[Kapitel 9/Teil 1]

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*Noan POV*

-Mitte des 19 Jahrhunderts-

Mit erhobenem Haupt gesellte ich mich zu meinem Bruder und seiner Gefährtin. Nara sah mich fragend an weshalb ich ihr mit einem zustimmenden Nicken antwortete. Ihre stumme Frage galt dem Wohlbefinden ihrer Schwester. Nara hatte mir vor einiger Zeit gebeichtet, dass sie sich sorgen machte, dass unsere neue Situation ihre Schwester überfordern könnte. Ich hatte mir fest vorgenommen die Verlobung sofort abzusagen, sollte sie sich auch nur ansatzweise unwohl fühlen. Wir hatten dieses Schauspiel für Vega angefangen und würden es wenn es sein muss auch für Vegas Wohlbefinden beenden. 

Ich hatte die Kleine absichtlich nicht gefragt, ob sie sich dem Ganzen sicher war, denn ich wusste nur zu gut, dass es Nara wahrscheinlich schon unzählige Male getan hatte. Ich wollte ihr, durch eine erneute Frage, nicht das Gefühl geben, dass auch ich mir unsicher war. Das war ich ganz und gar nicht. Für Torin würde ich die kleine wenn es sein muss sogar Heiraten. Zwar würde ich auch dann an meinen Regeln festhalten, doch würde ich den Schein weiterhin aufrecht erhalten. 

Vega war mit ihren dunkelbraunen glatten Haaren, ihren vollen Lippen und ihrer kleinen Stupsnase keineswegs hässlich. Ich könnte nicht einmal sagen, dass sie nicht meinem Schönheitssinn entsprach. Vega war einfach nur nicht meine Gefährtin und auch wenn ich es nach außen hin abstreiten würde war ich in der Sicht vielleicht ein wenig zu romantisch veranlagt. Das war auch eines der Gründe, warum ich es ihr heute noch einmal ausdrücklich gesagt hatte, dass ich mich an unsere Regeln halten würde. 

Immer wieder sah ich zu dem Eingang des Tempels um Vegas eintreten rechtzeitig sehen zu können. Ich wollte verhindern, dass sie alleine durch das unangenehme Starren der Männer gehen musste.

Nur mein Bruder, ich und die beiden Schwestern wussten von unserer anstehenden Bekanntgabe bescheid. Kale hatte zwar von unserer anstehenden Verlobung gehört, doch war ich mir sicher, dass er nicht wusste wann wir es bekannt geben wollten. Aus diesem Grunde würden sich die Männer mit ihren Blicken auch nicht zurück halten. Wäre ihnen unsere baldige Verlobung bekannt würden die meisten wenigstens versuchen ihre Blicke zu zügeln.

Gerade als sich Parvus zu uns gesellte sah ich wie Vega die letzten Stufen zu dem Eingang heraufstieg,  daher nahm ich seinen begrüßenden Handschlag schnell an und murmelte  eine kurze Entschuldigung um mich schnellen Schrittes auf den Weg zu meiner bald mehr oder weniger offiziell Verlobten zu machen. Vegas Blick huschte ratlos suchend durch den Tempel, allerdings beruhigte sich ihr Gemüt sofort als sie sah wie ich auf sie zukam. Es freute mich, dass sie mir schon so sehr vertraute. Es schien ihr meine Anwesenheit zu reichen um sich unter all den fremden Männern wohler zu fühlen. 

Noch immer hatte ich meine steife Haltung nicht aufgegeben und bot ihr weiterhin mit erhobenem Kopf meinen Arm an. Ich wollte, dass die Männer die ihren Blick nicht von ihr nehmen konnten sahen, dass ich sie für mich beanspruchte. Vega stand, auch wenn die Verlobung nicht echt war, unter meiner Verantwortung. Ich würde sie vor den teils hungrigen Blicken der Gefährtenlosen schützen. 

Vega nahm meinen Arm sofort dankend an und hakte sich schüchtern ein. Ich fühlte mich nicht so unwohl neben ihr wie ich es am Anfang befürchtet hatte. Wahrscheinlich lag es an dem Wissen, dass es sich nur um ein Schauspiel handelte, denn anders konnte ich mir das nicht erklären. 

Vega wirkte neben mir viel kleiner und zerbrechlicher als sie eigentlich war. Die neunzehn Jährige hatte uns damals in ihrem Dorf schon einmal bewiesen wie viel Mut in ihrem zierlichen kleinen Körper steckte, als sie sich für den Schutz ihrer älteren Schwester opferte. 

"Du siehst gut aus." flüsterte ich ihr zu und erntete kurz darauf ein schüchternes lächeln von ihr. Sie antwortete mir nicht, doch war ihre ansteigende Röte mir Antwort genug. Auch wenn ich meinen Blick von ihr noch nicht abgewendet hatte konnte ich die Blicke der Anwesenden auf uns spüren, weshalb ich meine freie Hand auf ihre legte und meinen Schritt etwas beschleunigte um zeitig bei unseren Geschwistern anzukommen. Zu viel Aufmerksamkeit wollte ich dann doch nicht auf uns ziehen. 

Vega hielt sich ohne zu zögern an meine Führung und nahm erleichtert seufzend ihre Hand auch sofort wieder aus meinem Arm. Sie stellte sich direkt zu ihrer Schwester und ließ uns Männer alleine. Parvus sah überrascht zu mir, doch ließ er das Geschehen vorerst unkommentiert. Er kannte meinen Bruder und mich schon von klein auf. Daher wusste er auch, dass ich ihm erst von etwas erzählen würde, wenn ich es wollte. 

Der alte Freund unseres Vaters dachte sich wohl trotzdem seinen Teil, denn er klopfte mir erst anerkennend auf die Schulter bevor er mir einen kleinen Umschlag zusteckte. Parvus ging schon immer etwas vorsichtiger mit seinen Informationen um, da er den anderen Männern nicht so ganz über den Weg traute. "Man weiß ja nie wann sich jemand der dunklen Seite zuwendet" So war es für mich keine Neuigkeit, dass er mir ohne weitere Worte geheime Nachrichten zusteckte.

MythosWhere stories live. Discover now