52 | Pokal

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Svea POV

Am Morgen wache ich tatsächlich erst mit dem Klingeln des Weckers auf. Etwas überraschend, da ich sonst oft schon früher wach bin. Doch irgendwie konnte ich mach meinem Traum deutlich besser schlafen. Doch allein der Gedanke daran, was heute alles schief gehen könnte, lässt mich erschaudern. ,,Guten Morgen. Alles gut?“, fragt Jade und stellt endlich den Wecker aus. ,,Ich denk schon.“ ,,Das war nur ein Traum ja, das definiert dich in keinster Weise. Du wirst großartig spielen nachher, das spüre ich.“ ,,Danke“, flüstere ich und kuschele mich nochmal an sie ran. Zum Glück haben wir noch etwas Zeit dafür. Zusammen mit Emy und Nia, die hier geschlafen hat, frühstücken wir. Wie immer an Spieltagen esse ich ein Müsli mit Joghurt und Obst. Dazu natürlich einen Kaffee. Irgendwo muss die Energie ja her kommen. Wobei ich definitiv nicht unmotiviert bin. Ich bin Fußballerin mit Leib und Seele, natürlich will ich spielen. Ich habe nur vor diesem einen Spiel gehörig Respekt. Wenn wenigstens Jule da wäre. Aber da wir an einem Mittwoch Abend spielen, kann sie leider nicht mit nach Stuttgart fahren. Ich weiß, dass sie sehr gerne dabei gewesen wäre. Schließlich spielen ihre Frau und ihre Tochter und es geht ums DFB-Pokal Finale. Das ist für sie schon ein besonderes Spiel. Und wahrscheinlich auch kein einfaches. Zum Anschauen ist sowas ja meistens noch schlimmer. Zum Glück war ich noch nicht auf der Welt oder dann noch nicht alt genug um zu verstehen, dass meine Mütter gegeneinander spielen und nur eine von ihnen gewinnen kann. Als ich es dann verstanden hätte, war auch Jule wieder beim VfL und dann konnten sie wieder zusammen gewinnen. Wie es wohl gewesen wäre unter Lous Führung zu spielen? Wäre mein Weg dann auch so verlaufen? Wahrscheinlich nicht. Und das ist wohl auch besser so. Schließlich hätte ich Jade sonst nie richtig kennengelernt. Es ist zwar erst März, aber wenn ich so auf die bisherige Saison zurückblicke, ist das schon etwas, auf das ich stolz sein kann. Denn in den Spielen, die nicht erfolgreich liefen, habe ich unglaublich viel gelernt. Jetzt wo ich hier so sitze und eines der aktuell wichtigsten Spiele bestreiten werde, merke ich wie schnell ich die Dinge vor allem aufgenommen habe. Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, wirken sehr schnell. Ich bin zwar erst 19 und noch nicht lange im Profifußball und trotzdem habe ich Erfahrungen gemacht mit denen ich anderen Spielerinnen auf Augenhöhe begegnen kann. Irgendwann wird mir das bestimmt noch helfen.


Zu viert machen wir uns auf den Weg zum Trainingsgelände. Dort findet am Vormittag unsere Aktivierung und letzte Besprechung statt. Heute spielen wir Tischtennis in zweier Teams. Ich spiele mit Ida zusammen. Zwar sind wir nicht sonderlich erfolgreich in unserem Spielen, aber haben dafür eine Menge Spaß, was mich auch etwas ablenkt. Das ist immer gut. Anschließend setzen wir uns im Besprechungsraum zusammen. Die Aufstellung haben wir gestern nach dem Abschlusstraining schon erfahren und jetzt gibt es nochmal die letzten Details und taktischen Ideen. ,,Wenn man sich die letzten Spiele so anschaut, sind wir in der leichten Favoritenrolle. Aber es ist ein Pokalspiel und um die alte Floskel wieder auszupacken: der Pokal hat seine eigenen Gesetze“, beginnt Leonie. Jenny neben mir muss sich das Lachen verkneifen. ,,Dennoch erwarten wir eine eher defensive Haltung von Wolfsburg. Sie haben schon immer ein gutes Umschaltspiel gehabt und werden mit ihren schnellen Stürmerinnen auch wahrscheinlich darauf setzen. Deswegen möchte ich, dass auch wir defensiver stehen. Svea, Ida und Nia, ihr drei sprecht euch bitte gut ab, wer die Wege in die Offensive geht, damit wir immer eine Mittelfeldspielerin zur Absicherung bereit haben, um so Konter unterbinden zu können. Ansonsten gilt es wie in jedem Spiel geduldig zu bleiben und sich Lücken frei zu spielen. Versucht kreativ zu werden, einstudierte Variationen mit Hinterlaufen der Außenverteidigerinnen zu nutzen und den Strafraum gut besetzt zu haben, denn wie wir die es analysiert haben, ist die Torhüterin nicht die sicherste bei hohen Bällen. Deswegen werden wir kurze Ecken vermeiden und die Varianten mit hohen Bällen in den Strafraum nutzen. Wir sind gut vorbereitet, wir spielen zu Hause und haben die Unterstützung der Fans. Zusammen schaffen wir jetzt den nächsten Schritt.“ Es ertönt etwas Applaus und die Besprechung ist beendet. Dennoch bleiben wir noch etwas länger im Raum und unterhalten uns einfach so.

Nachdem wir in der WG Mittag gegessen haben und uns noch etwas ausgeruht haben, fahren wir dann wieder zum Trainingsgelände. Wir spielen um 18:45, sodass wir uns wie immer zwei Stunden vorher treffen. Nachdem wir unsere Sachen in der Kabine abgelegt haben, gehen wir gemeinsam raus auf den Rasen, um uns mit den Bedingungen vertraut zu machen. Auch die Wolfsburgerinnen kommen raus auf den Platz. Wieder auf dem Weg zurück in die Kabine treffe ich in den Katakomben auf Lou. ,,Alles gut?“, fragt sie mich und nimmt mich in den Arm. Irgendwie tut es gut. ,,Ja und bei dir?“ Auch für Mom wird es kein einfaches Spiel. Ich weiß, dass sie mit sich als Trainerin hadert, auch wenn es in den letzten beiden Spielen wieder besser lief. ,,Ja. Viel Erfolg dir.“ ,,Danke. Dir auch viel Erfolg“, erwidere ich. Dann gehe ich in die Kabine, um mich fürs Aufwärmen vorzubereiten. Zum einen war es total schön Lou zu sehen, zum anderen habe ich realisiert, dass es jetzt wirklich ums Spiel geht.


Ich hüpfe noch dreimal hoch und schüttele dann meine Beine aus. Wenige Sekunden später pfeift die Schiedsrichterin an. Es ist erstmal wie erwartet. Wolfsburg überlässt uns die Anfangsphase und wir beginnen so wie es uns gesagt wurde. Wir bauen ruhig auf und versuchen uns Räume zu schaffen. Doch letzteres wird uns verdammt schwer gemacht. Wolfsburg stellt wirklich gut zu und scheint sehr gut auf unser Spielsystem eingestellt zu sein. Sie verschieben gut und geben uns kaum Räume für offensive Vorstöße. So kommen wir auch nicht wirklich zum Flanken, denn bis zum Strafraum ist es ein weiter Weg. ,,Ruhig bleiben. Versucht die Außenverteidigerinnen ins Spiel zu bringen oder spielt den Ball“, ruft Leonie von der Seite. ,,Spielt den Ball“ ist das Code-Wort für einen langen Ball von hinten über die gegnerischen Spielerinnen hinweg zu Emy in der Sturmspitze. Kira probiert dann genau dies, doch er ist zu unpräzise, und eine Wolfsburger Innenverteidigerin kann den Ball zur Ecke klären. Immerhin etwas, denn oft hilft es durch so eine Standardsituation ins Spiel zu kommen. Ich stehe an der Eckfahne und hebe einen Arm, um die Variante anzuzeigen. Dann spiele ich den Ball hoch in Richtung Fünfmeterraum. Er kommt gut, doch unsere Spielerinnen kommen nicht richtig ran. Eine Wolfsburgerin steigt am höchsten und köpft den Ball aus dem Strafraum heraus. Dann geht es ganz schnell. Eine Stürmerin bekommt den Ball und startet in Richtung unseres Strafraums. Auch wenn ich ganz am Ende vom Feld bin, sprinte ich hinterher. Immerhin kann ich so einer weiteren Wolfsburgerin den Laufweg abschneiden. Doch es bringt nichts. Unsere Abwehr ist nicht gut formiert und schon zappelt der Ball in unserem Netz. Ich konnte nichts mehr machen. Es ist ein ordentlicher Rückschlag. Wir machen das Spiel und versuchen uns ein Tor zu erarbeiten und wie aus dem Nichts bekommen wir ein Gegentor. Es ist schon wieder so typisch.

Mit dem Rückstand geht es in die Halbzeitpause. Leonie richtet ein paar deutliche Worte an uns. Wir spielen nicht schlecht. Wir schaffen es nur nicht uns auf das Wolfsburger System einzustellen. Schon geht es wieder raus. Mit neuer Energie starten wir in die zweite Hälfte. Wir müssen absolut alles geben, wenn wir noch gewinnen wollen. Und endlich funktioniert es. Wir haben eine Kleinigkeit umgestellt und das zeigt Wirkung. Plötzlich stehe ich am Rand des Strafraums und spiele den Ball zu Ida, von der ich ihn ein paar Meter weiter vorne wieder bekomme und ihn nur noch ins Tor schieben muss. So einfach kann Fußball sein. Schnell laufen wir zurück auf unsere Positionen. Es ist noch eine halbe Stunde zu spielen und jetzt geht es quasi wieder bei Null los. Wir versuchen alles, doch das Glück ist nicht auf unserer Seite. Die Wolfsburger Torhüterin macht ein echt gutes Spiel und hält quasi alles, was auf ihr Tor kommt. Ich spiele Pässe, die ich noch nie zuvor gespielt habe und trotzdem bringt es nichts. Und dann kurz vor Schluss nach einem Freistoß für Wolfsburg fällt das 1:2. Mehr passiert nicht. Wir haben verloren. Wir sind raus aus dem Pokal.

Ich lasse mich auf den Rasen sinken. Tränen sammeln sich in meinen Augen. Nur wenige Meter weiter jubeln die Wolfsburgerinnen. Sie sind im Finale. Wir nicht. Es hätte so schön werden können, doch wir haben es nicht geschafft. Lou läuft auf den Rasen, doch statt zu ihrer Mannschaft, kommt sie zu mir und kniet sich neben mich. Ich spüre, wie sehr mich das berührt. ,,Ich weiß, du willst das jetzt nicht hören, aber du hast trotzdem richtig gut gespielt“, meint sie. ,,Aber nicht gut genug. Herzlichen Glückwunsch zum Weiterkommen.“ ,,Danke.“ Lou strahlt. Ich merke, wie wichtig dieser Sieg für sie persönlich ist. ,,Aber trotzdem, sieh jetzt bitte nicht alles schlecht. Du hast alles versucht und wirklich eine tolle Leistung gezeigt, sogar euer Tor geschossen. Nur weil ihr verloren habt, hast du nicht schlecht gespielt.“ ,,Mhm… Ich hätte trotzdem noch mehr gegen können“, erwidere ich. ,,Vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Du hast alles getan, was du kannst und manchmal kann man auch einfach nicht mehr tun. Und das ist dann auch in Ordnung. Natürlich tut das jetzt weh. Das kenne ich nur zu gut, aber in ein paar Tagen kannst du dann zumindest auf deine Leistung etwas positiver zurückblicken.“ Lou zieht mich hoch und nimmt mich in den Arm. Vielleicht hat sie ja Recht.

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