33. Gerechtigkeit tut weh

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Die Geschworenen berieten sich nur zehn Minuten lang. Für sie stand ihre volle Schuld fest. Tarjas Verteidiger versuchte, auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren:
„Ihr magisches Potenzial betrug damals 20 Einheiten. Das ist das messbare Maximum. Möglich ist also, dass es noch darüber hinausging. Durch die Permalithose liegt es heute nur noch bei 8 Einheiten, also ist sie technisch gesehen schuldfähig. Das Gesetz berücksichtigt jedoch nur die Messung, die am nächsten am Tatzeitpunkt liegt, und das waren die 20 Einheiten. Durch das gezielte Training ihres Vaters, das nur als brutal zu bezeichnen ist, entwickelte sie eine Panikstörung und Schizophrenie, denn sie berichtet von Halluzinationen. Ihre Kraft geht dadurch manchmal von alleine los und mit ihr durch."
„Sie stellen sie als Opfer dar", sagte der Staatsanwalt. „Vergessen Sie nicht, dass sie 117 Menschen auf dem Gewissen hat."
„Sie ist ein Opfer ihrer Störung und ihrer Erziehung. Ihr Vater hat sie zu einer Killermaschine ausgebildet. Sie konnte gar nicht anders werden. Erinnern Sie sich an das Zeugnis von Herr Fenn. Sie hat eine gute Seele, denn sie wollte ihm helfen, indem sie versprach, ihm bei der Jobsuche in Syca zu helfen. Er hatte niemandem, zu dem er gehen konnte. Sie hat ihm in der Tiefe seines Schmerzes beigestanden, indem sie einfach nur da war. Und sie hat einen Obdachlosen von Krebs geheilt! Das Resultat spricht nicht für sie, das gebe ich zu. Aber ihre Intention war gut."
„Sie hat zugegeben, mit voller Absicht Acadia in Schutt und Asche gelegt und dabei nichts als Hass empfunden zu haben."
„Ihr Vater drohte, sie umzubringen. Der Hass war ein Schutzreflex ihrer Seele, denn hinter Wut versteckt sich immer Angst."
Sie zogen sich zu einer Beratung zurück. Dorian wartete eine Stunde lang – entfremdet. Tarja war auf ihrem Stuhl eingedöst. Er wollte mit ihr reden, sich für alles entschuldigen, was er gesagt hatte, und gleichzeitig dachte er: Du hast es verdient. Plötzlich überkam ihn eine Schockwelle der Schuld.
„Was habe ich getan?", flüsterte er.
„Was haben Sie gesagt?", fragte der Polizist, der ihn bewachte.
„Ich bin schuld, wenn Tarja hingerichtet wird."
„Wenn ich dazu meine ehrliche Meinung sagen darf: Das Ganze geht für einen echten Prozess viel zu schnell. Ich bin schon fast fünfundzwanzig Jahre Polizist und kenne mich mit der Rechtslehre aus. Sie haben zwar alle Seiten angehört, aber sie haben ausschließlich die Zeugen zugelassen, die Negatives mit ihr erlebt hatten. Zwei alte Freundinnen wollten für sie aussagen, wurden aber ausgeschlossen, weil sie sich angeblich zu spät zurückgemeldet haben."
„Es ist also ein Scheinprozess?"
„Das Urteil steht längst fest. Der Prozess ist nur eine Show für die Reporter, damit die Bürger denken, dass hier auf gerechte Weise gerichtet wird. Sie hätten alles sagen können, das Urteil wäre dasselbe. Es ist lobenswert, dass Sie sich für die Wahrheit entschieden haben."
„Ich stehe unter Eid. Natürlich sage ich die Wahrheit."
„Sie hätten sie zu ihren Gunsten ausschmücken können."

Der Richter trat wieder ein, und alle erhoben sich zur Urteilsverkündung:
„Aufgrund von besonderer Schwere der Schuld, Anwendung von Magie zum eigenen Vorteil, Kriegsverbrechen, Massenmord in 116 Fällen, Körperverletzung mit Todesfolge in einem Fall, Fälschung von Ausweisdokumenten, Diebstahl und Flucht vor dem Gesetz wird Tarja Junaz zum Tode durch Enthauptung verurteilt. Das Urteil wird sofort vollstreckt. Der Vorschlag der Angeklagten, in Gold verwandelt zu werden, wird abgelehnt. Magie darf laut Gesetz nicht mehr zur Vollstreckung einer Strafe verwendet werden." Dorian kannte das Gesetz, es hatte auch ihn einst verurteilt. Er hatte es gewusst und dennoch brach es wie ein vom Himmel fallender Felsbrocken auf ihn ein. Ein „Nein" blieb in seiner Kehle stecken. Als man sie aus dem Saal führte und alle sich zum Gehen anschickten, weinte Dorian.
Er wurde zurück zum Auto begleitet.
„Kann ich noch bei der Hinrichtung zusehen?", bat er. „Ich denke, dass es mir helfen würde, mit der Geschichte abzuschließen." Er sah ihm nicht in die Augen, verbarg seine Tränen. Der Polizist lächelte:
„Sie wollen Gerechtigkeit sehen. Das ist verständlich und wird gewährt. Wir sind schneller fertig als geplant und ich wollte der Hinrichtung ohnehin selbst beiwohnen." Dorian empfand es nicht als gerecht. Ja, er wollte, dass sie bestraft wurde. Doch ihre Zeit als Statue war nicht auf die Strafe angerechnet worden. Es war unnötig brutal. Er hatte sich als Student oft vorgestellt, wie sie mit brennenden Händen durch Acadia marschiert war, Köpfe explodierten und Gebäude einstürzten. Diese Tarja hatte er nicht kennengelernt. Er war einer empathischen, helfenden Freundin begegnet, als er ganz unten war. Sie hatten sich gegenseitig durch eine schwere Zeit getragen.
Er hatte geglaubt, dass ihnen als Magiern nichts anderes als die Kriminalität übrig blieb, um zu überleben. Er hatte sich geirrt. Denn dieser Weg führte direkt in den Tod.

Ein Mann, ein MonsterTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang