Kapitel 38: Therapie

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Scheiße. So eine verdammte Scheiße.
Ja, das fasste alles wirklich treffend gut zusammen, fand ich.
"Aber jetzt nicht den Kopf in den Sand stecken", murmelte ich zu mir selbst.
Um mir die Zeit zu vertreiben, machte ich meine Hausaufgaben. Ich hätte wirklich nie gedacht, mich mal auch nur annähernd auf die Hausaufgaben zu freuen oder auch nur einen Hauch von Motivation zu besitzen. Tja, so tief war ich schon gesunken. Aber ich tat das alles für Xen. Diese verdammte Langeweile war aber auch wirklich nicht auszuhalten! Ich hatte nicht mal mehr mein Handy, das war wahrscheinlich irgendwo ins Wasser gefallen, als unser Boot gekentert war. Ich seufzte. Schnell schnappte ich mir mein Hausaufgabenheft und schlug die Bücher auf. Wahrscheinlich tat ich das ganze nur, um mich produktiv zu fühlen. Ein Ziel zu haben. Anders hätte ich das ganze wahrscheinlich wirklich nicht mehr ausgehalten, meine Sorge um Xen hätte mich noch umgebracht. So hatte ich das Gefühl meine Zukunft in der Hand zu haben. Wahrscheinlich hätte ich auch ohne Abitur einen Job finden können, aber ich wusste nicht einmal, was ich arbeiten wollte. Irgendwann ging ich die Treppen herunter, um mir eine Wasserflasche zu holen.
„Wann ist eigentlich diese Therapie-Scheiße?", fragte ich meine Mutter bei der Gelegenheit.
„Emma, Schätzchen. Das ist keine Scheiße, er wird dir helfen und-"
„Wann?", unterbrach ich sie ungehalten, ihr sinnloses Gelaber konnte sie sich wirklich sonst wohin stecken.
„Dienstag und Donnerstag, 16:00 Uhr", rückte sie nun endlich mit der Sprache heraus. Wortlos ging ich mit meiner Flasche Wasser nach oben und lernte den Rest des Tages Vokabeln. Ich redete mir ein, es war für die Schule, aber wenn ich wirklich ganz ehrlich zu mir gewesen wäre, hätte ich gewusst, dass es einzig und allein dem Zweck diente mich von meinen trüben, ängstlichen Gedanken abzulenken.

Auch am nächsten Tag holte mich meine Mutter zu meinem Bedauern direkt vor der Schule ab.  Doch diesmal fuhren wir nicht in mein Nicht-Zuhause, sondern auf direktem Weg zu meinem Therapeuten. Ich versuchte positiv in die Sache reinzugehen, vielleicht könnte ich ihn ja überzeugen, dass ich weder verrückt noch krank war und das ich Xen liebte und noch wichtiger: Er mich auch. Das ich glücklich mit ihm war.
"So, wir sind da.", sagte meine Mutter und riss mich somit aus meinen Gedanken.
Ich stieg aus und betrachtete das Gebäude vor welchem wir uns befanden. Es hatte einen Vorgarten mit vielen bunten Blumen und auch auf dem Balkon über uns befanden sich welche. Ein paar Vögel zwitscherten und bedienten sich an der Vogel-Futterstelle im Garten. Es war alles in allem wirklich schön.
Nachdem wir über den Kiesweg zum Eingang gelaufen waren und meine Mutter mir immer wieder kritische Blicke von der Seite zugeworfen hatte, standen wir nun vor der Haustür. Ich suchte kläglich versagend die Türklingel und blickte mich nach alles Seiten um, als eine junge Frau mit haselnussbraunen Augen und langen, glatten Haaren durch einen Weg hinterm Haus nach vorne in den Garten gelaufen kam. Freundlich lächelte sie uns zu.
„Ah, sie müssen Frau Müller sein.", rief meine Mutter ihr zu. Immer noch freundlich lächelnd schüttelte anscheinend Frau Müller erst die Hand meiner Mutter und dann meine Hand.
„Ja, genau die bin ich", erklärte sie
„Wir haben einen Türklopfer, keine Klingel. Aber keine Sorge, das hat schon viele verwirrt. Ist hier auch eher ungewöhnlich.", Sie deutete auf eine Art schweren, metallenen Ring, der wohl dazu diente ihn gegen die Tür zu schlagen. „Aber jetzt wisst ihr das ja fürs nächste mal. Wir gehen jetzt sowieso durch die Terrasse ins Haus. Kommt mit!", mit einer einladenden Handbewegung deutete sie uns ihr zu folgen. Ihr freundliches Lächeln war keine Sekunde aus ihrem Gesicht gewichen.
Wir betraten einen schön eingerichteten Raum. In der Mitte stand ein kleiner Glastisch mit ein paar Nüssen und Snacks. Drumherum standen verschiedene Sitzgelegenheiten wie Sessel, Stühle und eine Couch.
„Setze dich hin wo du willst.", meinte sie und deutete zu dem Tisch. Ich setzte mich in Bewegung und meine Mutter folgte mir.
„Mom! Musst du mir jetzt überall hin folgen?! Ich dachte ich brauche so dringend eine Therapie und nicht du!", motzte ich sie an.
„Ich bleibe hier, schließlich muss ich-", wollte sie antworten doch meine Therapeutin unterbrach sie, indem sie ihren Arm packte (nicht grob, aber bestimmt) und ihr Ernst in die Augen schaute.
„Ich gehe kurz raus etwas mit deiner Therapeutin besprechen.", informierte mich nun meine Mutter.
Ich setzte mich auf einen der Sessel, die nebenbei bemerkt wirklich gemütlich waren und schnappte mir eine der Nüsse während ich sie auf der Terrasse sprechen sah, aber konnte mir nicht annähernd vorstellen, was sie sagten. Wahrscheinlich erzählte meine Mutter der Therapeutin das ich krank war und völlig verrückt und sie deswegen auf mich aufpassen musste wie auf ein Kleinkind.
Kurze Zeit später, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, kam die Therapeutin nun alleine zurück ins Zimmer und setzte sich gegenüber von mir.

Kurzer Zwischeneinschub: Ich bin weder selbst Therapeutin noch habe ich jemals die Erfahrung einer Therapie gemacht, daher sollte hier nichts als Maßstab für irgendetwas genommen werden, so und jetzt weiterhin viel Spaß ☺️

„Danke.", murmelte ich.
„Wofür?", fragte sie.
„Naja, dafür, dass sie meine Mutter überzeugt haben zu gehen."
"Gern geschehen", murmelte sie, übrigens, du darfst gehen wann immer du willst.
„Danke.", meinte ich ein weiteres Mal.
„Wofür? Dass ich dich nicht gefangen halte?", scherzte sie.
„Ja?", fragte ich mehr als es zu sagen. Jetzt mussten wir beide etwas kichern. Mir fiel auf, dass ich es in letzter Zeit tatsächlich nicht gewohnt war, nicht gefangen zu sein.
Wer ist das?", Sie deutete auf zwei männliche Teenager, die auf meinem T-Shirt abgedruckt waren.
„Das sind Alec und Magnus, 2 Charaktere aus einer Serie", erklärte ich ihr „Das Shirt hat mir meine Mom gekauft, als ich ein riesiger Fan von der Serie war, das sind meine Lieblings-Charaktere.", mein Herz zog sich zusammen, als ich an die Zeit dachte, in der zwischen mir und Mom noch alles in Ordnung war.
„Wieso genau die beiden?", fragte sie mich ohne auf meine Mutter einzugehen, wofür ich ihr sehr dankbar war.
„Mhhh, wahrscheinlich weil sie so gut zusammen passen. Sie sind ein Paar und Alec hatte Probleme mit seinen Gefühlen, sich zu öffnen und er dachte er müsse alles alleine schaffen. Er war unglücklich verliebt und hatte immer noch nicht damit abgeschlossen, Alec war in seinen besten Freund verliebt und sie kämpften im Team. Jeden Tag. Magnus hat die Mauern um Alec herum langsam eingerissen und... ach keine Ahnung, sie sind halt süß zusammen.", antwortete ich.

„Fast so süß wie wir", kommentierte Xen in meinem Kopf und zwinkerte mir zu. Ich musste grinsen, jedoch war mir auch nicht gut bei dem Gedanken, Stimmen in meinem Kopf zu hören. Auch wenn es die wundervolle Stimme von Xen war.

„Also ich liebe ja jede Art von Romanzen, da kann ich meiner Fantasie freien Lauf lassen und in eine ganz andere, heile Welt eintauchen.", meinte Fr. Müller.

„Und das müssen sie, weil sie als Therapeutin so viele schlimme Geschichten hören?", fragte ich.

„Du kannst mich gerne duzen. Du hast Recht, selbst außerhalb des Jobs denke ich sehr viel über meine Patienten nach, in jeder freien Minute. Aber mein Beruf macht mich glücklich, weil ich weiß, dass ich vielen von ihnen helfen kann und etwas Gutes bewirke. Manchmal eröffnen mir die Kinder auch eine ganz andere Sichtweise und erweitern meinen Horizont."
Aus einem Gespräch mit kurzen Pausen zwischen neuen Fragen die uns einfallen konnten, ging es immer schneller hin und her. Wir begannen Witze zu machen und schnell fühlte es sich nicht an wie eine Therapie-Stunde, sondern wie das Gespräch mit einem guten Freund. Und das beste war, dass ich mich ganz normal fühlte. Nie warf sie mir besorgte oder kritische Blicke zu oder wollte mir weiß machen, wie krank ich doch war. Wir redeten über belangloses Zeug, nichts ging so wirklich tief und ich genoss es.
Es klopfte.
„Oh, das wird wohl schon deine Mutter sein, wie schnell die Zeit vergeht, nicht wahr?",meinte Fr Müller und wir gingen zur Tür.
„Hi.", meinte meine Mutter und schob sich schnell an Fr. Müller vorbei. Als sie mich erblickte, atmete sie erleichtert aus, offensichtlich hatte sie Angst gehabt, ich könnte ihr wieder weglaufen. Ich rollte mit den Augen. Fr. Müller warf mir einen fragenden Blick von der Seite zu.
„Sie hat Angst, dass ich abhaue", erklärte ich ihr.
„Heute war der Fokus auf dem Kennenlernen, schließlich ist es wichtig, dass Emma sich hier wohlfühlen kann.", gab Fr. Müller eine Zusammenfassung der heutigen Stunde.
Meine Mutter verschwand dann auch relativ schnell wieder und brachte mich in ihr Zuhause.
In der Nacht wachte ich auf, hörte das tuten des Telefons und dann die Stimme meiner Mutter. Verstehen tat ich nichts, doch ich war auch zu müde aufzustehen um zu lauschen. Ganz kurz meinte ich, etwas wie Fr. Müller rauszuhören, aber da hätte ich mich auch täuschen können. Nachdem ich etwas Wasser von meinem Nachtisch getrunken hatte, schlief ich wieder ein, nicht ahnend, was für eine Nachricht mich morgen früh erreichen würde...

Blue eyes - looking into my soulOnde histórias criam vida. Descubra agora