigen können.“ ,,Ich hoffe es. Aber können wir bitte noch kurz über den Fakt reden, dass ich einfach mit Ida Bergmann zusammen spielen darf?“ Endlich spricht sie es an. Ida Bergmann ist aktuell wohl die beste Fußballerin Deutschlands, wenn nicht sogar Europas. Und sie ist Sveas größtes Idol. Ida spielt wie sie im Mittelfeld, nur dass sie eher im offensiven Mittelfeld spielt und Svea im defensiven Mittelfeld. Doch das ändert nichts an dem Fakt, dass Svea bald mit ihrem großen Vorbild spielt. So wie es bei mir früher mit Feli war. ,,Natürlich können wir darüber reden. Ich muss wirklich ganz ehrlich sagen, dass ich mich so für dich freue, dass du diesen Traum verwirklichen darfst“, sage ich. ,,Danke. Ich werde wahrscheinlich so aufgeregt sein, wenn ich die zum ersten Mal treffe“, lacht Svea. ,,Garantiert. Aber das legt sich mit der Zeit, glaub mir.“ ,,Ich hoffe es. Mom, glaubst du ich kann das schaffen?“, fragt sie plötzlich ganz ernst. ,,Was schaffen? Beim VfB zu spielen? Natürlich Svea. Du bist so eine gute Fußballerin und hast dazu auch noch so viel Talent und Potenzial. Das ist der richtige Schritt für dich, um dich optimal weiter zu entwickeln. Und du weißt, dass ich immer an deiner Seite bin. Auch wenn es schwierig war in den letzten Wochen, ich bin trotzdem immer für dich da“, erwidere ich und nehme sie in den Arm. Manchmal ist es wichtiger, die eigenen Probleme hinten anzustellen.




Kurze Info: Die Generation an Spielerinnen, in die Svea jetzt reinkommt, sprich alle Spielerinnen vom VfB und den weiteren Teams, die vorkommen werden, sind von mir selbst erfunden und existieren nicht im realen Leben :)

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