[Kapitel 5/Teil 7]

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*Elaras POV*

-Mitte des 19. Jahrhunderts-

Der regelmäßige Besuch des Rudels hielt mich viel länger an einem Ort fest, als üblicherweise.
Erst als die Besuche nachließen fing ich wieder an von Dorf zu Dorf zu ziehen, damit die Bewohner nicht mitbekamen, dass ich nicht alterte.

Sirius war der letzte der Wölfe der mich besuchte. An dem Tag war mir nicht klar gewesen, dass ich meinen persönlichen Schutzengel zum aller letzten Mal sehen würde. Hätte ich es damals gewusst, wäre ich ihm vermutlich gefolgt.

Seit fast dreihundert Jahren sah ich aus wie eine fünfundzwanzig jährige junge Frau. Es fühlte sich an wie ein Fluch nicht zu altern, während alle anderen um mich herum immer grauer und schwächer wurden. Sogar meine Pflanzen verließen mich nach und nach. Nur der Wallnussbaum den ich im Garten meiner Eltern, kurz nachdem ich das erste Mal dort einzog, gepflanzt hatte stand noch.

Das lederne Buch hatte ich Jahre später unter den Baum gepflanzt, da er mir nichts als Kummer brachte. Er erinnerte mich nur an meinen Fehler. Ich hätte an dem vermeintlichen Tag meine vorlaute Klappe halten und mich nicht in die Angelegenheiten anderer einmischen sollen. Jetzt hatte ich dadurch alles verloren was mir lieb war.

Alle hundert Jahre zog ich zurück in mein Elternhaus und gab mich als eine entfernte Familienangehörige meiner Eltern aus, die das Haus geerbt hatte. Irgendetwas zog mich immer wieder zurück dort hin. Auch jetzt stand ich vor der Haustür. Doch war heute etwas anders. Es fühlte sich an als würde mich etwas rufen. Ich folgte wie in einer Trance dem leisen lieblichen Gesang in mein altes Kinderzimmer. Die Tür war wie damals schon verschlossen, auch dieses mal zögerte ich kurz bevor ich die Tür aufschloss. Damals als meine Eltern verstarben schloss ich die Tür ab um nicht jedes Mal, wenn ich das Haus betrat, daran erinnert zu werden was ich alles verloren hatte. Für gewöhnlich schlief ich auf dem Sofa meines Vaters und betrat sogar das Schlafzimmer meiner Eltern nur selten.

Die liebliche Stimme wurde immer lauter je näher ich an meinen Kleiderschrank trat. Dieses mal zögerte ich keinen Augenblick und riss die Schranktür auf um dort auf dem alten halb verkohlten Gemälde meiner Familie wieder einmal ein Brief zu finden. Der Gesang verstummte sobald ich den Briefumschlag in die Hand nahm.

Ich setzte mich auf den Schaukelstuhl meiner Mutter am Fenster um ihn mir in Ruhe ansehen zu können.

Die Mittagssonne spendete mir trotz der dicken grauen Wolken genügend Licht um zu erkennen, um was genau es sich handelte. Ich konnte auf dem Umschlag die Handschrift meines Vaters erkennen, auch wenn wir uns zum Ende hin immer seltener Sprachen hatte er mir tatsächlich einen Brief hinterlassen. Das kleine Leuchten welches durch das dünne Papier des Briefumschlages zu sehen war ignorierte ich vorerst und zog mir erst nur den Brief aus dem vergilbten Umschlag heraus. Die Tinte auf dem Blattpapier war schon etwas verblasst doch konnte ich mit etwas mühe entziffern was mein Vater geschrieben hatte.

"Liebe Elara,

mit diesen Worten möchte ich mich von dir verabschieden und dir meine Dankbarkeit ausdrücken. Du hast dich die letzten Jahre wundervoll um unser altes Familienhaus gekümmert. Meine Frau und ich stehen dir deswegen in der Schuld, daher überlasse ich dir das Haus auch wenn du es noch nicht ganz abbezahlen konntest. Versprich mir nur, dass du dich weiterhin darum kümmern wirst.

Ps.: Deinen Ring habe ich dir in den Umschlag gelegt. Meine Frau konnte es nicht über ihr Herz bringen ihn zu verkaufen, da sie dich liebgewonnen hatte und ich brauche ihn nun auch nicht mehr."

Ach Vater, wenn ich dir nur hätte erzählen können was mit deiner kleinen Tochter geschehen war, wäre so vieles anders verlaufen. Doch jedes Mal wenn ich auch nur daran dachte hörte ich Solaris Stimme wie sie mir sagte, dass ich mich damals zu aller Wohl von euch verabschieden musste.

Mir war gar nicht aufgefallen wie ich angefangen hatte zu weinen. Erst als eine Träne auf den Brief tropfte und die ohnehin schon verblasste Schrift verschmierte, bemerkte ich die salzige Spur auf meinen Wangen. Vorsichtig um das alte Papier nicht zu beschädigen legte ich es vorerst auf die Fensterbank um mich dem mysteriösen rötlichen Leuchten aus dem Umschlag zu widmen.

Ich schüttelte den Umschlag über meiner flachen Hand aus und tatsächlich fiel der goldene Ring von Solaris heraus. Der rotbraune Edelstein leuchtete mir plötzlich viel heller entgegen und kurz hörte ich wieder einmal die Stimme der Göttin Solaris. Der Ring schien immer wieder "Mein Zeichen" zu flüstern. Ich sah mir den goldenen Ring noch einmal an und drehte ihn zwischen meinen Fingern hin und her. Sobald ich ihn wieder auf meinen rechten Zeigefinger schob verstummte die Stimme Solaris'.

Endlich. Dachte ich mir.

Endlich würde ich wieder etwas zu tun haben. Die leere die mir der fehlende Teil meiner Seele hinterlassen hatte würde sich hoffentlich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder füllen und ich würde den Sinn hinter all diesem Elend erkennen können.

Schnell rannte ich zu dem Wallnussbaum in meinem Garten und buddelte mit meinen losen Händen das Buch aus seinem Versteck. Ich hatte es sicherheitshalber in viele Tücher gewickelt, damit ich es im Notfall unbeschädigt wiederfinden konnte. Das Buch sah noch aus wie neu, fast noch so wie ich es damals zu aller erst zu Gesicht bekam.

Ohne auch auch nur einen Moment zu vergeuden legte ich die Briefe meiner Eltern in das blaue Buch und packte ihn mit etwas Proviant in meine einzige Tasche und verabschiedete mich mit einem letzten Blick von meinem zu Hause. Wer weiß wann ich es wieder zu sehen bekam.

"..bewege dich zu meinem Tempel, hinter den höchsten Bergen." forderte mich die Stimme Solaris' nochmal auf bevor ich mich auf den Weg machte.

In den letzten drei Jahrhunderten war ich schon oft in die Richtung des Tempels gelaufen, doch hatte ich mich nie getraut die Berge zu überwinden. Viel mehr schlich ich um die Dörfer in der nähe und machte mich dann wieder auf den Weg nach Hause.

Ich hatte schon oft von dem Ort geträumt zu dem die Göttin mich geschickt hatte, dort fand ich dann immer einen leicht flimmernden gefallenen Stern in einer großen Truhe am Altar des Tempels und legte das Buch hinein. Kurz darauf wachte ich immer auf ohne den versprochenen Sinn hinter der Prophezeiung zu erkennen.

MythosWhere stories live. Discover now