30. Konfrontationen

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Am nächsten Tag regnete es schlechte Neuigkeiten. Seine Eltern hatten sich für einen Besuch angekündigt, weil sie über ihn in der Zeitung gelesen hatten. Daraufhin hatte er sich selbst das letzte Wochenblatt geschnappt und seinen Artikel gefunden:

Monster besiegt Magier
Der Bürgerkrieg in Ilea erfuhr am 29.04.1883 eine Wende, nachdem der Soldat Dorian F. (27) sich in ein Monster transformiert und den Magier Mortimer P. (198) im Nahkampf besiegt hat. Ilea konnte weite Teile der eroberten Gebiete zurückgewinnen.
Mortimer wird wegen seines gebrochenen Rückgrats im Krankenhaus behandelt, es ist jedoch unwahrscheinlich, dass er die Kontrolle über seine Beine wiedererlangt. Er hat unter Folter Strategien der Rebellen gestanden und zugegeben, 4 Magier ihrer Kräfte und 56 Menschen ihrer Lebenskraft beraubt zu haben, sodass sein Alter deutlich höher zu schätzen ist, als er am Anfang zugegeben hat. Er wurde zum Tod verurteilt. Die Strafe wird am kommenden Mittwoch vollstreckt.
Da die Anwendung von Magie im Krieg gegen das Völkerrecht verstößt, sitzt Dorian eine 1,5jährige Haftstrafe in der geschlossenen Psychiatrie ab. Weiterhin wurde bekannt, dass er derjenige war, der Tarja J. nach dem fehlgeschlagenen Versuch, die Grenze von Acadia zu Syca zu überqueren, zur Flucht verholfen hat.

Jetzt wusste er, woher die anderen Häftlinge die Informationen über ihn hatten. Wahrscheinlich hatte der General geplaudert, er war oft von Medien bedrängt worden. Er war es auch gewesen, der seine Kraft dem Staat gemeldet hatte. Für die Behörde war er nur ein weiterer krimineller Magier, einer von tausenden, einer zur Unterstützung des Vorurteils.
Das Plappermaul, das übrigens Kiro hieß, setzte sich zu ihm:
„Hast du es schon gelesen? Bist eine Berühmtheit."
„Mein Leiden so auszuschlachten ist nicht richtig."
„Ich finde den Artikel sehr gut. Sie stellen keine Vermutungen über deine Motive an, weil sie sie nicht kennen. Ich habe auch gehört, nächste Woche kommt eine Reporterin zu dir, um dich genau das zu fragen."
„Woher weißt du das?"
„Ich hänge oft mit dem Chefarzt ab. Und ich rede mit den Menschen, anders als du."
„Wenn ich das tue, geht immer was schief."
„Du redest gerade mit mir. Und ich habe noch nicht gemerkt, dass etwas schiefgegangen wäre." Diese Konversation hatte er schon mehrmals geführt. Sie brachte rein gar nichts außer Selbstverdammnis. Dorian wollte nicht glauben, dass er auch gute Eigenschaften hatte. Wegen dieser war er nämlich nicht in der Psychiatrie gelandet.

Seine Eltern und die Reporterin hatten ihre Besuche auf denselben Tag angekündigt. Deshalb war Dorian von allen Therapiesitzungen und der Arbeit befreit.
„Wie war die Reise?", fragte er seine Eltern.
„Gut. Ist ja nicht allzu weit weg", antwortete Herold.
„Jetzt können wir dich endlich mal wieder sehen", freute sich Mina.
„Ihr habt also den Zeitungsartikel gelesen."
„Ich war ganz geschockt. Mein Dorian, habe ich mir gedacht, mein Dorian greift doch niemanden an, er hat sich unter Kontrolle. Aber da habe ich mich wohl geirrt. Ich habe dir mein Leben lang einzutrichtern versucht, dass du funktionieren musst. Du hast nie zugehört. Und deshalb hast du nichts von mir gelernt." Wieder einmal war es seine Schuld. Er setzte zu einer Erklärung an:
„Ihr sollt wissen, warum ich es getan habe. Für die Gerechtigkeit. Für alle Menschen, die er umgebracht hat. Habt ihr gelesen, dass er 56 Leute auf dem Gewissen hat?"
„Wusstest du davon?", fragte Herold.
„Er hat mir nur von den Magiern berichtet, deren Kräfte er aufgenommen hat. Er hat es bei mir versucht. Hat höllisch wehgetan. Ich habe noch manchmal Schwächeanfälle, aber sie werden seltener. Die verlorene Energie hat sich wieder erneuert." Er blickte ihnen in die Augen. Wahrscheinlich wollten sie nichts über seine verhasste Kraft hören.
„Das freut mich", versetzte Herold nach langem Schweigen. „Und dir geht es hier gut?"
„Ja, ich habe viel Arbeit. Mein Zimmerpartner ist nett, wenn man davon absieht, dass er ein Triebtäter ist."
„O Gott." Mina schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen. „Wo bist du hier nur reingeraten?"
„An den Ort, wo ich hingehöre."
„Du bist nicht verrückt! Man muss dir nur das richtige Verhalten beibringen und du musst dich ein bisschen zusammenreißen. Das ist alles." Herold wechselte das Thema. Er erzählte von den Arbeitern, die er eingestellt hatte, jetzt wo er langsam an die Rente denken musste. Seine Mutter beendete den Besuch mit einem Stich in das schwarze Loch, das einst sein Herz war:
„Dorian, ich bin enttäuscht von dir. Sehr enttäuscht."

Ein Mann, ein MonsterWhere stories live. Discover now