22. Zwischen Akzeptanz und Ablehnung

2 0 0
                                    

Die Blondine bot Tarja und Dorian ein Zimmer an:
„Ich habe noch nie gesehen, wie jemand sich gegen diese Bande behauptet. Das war der Hammer! Zuerst setzt du dich total ängstlich vor ihn, zitterst wie eine Gazelle vor dem Löwen. Und dann haust du ihn einfach um! Was ist das für eine Kraft, die du da hast? Verstärkung?"
„Nein, ich bin Gestaltwandler."
„Cool." Damit schloss sie die Zimmertür. Noch nie hatte jemand Dorians Kraft bewundert. Die beiden sanken in das Doppelbett und schliefen sofort ein.

Nach einem ausgiebigen Frühstück und einer kleinen Stadtbesichtigung suchten sie den Fälscher auf. Er war dabei, ein Büchlein mit grünen Karos und Wasserzeichen Acadias zu drucken.
„Ich brauche eigentlich keinen Pass von Acadia", bemängelte Tarja.
„Das hättest du mir vorher sagen müssen. Jetzt ist es zu spät."
„Es fällt weniger auf, wenn wir aus demselben Land kommen", versicherte ihr Dorian.
„Wie willst du heißen?", fragte der Fälscher und legte den Pass in eine Art Schreibmaschine.
„Mari Loar." Das war der Name ihrer Mutter. Kein Geschichtsbuch kannte ihn, denn sie war kurz nach Tarjas Geburt verstorben. Man konnte das Leben der Toten nicht weiterführen, sie aber in Ehren halten. Tarja hätte sie gern gekannt. Vielleicht wäre sie dann eine andere geworden.
Sie nannte dem Fälscher den Geburtstag ihrer Mutter. Als Geburtsort trug er den Namen der Stadt ein.
„Jetzt musst du nur noch unterschreiben." Dorian war unwohl dabei:
„Mari, ich hoffe, das ist es wert."

Auf ihrem Weg kamen sie an einem Vergnügungspark vorbei. Eine Achterbahn, geformt wie eine weibliche Brust, tat sich vor ihnen auf. Eine fünfgliedrige rote Raupe schlängelte sich ratternd den ersten Hügel hinauf und stürzte dann hinab. Davor drehten sich Karussells im Kreis. Fröhliches Johlen, zwangloses Geplauder und quietschendes Kindergeschrei erfüllte die leicht neblige Luft. Die den Bodenfrost schmelzende Sonne tankte sie mit Wärme und Freude auf.
„Heute ist vielleicht der letzte warme Tag, bevor der Schnee kommt", sagte Dorian.
„Ja, wir sollten ihn ausnutzen. Lass uns Achterbahn fahren."
„So habe ich das nicht gemeint."
„Hast du etwa Angst?"
„Ich könnte mich verwandeln."
„Amüsierst du dich nie, weil du dich verwandeln könntest?" Er antwortete nicht. Sie ging bereits auf das Eingangstor zu.
„Das ist keine gute Idee. Ich bin noch nie Achterbahn gefahren. Alles könnte passieren."
„Das heißt, es könnte dir Spaß machen. Ich bin schon oft gefahren. Es ist ungefährlich." So bezahlten sie den teuren Eintritt. Dorian vermied jeden Augenkontakt mit anderen. Es strengte ihn an, und er durfte nicht mit einer Kriminellen erkannt werden, vor allem, da er bereits so tief im Treibsand der ungewissen Zukunft steckte, dass er selbst durch Unterlassung und Beihilfe kriminell war. Ich war immer ein guter Mensch. Was ist nur aus mir geworden?
Sie einigten sich, zunächst das kleine Kettenkarussell zu fahren. In der Luft schwebend, durch Fliehkräfte nach außen gezogen, täuschte Tarja ein übertriebenes Gähnen vor.
„Das ist für Babys."
„Es ist ungefährlich, und das ist das Wichtigste." Mit „ungefährlich" meinte er, dass er sich hier sicher genug fühlte, um sich nicht zu verwandeln. Er genoss das Fliegen. Wie gerne wäre er ein Monster mit Flügeln, ein majestätischer Greif. Stattdessen hatte das Schicksal ihn mit scharfen Krallen gestraft, um besser zu töten. Wenn er schon kriminell war, wie weit war der Weg zum Mörder?
Die Fahrt endete viel zu schnell. Und Tarja ließ nicht locker:
„Du fährst mit mir diese Achterbahn. Du bist nämlich einer von denen, die man zu ihrem Glück zwingen muss."
„Ich bin nur vorsichtig! Ich habe meinen Job und mein Gesicht verloren. Ich will nicht auch noch meine Freiheit verlieren."
„Wegen einer Ordnungswidrigkeit wird dich keiner verhaften. Und die meisten Leute sind so mit sich selbst beschäftigt, dass du ihnen gar nicht auffällst."
„Und was ist mit dem, der dich beim Einkaufen angestarrt hat?"
„Einer aus meiner Generation. Hier sind hauptsächlich Leute in unserem Alter und darunter unterwegs. Sie kennen mich als Statue und aus Geschichtsbüchern. Sie kennen mich nicht in echt. Und das werden sie auch nicht. Ich bin Mari Loar!"

Ein Mann, ein MonsterWhere stories live. Discover now