Kapitel 62

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Je näher sich der Tag dem Abend zuneigte, desto schlechter wurde Dracos Laune. Weder hatte er Lust, einem Gesinnungssympathisanten ein Geständnis zu entlocken, noch legte er Wert auf ein Treffen mit Hermine, das größtmögliche Anforderungen an seine Fähigkeit sich zu verstellen erfordern würde. Auch sich selbst gegenüber wehrte er die regelmäßig um Hermine kreisenden Gedanken als unwillkommen ab und nicht nur einmal hatte er es verflucht, dass sie es noch immer schaffte, sein Denken zu dominieren.

Das Ende ihres Besuches auf Malfoy Manor hatte Draco eindrücklich vor Augen geführt, wie hirnverbrannt er gewesen war zu erwarten, Hermine würde mehr in ihm sehen als einen ehemaligen Todesser. Wenn es eines war, was Draco aus dieser Erfahrung gelernt hatte, dann war es die Tatsache, dass es nicht ratsam war, Gefühle zu zeigen und sich damit verwundbar zu machen.

Doch das würde ihm kein weiteres Mal passieren!

Und auch wenn es ihm schwer fiel, die Erinnerung an ihren Kuss, an den Geschmack ihrer Lippen zu vergessen – er war ein Malfoy und es stand ihm nicht zu, so gegenüber einer muggelstämmigen Hexe zu empfinden!

Widerwillig stand Draco auf und tauschte den bequemen Hausanzug gegen einen seiner Kaschmirpullover. Sein Blick fiel auf den Lyrikband, der in der Ecke seines Bettes lag und in den er sich letzte Nacht vertieft hatte. Verächtlich zog er ihn an sich und stopfte ihn in das am weitesten entfernte Bücherregal. Jetzt bei Tageslicht war unfassbar, was nachts so selbstverständlich schien. In der Dunkelheit schien die Barriere, mit der er sich zu seinem Schutz umgab, jedes Mal zu schrumpfen – um sich schließlich im Schlaf anscheinend ganz in Luft aufzulösen. Denn zu Dracos tendenziellem Unmut tauchte Hermine auch in seinen Träumen auf.

Wären es Alpträume gewesen, dann hätte er sich einen Trank dagegen gebraut. So wie die Dinge standen, war es jedoch das genaue Gegenteil davon. Er war daher fern davon, sich dieses heimliche Vergnügen zu versagen und konstatierte nur grimmig beim Aufwachen das Lächeln, das jedes Mal auf seinem Gesicht lag. Aber es waren lediglich die Nächte, in denen er nicht Herr über seine Gedanken und Gefühle war und er war überzeugt davon, dass sie irgendwann der Entschlossenheit folgen würden, die er tagsüber entfaltete. Was er bereits jetzt bedauerte... Natürlich nicht!

Unwirsch hexte Draco sich seinen Reiseumhang herbei. Höchstens zweimal würde er sich noch mit Hermine abgeben müssen und dann konnte er sie endlich wieder völlig aus seinem Leben streichen. Bei Salazar, das würde er wohl hinkriegen. Erneut hielt er sich vor Augen, warum er sich das antat: eine Abmachung, um zu guter Letzt zu erfahren, was mit Bella passiert war und damit endlich seine Mutter zufriedenzustellen. Sie hatte Maikas Freilassung glücklicherweise stoisch zur Kenntnis genommen, nachdem Draco sein Handeln mit vertrauensbildender Maßnahme gegenüber Hermine entschuldigt hatte. Sie hatten ohnehin keinen Mangel an Hauselfen.

Draco warf einen Blick auf die Zeiger der Uhr, die sich bereits auf der Fünf eingefunden hatten. Er würde zu spät kommen, doch das kümmerte ihn nicht. Er würde Hermine schon zeigen, wer hier das Sagen hatte! Mit plötzlicher Entschlossenheit drehte er sich um seine Achse und apparierte direkt zum vereinbarten Ort in Ealing, wo einer der Verdächtigten lebte.

Hermine stand direkt vor einem Kiosk und hatte wieder eine Muggelzeitung in den Händen. Wen wollte sie täuschen? Wobei – so wie Draco sie erlebt hatte, las sie diese vermutlich sogar gerne. Das Haar hatte sie erneut streng in einen Zopf gebunden. Vermutlich war es ganz gut so, dachte Draco. Je weniger Erinnerung es an ihren Besuch gab, desto besser. Als hätte Hermine gespürt, dass sie beobachtet wurde, sah sie auf und ein verhaltenes Lächeln erschien auf ihren Lippen. Es waren genau die sanft geschwungenen Lippen, die...

Rigoros verbannte Draco jeden Gedanken an ihren Kuss und konzentrierte sich auf das, was vor ihnen lag. Seine Begrüßung fiel entsprechend distanziert aus und war nicht mehr als ein kühles Kopfnicken.

Harry Potter und das süße Gift der HoffnungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt