Kapitel 84

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Ginnys Augen weiteten sich geschockt und ihr Mund öffnete sich, ohne dass es ihr gelang, einen einzigen Ton herauszubringen. Auch wenn ihr klar gewesen war, dass Amber nicht vor Harrys Tod zurückschrecken würde, so traf sie jetzt dennoch die Unverblümtheit und Gefühlskälte, mit der Amber ihre Drohung aussprach, und die keinen Zweifel daran ließ, dass sie es ernst meinte.

„Ihr wart monatelang zusammen. Wie kannst du nur so etwas tun", quetschte Ginny schließlich mühsam heraus und hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Dabei spürte sie das dumpfe Gefühl, etwas übersehen zu haben, eine Unlogik in Ambers Erläuterung. Irgendetwas passte nicht...

Amber ließ ein höhnisches Lachen hören.

„Interessant, dass du die Vergangenheitsform benutzt. Aber ich muss dich korrigieren. Harry und ich sind immer noch ein Paar, wenn auch von seiner Seite aus vermutlich mittlerweile unfreiwillig."

Sie schwieg kurz und fuhr dann leichthin fort:

„Und ich bin ja durchaus bereit, ihn am Leben zu lassen. Es hängt allein von dir ab."

Die lodernden Flammen warfen ein Muster aus Rot und Schwarz auf Ambers Gesicht. Ihre Augen spiegelten die Erbarmungslosigkeit des Feuers wider, das mittlerweile dicht vor Ginny Halt gemacht hatte. Die immense Hitze verschlug Ginny schier den Atem und schien die Luft vor ihr zu versengen, Schweißtropfen liefen ihr die Stirn hinab. Verzweifelt verfluchte sie das Feuer vor ihr, das sie nicht bekämpfen konnte und das sie jeder Möglichkeit beraubte, Amber Flüche entgegenzuschleudern.

Emotionslos wiederholte Amber ihre Bedingung:

„Gib auf oder sieh zu, wie Harry Potter stirbt!"

Unter dem Druck, sich sofort entscheiden zu müssen und angesichts der Gluthitze, die Ginny entgegenschlug, gelang es ihr nicht, den Schwachpunkt in Ambers Worten auszumachen. Sie musste auf Ambers Bedingung eingehen, ohne zu wissen, ob diese überhaupt ihr Wort halten würde. Doch hatte sie überhaupt eine Wahl?

Vergebens lauschte Ginny auf irgendein Geräusch, das ihr vermittelte, dass Hilfe unterwegs war, doch alles, was sie hörte, was das Knacken der Flammen in ihren Ohren. Sie hätten gemeinsam versuchen sollen, aufs Grundstück und ins Haus zu gelangen. Doch für diese Einsicht war es längst zu spät.

Mit einem Gefühl absoluter Verzweiflung ließ Ginny den Zauberstab aus ihren schweißnassen Fingern gleiten. Er traf mit einem hellen Klang den Boden und rollte in der Wucht des Aufpralles noch ein wenig zur Seite, bis er von Ambers Zauber emporgehoben elegant über die Flammen hinwegschwebte und dann Ginnys Blicken entschwand.

In diesem Moment meldete sich der Schmerz in Ginnys verletztem Fußknöchel zurück, schlimmer als zuvor, und mit verzerrtem Gesicht zuckte Ginny zusammen und versuchte ihren Fuß in eine schonendere Haltung zu platzieren. Der verzweifelte Gedanke Es ist vorbei schlängelte sich in ihr Bewusstsein, doch Ginny weigerte sich, ihm Raum zu geben. Es durfte nicht so enden!

Schemenhaft erkannten Ginnys brennenden Augen, dass sich Amber nun um ihre verletzte Hand kümmerte und ihre Aufmerksamkeit daher im Moment nachgelassen hatte. Doch auch ohne die Feuerwand zwischen ihnen wäre sie verletzt und ohne Zauberstab kein Risiko mehr für Amber. Sie befand sich nun völlig in Ambers Hand und hatte keine Möglichkeit, sich deren Plänen zu widersetzen. Wenn Amber sie nicht ohnehin auf der Stelle töten würde. Alles, was jetzt blieb, war die Hoffnung, dass es Harry doch noch irgendwie gelingen würde, sich aus Ambers Fängen zu befreien. Dass Ron und Hermine rechtzeitig eintreffen würden, um wenigstens ihn zu retten.

Mit einem plötzlichen, zischenden Geräusch verschwanden Flammen und Hitze, als hätte es sie nie gegeben. Lediglich die Rußspuren auf dem Boden kündeten von der Existenz eines Feuers, das es in sich gehabt hatte, alles zu verbrennen, was sich in seinem Weg befand. Amber trat ein paar Schritte auf Ginny zu und starrte mit einem hasserfüllten Ausdruck auf sie herab.

Harry Potter und das süße Gift der HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt