Chapter Sixty

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Dalia Sanderson

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Inszenierungen

Meine Augen schlagen sich ruckartig auf und blinzeln einer Dunkelheit entgegen. Ich atme durch, spüre die Dunkelheit aus meinem Traum in mir herauskriechen, welche mich zu besänftigen versucht, während ich mich versuche zu orientieren. Versuche den Lichtstrahl einzuschätzen. Das leise stetige Geräusch des Geräts neben mir. Der Maschine, die im Einklang mit meinem Herzen ist. Die mich meine Finger abtasten lässt, um auf etwas daran zu stoßen. Meine Augen gewöhnen sich nach und nach mehr an die Dunkelheit, lassen mich die Couch erfassen, die mir gegenüber an der Wand steht. Die Tür daneben. Der Schrank links neben mir und ... die Hand die meine umfasst. Den Kopf mit den gräulichen Haaren, der auf seinem Arm ruht, der einen Kloß in meinem Hals entstehen lässt. Ihn festzieht. Mich unkontrolliert zittern lässt, als ich meine Hand aus der seinen löse und ihm die Strähnen aus der Stirn ziehe. Mich die Verbände an meinen Gelenken erfassen lässt.

Es ist eine so leichte Geste, aber sie bringt ihn dazu seine tief unterlaufenen Augen aufzuschlagen und in die meine zu schauen. Das Lächeln das auf seinen Lippen entsteht ist nichts im Vergleich zu der Sorge und der Erleichterung in seinen Augen, als er sein Gesicht in seine Hände vergräbt und bitterlich zu weinen beginnt. Als er um seine totgeglaubte Tochter weint. Als er keine Worte findet, keine Reaktion, bis seine Hand sich um die meine schlingt und sie so fest hält, dass ich weiß, dass er mich nie wieder gehen lassen wird. Etwas das ich auch nicht wieder zulassen werde. Meine Finger schlingen sich um sein Gelenk, seine andere Hand legt sich an meine Wange, streicht die Tränen fort, die seit fünf Jahren unweigerlich darauf gewartet haben.

Und so sitzen wir bis zum Sonnenaufgang und länger dort und lassen das Schweigen über uns ergehen, als sei es das Einzige, was wir jemals gebraucht haben. Keine Worte, keine Entschuldigungen oder Rechtfertigungen. Egal wie viele Fragen auf meiner Zunge liegen. Egal wie sehr mein Herz schlägt, weil ich etwas hören möchte, dass mich vielleicht endgültig zerbrechen könnte. Vielleicht schiebe ich es auch auf, weil ich meinen Vater für einen Moment behalten möchte. Weil er für einen Moment den Fokus verdient hat, den wir beide verloren haben.

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"Kannst du dich aufrichten?" Ich nicke langsam auf seine ersten Worte, spüre aber dennoch wie er das Kissen in meinem Rücken aufplustert, damit ich es bequemer habe. Seine Finger streifen immer wieder die meine, lösen sich nicht von mir und doch spüre anhand des Druckes, dass unvermeidbare. Die Fragen und Antworten. "Wie lange war ich weg?" Frage ich mich räuspernd, die Halsschmerzen bemerkend. In dem leichten Sonnenlicht wirkt er noch matter, noch älter geworden. Mehr Falten, weniger Farbe. Mehr Sorgen, weniger Lebendigkeit. "Acht Monate."

"Es hat sich länger angefühlt." Murmle ich erschlagen, bemerke sein eingefallenes Gesicht. "Dad ... es ..." Ich habe keine Ahnung welche Worte ich finden soll. Welche ich nutzen kann. Welche das beschreibt was passiert ist. Die Entführung, Samuel, Lionel, unsere Flucht, die zweite Entführung und das was danach passiert ist. Ich weiß weder wo ich anfangen soll, noch wo ich mit dem Denken beginnen soll. Was ist passiert? "Haben die Ärzte irgendwas gesagt?" Hake ich leise nach und lasse ihn sanft durch sein Gesicht fahren, bevor er nickt. "Du hast eine gebrochene Rippe, dein Trommelfeld besitzt einen Riss und ... es sind Anzeichen auf ... deine Handgelenke. Gott Dalia Schatz, es tut mir so leid, dass ich dich nicht beschützen konnte." Seine Stimme wird erneut von Tränen erstickt, wodurch ich meine Hand an seine Wange lege und sanft meinen Kopf schüttle.

Aber was ebenso in meinem Kopf hallt ist, dass mich keine Kugel erreichte. Und wenn sie es bei mir nicht tat, dann kann sie auch nicht Lio -

"Er ... Lionel – er –" Meine Stimme bricht unkontrolliert ab, als ich glaube an den Bildern in meinem Kopf zu ersticken. Sie sind so präsent. Seine Worte sind es. Sein Duft ist es und seine Sicherheit, die mich umgab. Aber jetzt ... es fühlt sich an als seien Welten zwischen uns. Erneut. Als sei ich in diese wieder zurückgezogen worden, während sich die andere wie ein Traum anfühlt. Aber war das einer? Kann ich das alles geträumt haben und wenn ja, was ist dann wirklich passiert? Meine Finger bohren sich fester in meine Handfläche, als ich den sanften Blick meines Vaters bedenke. Ich kann das nicht geträumt haben. Ich kann–

"Ich glaube das weiß ich schon längst." Es ist jenes Räuspern seiner belegten Stimme die mir die Tränen in die Augen treibt und ihn noch ehrlicher Lächeln lässt. Seine Hand schmiegt sich um meine Wange, lässt mich leise schluchzen und die Luft anhalten, als sich der Schmerz in meiner Brust bemerkbar macht.

"Du wusstest es?" Ich habe keine Ahnung was in mir geschieht, aber die pure Gewissheit das mein Vater mich versteht ... das er das damals vielleicht nicht aus Zufriedenheit über Lionels Tod, sondern wirklich nur über meine Sicherheit gesagt hat, ist ... befreiend. Es ist genauso befreiend, wie der Gedanke, dass ich mir wirklich nichts davon eingebildet habe.

"Sagen wir es so, ich hatte eine Ahnung. Immerhin war es meine Idee." Für einen Moment glaube ich die Fassungslosigkeit in meinen Adern pochen zu spüren, bevor er mir über meine Stirn streicht und mich beruhigt. "Woher?" Hake ich verständnislos nach. "Ich bin Intendant mein Schatz. Ich inszeniere Bühnenstücke, es ... ich wusste natürlich nicht, dass Lionel seinen Tod inszeniert, aber es hätte gepasst, um unterzutauchen. Um sein Versprechen einzuhalten." Ich blinzle mehrmals gegen die Traurigkeit in seinen Worten, bis sich ein seufzender Ton aus seinen Lungen löst. "Ich bat ihn zu gehen, wenn du mit in seine Welt gezogen wirst, Lia. Und er versprach mir, dass er dich erst in diese Welt lässt, wenn sie dafür bereit ist. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass er es auf diese Weise tun wird." Es hat fünf Jahre gedauert, um die Liebe zu Lionel in meines Vaters Augen wiederzusehen. Fünf Jahre in denen ich dachte er wäre froh darüber, dass er gestorben sei. Fünf Jahre in denen ich so falsch gedacht habe, aber ...

"Wo ist er, Dad?" Mein Flüstern lässt seinen Blick trist werden. Traurig und doch mit so viel Hoffnung, dass ich mich traue den nächstem Atemzug zu machen. "Er bereitet dir die Welt vor, Lia. Er ... macht das Unmögliche möglich: Er verändert die Welt für dich."

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Shattered SoulsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt