Kapitel 18

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Amber schwieg einen Moment, während der Fahrtwind ihr die langen Haare aus dem Gesicht pustete. Als Harry schon dachte, sie würde ihm die Antwort schuldig bleiben, kam ein emotionsloses „Sie sind bei einem Bergunglück im Himalaya ums Leben gekommen."

„Das tut mir leid", reagierte Harry betroffen.

Amber drehte ihm den Kopf zu, sah ihn einen Moment an, als versuchte sie zu ergründen, wie viel sie ihm anvertrauen durfte, und fuhr dann fort:

„Ich war knapp vier Jahre alt, als es passierte. Warum ich nicht einmal mit in Nepal war, weiß ich nicht. Vermutlich war es gut so. Aber manchmal frage ich mich, welcher Sinn dahintersteckt, dass ich als Einzige überlebt habe..."

Ihr Blick glitt einen Moment von ihm fort und verharrte in der Ferne, während Harry rücksichtsvoll schwieg. Es gab Momente, da gingen ihm die gleichen Gedanken durch den Kopf. Sie flogen einen leichten Bogen und hielten dann auf eine Bergkette zu, die sie kurz darauf in ihrer Flughöhe problemlos überwanden. Unter ihnen kündeten die zunehmenden Lichter vom Beginn einer bewohnteren Gegend.

„Meine erste Erinnerung ist die an meine Adoptiveltern", fuhr Amber schließlich fort. „Aber es gibt Fotos von meinen echten Eltern und ich frage mich oft, wie es wohl wäre, bei ihnen aufgewachsen zu sein..."

Auch wenn der überwiegende Teil von Ambers Worten die Wahrheit überaus großzügig zurechtbog, entsprach der letzte Gedanke der Realität. Wie hätte ihr Vater reagiert, wenn Bellatrix kein Geheimnis aus ihrer Herkunft gemacht hätte? Warum hatte sie es überhaupt für sich behalten? Nun, dieses Geheimnis würde man nun nie mehr lüften können.

In Bellatrix' Gedanken hatte Amber Bilder eines attraktiven, dunkelhaarigen Zauberers gesehen, der mit Ehrgeiz und Charisma brillierte und mit seinem Charme jeden Zauberer, jede Hexe um den Finger zu wickeln verstand. Trotz Bellatrix' steter Hingabe an Voldemort zeigte er sich in den meisten ihrer späteren Erinnerungen jedoch erbarmungslos und unnahbar. Er hätte ihr vermutlich ebenso wenig Liebe entgegen gebracht, wie sie sie von Bellatrix erfahren hatte, dachte Amber bitter.

Auch wenn Amber nie Erinnerungsbilder an ihre ersten Lebensjahre aufrufen konnte, so hatte sie doch all die Jahre stets ein vages Gefühl von Kälte und Ablehnung verspürt, der sie als kleines Mädchen ausgesetzt gewesen war. Darauf angesprochen hatte Bellatrix zwar energisch Ambers Wahrnehmung bestritten, doch ihre Gedanken hatten die Wahrheit nicht verhehlen können: Bellatrix hatte weder die Schwangerschaft noch das Baby geliebt, weil beides sie effektiv davon abgehalten hatte, Voldemort durch ihre Einsatzbereitschaft und Ergebenheit zu beeindrucken. Stattdessen war es Rodolphus gewesen, der von Voldemort mit Sonderaufgaben betraut worden war, ausgerechnet Rodolphus, der darauf bestanden hatte, dass Bellatrix das ungeborene Kind nicht abtrieb.

Einer Trotzreaktion gleich hatte Bellatrix ihr Möglichstes getan, ihr Baby zu ignorieren und war sobald es ging wieder an Voldemorts Seite gewesen. Immer öfter hatte sie ihre kleine Tochter, deren Willenskraft ihr längst unheimlich geworden war, allein gelassen, um stattdessen auf Muggeljagd zu gehen...

Mit einem Ruck brachte sich Amber zurück in die Gegenwart, in der Harry gedankenverloren ein mentales Foto von sich und seinen Eltern betrachtete. Er ermöglichte ihr dadurch ebenfalls einen neugierigen Blick auf Lily und James Potter, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, den Plänen Voldemorts einen Riegel vorzuschieben. Letzten Endes erfolglos, sie hatten ihren Widerstand gegen ihn mit dem Tod bezahlt. Nur Baby Harry hatte es überlebt... Aber wodurch?

Neugierig musterte Amber den neben ihr fliegenden Zauberer, der weder etwas Furchteinflößendes noch etwas Außergewöhnliches an sich zu haben schien. Es blieb ihr ein Rätsel, wie es ihm gelungen war, Voldemort zu vernichten.

Harry Potter und das süße Gift der HoffnungWhere stories live. Discover now