Kapitel 37: Schule

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Schlafen konnte ich nicht mehr. Die Sorge um Xen war stärker denn je. Ich lag einfach nur da und starrte gegen meine weiße, kahle Decke. Meine Augen wurden feucht, doch ich unterdrückte die Tränen. Wenn ich erstmal angefangen hätte zu weinen, würde es schnell in ein lauthalses Schluchzen übergehen und dann käme meine Mutter voller Sorge und sie war wirklich die letzte die ich gerade um mich haben wollte. Das konnte so nicht weitergehen! Ich konnte nicht den ganzen Tag zu Hause herumliegen und mich selbst bemitleiden.
Xen hatte zwar eine Menge Geld, aber ich wollte trotzdem etwas zu unserem gemeinsamen Leben beitragen.
Schnell beschloss ich, wieder in die Schule zu gehen. Ich würde den Lernstofff nacharbeiten und Abitur machen, dann würde ich mir einen Job suchen! Außerdem war ich dann weniger zu Hause und somit bei meiner Mutter und konnte mich nach der Schule schnell noch zu Xen schleichen. Ich war mir sicher, in die Schule gehen würde sie mir erlauben. Als ich am nächsten Morgen also Geräusche von unten hörte, lief ich die Treppe herunter. Meine Mutter hatte Pfannkuchen gemacht und schon alles bereit gestellt um wohl mit mir zu frühstücken, worauf sie lange warten konnte.
„Ich will wieder in die Schule gehen.", teilte ich meiner Mutter mit.
„Ich wollte auch noch mit dir über etwas reden.. Nun ja, ich denke aufgrund der vergangenen Ereignisse, wäre es gut, einen Therapeuten zu Rate zu ziehen.", meinte sie ohne auf meine Frage zu antworten.
„Es geht mir gut.", erwiderte ich genervt, „darf ich jetzt in die Schule?"
„Ich.. ich denke drüber nach.", sagte sie schließlich nach kurzer Überlegung.
„Gut, ich bin in meinem Zimmer.", murmelte ich und schnappte mir kurzerhand einen der bereitstehenden Teller und ein paar Pfannkuchen, kippte Zucker und Zimt drauf und stürmte nach oben, bevor meine Mutter etwas sagen konnte wie „Im Zimmer wird nicht gegessen." Beim hochlaufen hörte ich noch einen tiefen Seufzer, jedoch sagte sie sonst nichts mehr dazu.
Genüsslich aß ich sie dann auf meinem Bett, ohne eine nervige Mutter ertragen zu müssen. Als ich gerade fertig geworden war, hörte ich die Stimme meiner Mutter von unten. Neugierig wie ich war, öffnete ich leise die Tür und tippelte bis zur Treppe. Ich sah, dass sie telefonierte. „Ich weiß nicht, wegen dem Traumata... sie hängt ja auch immer noch an ihm, denkt er wäre ihr Retter."

...

„Glauben sie wirklich?"

...

„Ok, vielen Dank."

Ich schnaubte verächtlich. Es war offensichtlich, dass sie über mich sprachen. Lächerlich.
Ich verschwand also wieder in mein Zimmer. Kurze Zeit später rief meine Mutter von unten: „Du gehst ab Morgen wieder in die Schule, aber nur, wenn du auch zu einem Therapeuten gehst."
Ich überlegte. Die Therapie-Stunden würde ich aushalten. Für Xen und unsere gemeinsame Zukunft! Vielleicht konnte ich diesem Therapeuten auch klar machen, wie echt und wertvoll unsere Liebe war. Vielleicht würde er es verstehen. Aber selbst wenn nicht, Xen war sowieso der einzige Mensch den ich wirklich brauchte.
"Ok!", rief ich nach unten. Das war wohl wirklich das erste mal in meinem Leben, dass ich mich wirklich auf die Schule freute. Nicht auf einen Ausflug, nein. Auf die ganz normale Schule.
Am nächsten Morgen machte ich mich also mit meinem altbekannten Ranzen auf den Weg zum Bus, der mich in die Schule bringen sollte. Alles fühlte sich fremd und doch so vertraut an. Die gleichen Menschen saßen im Bus:
Diese zwei Mädchen, welche immer ihren bubble-tea im Bus tranken. Der eine Junge, welcher sein Videospiel mal wieder viel zu laut hatte. Ich setzte mich ganz nach vorne, steckte mir meine Kopfhörer in meine Ohren und spielte meine Lieblingssongs.

***

Und nun stand ich da - vor meiner Schule. Mein Blick schweifte umher und ein mein Herz wurde schwer als ich Jan, Henry und Leon vor dem Eingang stehen sah. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, vermisste ich sie. Ich beschloss, erst wenn es schon geklingelt hatte, das Schulgebäude zu betreten, denn auf meine Klassenkameraden konnte ich wirklich verzichten. Ich war schon immer eher uncool gewesen und hatte kein Problem damit gehabt, jetzt aber würde ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, was mir so gar nicht passte. Und jetzt war ich wirklich ganz allein. Verstohlen schielte ich zu den Jungs herüber. „Nein!", sagte ich mir selbst „Du hast Xen und das ist mehr als genug! Du brauchst sie nicht! Sie haben dich verraten!" Ihnen aus dem Weg zu gehen, gestaltete sich jedoch als etwas schwierig, weil Henry mein Sitznachbar war. Und da war es - das Klingeln.
Ich holte einmal tief Luft. „Du schaffst das", sagte ich mir selbst.

„Du schaffst das!", murmelte Henry mir zu bevor ich nach vorne ging um meinen Vortrag zu halten. Er lächelte mir aufmunternd zu. Mit seinem schiefen, vertrauten Lächeln, das mich automatisch auch zum Lächeln brachte.

„Hey! Es ist völlig egal was sie denken! Du weißt, dass sie nur neidisch sind. Und du hast doch uns! Ganz ehrlich, scheiß auf die!", meinte Henry und hob mein Kinn leicht an, damit ich ihm durch meinen Tränen Schleier in die Augen schauen konnte. „Scheiß auf die!", erwiderte ich und lächelte zurück.", ich brauchte sowieso niemanden von diesen Idioten, wenn ich Henry hatte.

Ich schüttelte den Kopf um diese längst vergangenen und völlig unwichtigen Bilder aus meinem Kopf zu bekommen.
„Sie sind deine Freunde! Sie waren immer für dich da!", sagte eine ungewollte Stimme in meinem Kopf.
„Bis sie mich verraten haben!", schrie ich ihr entgegen und räumte so alle Zweifel aus dem Weg.

Damals hatte ich gedacht, ich bräuchte sie. Wie dumm von mir. Ich hatte Xen und das war mehr als genug, sie wären uns sowieso nur im Weg.

Entschlossen marschierte ich durch die Schule in meinen Klassenraum, nachdem das Klingeln ertönt war. Die brennenden Blicke meiner Klassenkameraden und ihr Getuschel brachten mich fast zur Weißglut, doch ich versuchte sie zu ignorieren. Was hatte ich erwartet, wenn ich einfach so verschwand und die Polizei ewig suchen musste, bevor sie mich fanden? (Trotzdem zu kurz, ich wünschte sie hätten mich einfach nie gefunden) Was hatte ich erwartet wenn dann klar wurde, dass ich entführt wurde und mich dann auch noch in mein Entführer verliebt hatte? Keine Ahnung wie viel man der Schülerschaft erzählt hatte, aber wohl definitiv zu viel. Ich würde all diese Idioten einfach ignorieren und mich auf mein eigentliches Ziel konzentrieren: Etwas zu lernen.

"Guten morgen liebe Schüler", meinte unsere Mathelehrerin in die Runde. Ein unmotiviertes "Morgen" kam von den meisten zurück.

Ein sanftes "Hey", kam von Henry, was ich gekonnt ignorierte. Als er merkte, dass ich wohl nicht mehr antworten würde, seufzte er frustriert und warf Jan und Leon einen vielsagenden Blick zu. "Als ob ich es nicht bemerken würde", dachte ich verächtlich. Ein paar weitere Versuche der Kontaktaufnahme folgten, jedoch schenkte ich meine volle Aufmerksamkeit der Tafel und der Lehrerin, welche daran gerade etwas erklärte. Verstohlene Blicke meiner Klassenkameraden konnte ich auch super ausblenden. Als die Schule endlich um war, war ich die Erste, die so schnell wie möglich den Klassenraum verließ, schließlich musste ich noch schnell zu Xen und dann zu einer realistischen Zeit Zuhause ankommen. Ich könnte sagen die Lehrerein hätte mich noch etwas länger bei sich gehalten um mit mir über mein ach so traumatisches Erlebnis zu sprechen, aber wenn ich zu lange bräuchte, würde es langsam unrealistisch werden. Meine Mutter würde misstrauisch werden und das war wirklich das Letzte was ich wollte. Abgesehen davon durfte keiner der Jungs mich verraten. Bestimmt würde meine Mutter sie über mich ausfragen.

Als ich gerade das Schulgebäude verließ, hörte ich ein lautes Hupen. Ich blickte in die Richtung aus der es gekommen war und erblickte meine Mutter, die mir aus ihrem Auto zuwinkte und mich wohl an gehupt hatte. Hatte sie gewusst, dass ich geplant hatte nicht auf direktem Wege nach Hause zu gehen? Mein Plan war somit vereitelt. Kurz überlegte ich einfach wegzurennen, aber es wäre mehr als naiv zu glauben ich würde mit einem Auto mithalten können. Also gab ich mich seufzend geschlagen und trottete missmutig in das Auto meiner Mutter um mich von ihr in ihr Haus fahren zu lassen. Und wieder einmal hatte ich versagt.

Blue eyes - looking into my soulWhere stories live. Discover now