4 | Wechsel

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Svea POV

,,Du willst das wirklich machen?“, fragt Jule zum hundertsten Mal. ,,Ja, will ich“, seufze ich. ,,Ich möchte doch nur, dass es das Richtige für dich ist.“ ,,Es ist das Richtige. Das ist ein Angebot, das man nicht ausschlagen darf und Emy kommt ja auch mit. Ich brauche einfach Abstand von Mom“, erkläre ich. Nur einen Tag nachdem Lou und ich uns gestritten haben, habe ich ein Angebot vom VfB Stuttgart bekommen, genauso wie Emy. Nach dem ersten Gespräch anderthalb Wochen später war uns beiden klar, dass es das ist, was wir brauchen. Sportlich sowieso und ich auch privat. Seit dem Streit sind Lou und ich immer wieder aneinander geraten. Unsere Beziehung zueinander hat einen Knacks bekommen und ich brauche den Abstand einfach. Und allein der Fakt in der nächsten Saison für den Champions League Teilnehmer VfB Stuttgart auflaufen zu dürfen, lässt mein Herz höher schlagen. ,,Dann will ich dich nicht aufhalten. Nimm das Angebot an. Es ist eine riesen Chance für dich und du hast das auch völlig verdient“, meint Jule.

Ich habe ihr zuerst davon erzählt. Schon als der Anruf kam, habe ich ihr davon berichtet. Und auch jetzt nach dem Gespräch habe ich mit ihr geredet, um ihr zu sagen, dass ich das machen will. Ich brauche erst ihre Zustimmung bevor ich mich traue Lou davon zu erzählen. Es tat weh dem VfL, meinem VfL, absagen zu müssen, aber manchmal sind die privaten Gründen doch wichtiger und rein sportlich gesehen macht es keinen Unterschied für welchen Verein ich spiele. Und ich freue mich wirklich auf Stuttgart. Bleibt nur noch das Gespräch mit Lou.
,,Mom, ich muss dir noch was sagen“, beginne ich, als ich in die Küche komme, wo sie gerade Karotten für einen Salat schält. Sie hebt den Kopf. ,,Ich habe mich entschieden, wo ich hin wechsle. Ich gehe zum VfB Stuttgart“, sage ich knapp. ,,Zum VfB?!“ Lou dreht sich um. Ich nicke. ,,Ich hätte das nie getan, aber mach wie du meinst. Du siehst ja dann, was du davon hast.“ Ja, ich weiß, dass sie früher in Stuttgart gelebt hat. Und genau deswegen hatte ich noch mehr Angst vor ihrer Reaktion Allerdings weiß ich auch, dass sie die Stadt im guten verlassen hat, zumindest dachte ich das immer. Jule tritt in die Küche und nimmt mich in den Arm. Plötzlich fühle ich mich wieder wie das kleine Mädchen. Bin ich wirklich bereit dafür? Ich bin 18, fast 19 und werde im nächsten Monat ausziehen. Irgendwie geht jetzt doch alles schneller als ich dachte. ,,Alles wird gut“, flüstert sie mir zu. Ob es auf den bevorstehenden Wechsel oder die Situation zwischen mir und Lou bezogen ist, weiß ich nicht.

Jedenfalls ist die Sache beschlossen. Ich gebe Emy Bescheid, dass ich mit ihr zusammen wechseln werde und informiere dann Waldemar Anton, den Sportdirektor des VfB. Wenige Tage später fahren Emy und ich zusammen nach Stuttgart. Jule kann uns zum Glück begleiten. Es ist wahrscheinlich besser so, denn Emy und ich sind wirklich total aufgekratzt. Am Gelände angekommen, werden wir schon von Herrn Anton erwartet. ,,Herzlich Willkommen in Stuttgart!“, begrüßt er uns. Ich lasse meinen Blick schweifen. Das sieht schon alles ziemlich krass aus. Und hier werde ich bald auch trainieren. Gemeinsam beteten wir das Hauptgebäude. Herr Anton führt uns etwas herum. Dann geht es in den Presseraum. Dort liegen schon zwei Trikots für uns bereit. Unsere Nachnamen Rauch und Wagner stehen darauf genauso wie 2053 für die Dauer unserer Verträge. Ich grinse Emy zu. Hier sind wir richtig. Nacheinander unterschreiben wir unsere Verträge und dann werden noch Bilder gemacht. Ich bekomme das Strahlen gar nicht mehr aus meinem Gesicht heraus. Hier stehe ich, Svea Rauch, Tochter von zwei grandiosen Fußballerinnen, und halte meinen ersten Profivertrag in den Händen und das beim deutschen Vizemeister. Es ist so surreal, aber auch so schön! Und noch schöner ist es, dass Jule auch hier ist. Aber ganz tief in mir drin hätte ich auch Lou gerne hier gehabt. Ich verdanke ihr so viel in meinem Leben und das ist auch ihr Verdienst. Doch daran will ich jetzt nicht denken. Jetzt steht die Freude im Vordergrund.

Nach den ganzen Fotos und auch Interviews setzen wir uns nochmal mit Herrn Anton zusammen. Ein paar Dinge müssen dann doch noch geklärt werden. So haben wir beide noch keine Rückennummern. Herr Anton nennt uns die aktuell freien Nummern. ,,Ich würde gerne die 14 nehmen“, sage ich. Diese Nummer hatte ich auch beim VfL. Ich hatte sie gewählt, da 14 die Summe der Quersummen von den Trikotnummern meiner Mütter ist. ,,Ich nehme die 15“, meint Emy grinsend. Was ein Zufall, dass wir beide unsere Nummern behalten können. ,,Wie sieht es denn mit dem Thema Wohnungssuche aus?“, frage ich. ,,Das klärt sich tatsächlich einfacher, als Sie glauben. Jade Williamson, die schon seit einem Jahr hier spielt, hat den Wunsch geäußert in eine WG umzuziehen. Da wollte ich Sie beide fragen, wie Ihr Interesse dazu ist“, erwidert Herr Anton. Ich blicke rüber zu Emy. ,,Ich hätte schon Interesse daran. Auch wenn die Mietpreise mittlerweile wieder bezahlbar sind, würde ich trotzdem gerne in eine WG ziehen“, antwortet sie. ,,Ja, ich hätte auch kein Problem damit.“ Mit Emy hätte ich wahrscheinlich sowieso zusammen gewohnt und eine weitere Mitbewohnerin kann ja nicht schaden. Jade Williamson, der Name sagt mir irgendwas, aber ich komme nicht drauf. ,,Perfekt, dann kümmern wir uns darum und geben Ihnen dann zeitnah Bescheid. Unsere Vorbereitung startet Mitte Juli. Bis dahin wird alles geregelt sein“, meint Herr Anton.

Als wir zurück zum Parkplatz gehen, sehe ich ein sehr bekanntes Gesicht. Melly kommt gerade aus einem der anderen Gebäude. ,,Hey!“, ruft sie und kommt auf uns zu. Melanie Leupolz, eine der besten Freundinnen meiner Mütter und jetzt Assistenztrainerin beim VfB. ,,Ich habe schon von euren Wechsel mitbekommen. Herzlichen Glückwunsch!“, meint uns und nimmt uns in den Arm. ,,Dankeschön!“, sagen Emy und ich gleichzeitig. ,,Was sagt ihr zum Gelände hier?“ ,,Es ist wirklich cool. Die Bedingungen hier sehen echt großartig aus. Ich freu mich schon so aufs Training“, schwärmt Emy. Ich nicke zustimmend. ,,Ich freu mich auch euch zwei trainieren zu dürfen.“ ,,Du müsstest mir doch helfen können. Jade Williamson, wo habe ich diesen Namen schon Mal gehört?“, frage ich Melly. ,,Du meinst außerhalb von den Spielen, die du gesehen hast? Sie ist die Tochter von der englischen Rekordspielerin Leah Williamson. Eure Mütter mussten sehr oft gegeneinander spielen. Wahrscheinlich kommt daher der Zusammenhang“, erklärt sie. ,,Stimmt Leah, da war ja was“, bemerkt Jule und ihr Blick verdunkelt sich etwas. Warum? Ich spreche es nicht aus. Die gute Stimmung muss jetzt wirklich nicht zerstört werden. ,,Ich werde sie ja bald kennenlernen“, sage ich stattdessen. ,,Genau. Sie ist wirklich eine begnadete Innenverteidigerin, wie ihre Mutter. Ihr drei könntet eine echt wichtige Achse für uns werden“, überlegt Melly. Man merkt einfach, dass sie Trainerin ist und es passt so gut zu ihr. Sie gehört zu dem Kreis der ehemaligen Spielerinnen, die ich praktisch seit meiner Geburt kenne. Es wird mir gut tun, dass sie hier Trainerin ist.
Am nächsten Morgen wird dann unser Wechsel bekannt gegeben. So setze auch ich einen Instagrampost dazu ab.

svea_rauch_14: Mein erster Profivertrag! @vfb_frauen, ich freu mich auf die Zeit bei euch!!

@emy.wagner: Let’s gooo!

@jule_brand: Stolz <3

@melanie_leupolz: Man sieht sich!

@lourauch3: Proud!!

@jade.williamson: See you!

Flowers grow back Where stories live. Discover now