Kapitel 86

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„Harry!"

Ginnys ohrenbetäubend lauter Schrei brach den Bann, den Amber so kunstvoll gesponnen hatte. Mit unerwarteter Heftigkeit schüttelte Harry den Kopf, streckte den Rücken durch und richtete seinen Zauberstab erneut direkt auf Amber. Unbändiger Hass durchströmte die dunkelhaarige Hexe, während die schrille Stimme von Harrys Ex-Freundin unerbittlich fortfuhr:

„Hör nicht auf sie! Voldemort ist Schuld an dem Tod und dem Leiden all dieser Menschen, niemals du! Und mit Sicherheit wird auch seine Tochter noch unzählige Tode verursachen, wenn wir sie nicht aufhalten!"

Diese rothaarige Missgeburt!

Mit einer jähen Bewegung drehte sich Amber zu Ginny herum und stürzte mit der Wucht einer angreifenden Schlange auf sie zu, zielgerichtet genau den Schwachpunkt ins Visier nehmend, der Ginny von einer Gegenwehr abhalten würde. Ihre Hände fanden Ginnys ausgestreckten Fuß und drückten ihn brutal auf die Seite, so dass die junge Hexe vor Schmerz aufschrie. Die Blutsverräterin hatte sie kurz vor dem Ziel gestoppt und dafür würde sie bezahlen!

„Stupor!", hörte sie Harry mit rauer Stimme brüllen, und dann, mit hörbarer Frustration, erneut:

„Stupor! Impedimenta!"

Doch nichts passierte und inmitten von Ginnys Schreien nahm Amber Harrys verzweifelte Gedanken wahr. Bei Merlins Bart, was ist los mit mir?!"

Amber erlaubte sich ein kurzes, befriedigtes Lächeln. Der Folterfluch spielte mit der mentalen Wahrnehmung des Gehirns und führte nicht nur zur totalen Schwächung des Körpers, sondern beeinträchtigte auch noch eine Zeitlang die Fähigkeit, solch komplexe Zaubersprüche anzuwenden, wie sie Angriffszaubern eigen sind. Harry besaß daher im Moment weder die physische noch die mentale Kraft, ihr gefährlich werden zu können. Sie hatte ganze Arbeit geleistet.

Und dann erkannte Amber einen Weg, die gegenwärtige Situation in ihr Gegenteil zu verkehren. Beherzt drehte sie Ginnys verletzten Knöchel noch ein wenig mehr und umklammerte dabei Ginnys Fuß so fest, dass die junge Hexe außerstande war, ihr Bein fortzuziehen. Tränen liefen über Ginnys Gesicht, während sie sich vergeblich bemühte, ihre Schmerzensschreie zu unterdrücken.

Ginny! Ich muss verflucht nochmal irgendwas tun! Harrys Verzweiflung war fast mit den Händen zu greifen. Liebe, dachte Amber verächtlich, war eine Schwäche, die einen nur verletzlich und manipulierbar machte.

Sie wollte gerade ansetzen, Harry ihre Bedingung zu diktieren, als das Licht der Öllampen erlosch und es unerwartet tiefschwarz in der Küche wurde. Einen Moment lang abgelenkt lockerte Amber ihren Griff und versuchte die plötzliche Dunkelheit mit ihren Augen zu durchdringen. Da spürte sie, wie etwas sie ins Auge zu stechen versuchte, fühlte eine krallenartige Berührung in ihrem Gesicht und wich daher mit einem Aufschrei hastig nach hinten aus. Widerliche Kratzbürste!

Lautes Keuchen war zu hören und einen Moment später war es Ginny gelungen, ihr Bein fortzureißen. Mit sich langsam an die Dunkelheit gewöhnenden Augen erkannte Amber, dass Ginny nun ihren Körper weit nach hinten bog, um ihn aus Ambers Reichweite zu bringen, ihr Bein war in fast grotesker Haltung zur Seite gestreckt.

„Wenn du glaubst, mir so entkommen zu können...", begann Amber mit einem teuflischen Grinsen. Das würde die Weasley ihr büßen...!

In jäher Bewegung hechtete sie auf Ginny zu, doch etwas bremste sie unvorbereitet und Amber prallte zurück, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand geschleudert. Auch Ambers erneuter Griff nach Ginnys Fuß ging ins Leere und dann begriff sie: Harry musste es geschafft haben, Ginny einen Schildzauber zu verpassen. Im Angesicht deren Qualen war es ihm offenbar gelungen, genügend Energie zu mobilisieren, um die Blutsverräterin zu schützen. Zornig wurde Amber klar, dass sie ihren vorherigen Plan begraben und sich etwas Neues überlegen musste.

Harry Potter und das süße Gift der HoffnungWhere stories live. Discover now